Die Zukunft von Auto und Mobilität in Deutschland

Interview mit Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) und Kurt Sigl, Präsident Bundesverband eMobilität e.V.

VW, Mercedes, Audi, BMW, Porsche … Jedes Jahr laufen fast 6 Millionen Pkw in Deutschland vom Band, hergestellt von über 800.000 Menschen in der Auto- und Zuliefererindustrie. „Systemrelevant“ heißt es von vielen Seiten. Aber dieser Industriezweig steht im Umbruch wie kaum ein anderer. Quo vadis? Das haben wir die Chefs vom Verband der Automobilindustrie und vom Bundesverband eMobilität gefragt.

Rolle des Verbrennungsmotors?

Matthias Wissmann, Präsident Verband der Automobilindustrie (VDA)

MW: Ich bin davon überzeugt, dass der Verbrenner, insbesondere der Diesel, auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird. Moderne, besonders schadstoffarme Dieselmotoren sind aufgrund ihres geringen Verbrauchs mittelfristig weiterhin unverzichtbar, um die CO2-Ziele der EU zu erreichen. Der Diesel hat gegenüber einem vergleichbaren Benziner einen um bis zu 25 Prozent geringeren Kraftstoffverbrauch und um bis zu 15 Prozent geringere CO2-Emissionen. Hinzu kommt: Die erdölunabhängigen und CO2-neutralen „E-Fuels“ könnten zusätzlich zu alternativen Antrieben eine weitere Option für eine klimaneutrale Mobilität der Zukunft sein.

Kurt Sigl, Präsident Bundesverband eMobilität e.V.

KS: Der Verbrennungsmotor war und ist Motor der Mobilität, des Güterverkehrs und der mobilen Arbeitsmaschinen. Diese Rolle wird sukzessive durch alternative Antriebe ergänzt und irgendwann vollständig ersetzt werden. Neben der schädlichen Stickoxid- und CO2-Belastung, die durch das Verbrennen von Diesel oder Benzin verursacht wird, sorgt auch die zunehmende Öl-Knappheit für keine guten Zukunftsprognosen. Für Kunststoffe und Medikamente haben wir nach aktueller Wissenschaft keine Alternative zum Öl – es einfach zu verbrennen, wäre vor dem Hintergrund wohl die denkbar dümmste Anwendung.

Rolle der E-Mobilität?

MW: Die Elektromobilität kommt. Die deutschen Hersteller haben betont, dass bis zum Jahr 2025 aller Voraussicht nach weltweit 15 bis 25 Prozent der neu zugelassenen Pkw einen E-Antrieb haben werden. Deshalb investieren unsere Unternehmen – neben der Digitalisierung – massiv in alternative Antriebe, vor allem in die Elektromobilität. Insgesamt werden das bis zum Jahr 2020 rund 40 Milliarden Euro sein. In Deutschland liegt der E-Anteil an allen Pkw-Neuzulassungen mit 1,4 Prozent doppelt so hoch wie im Vorjahr. Der Umweltbonus ist hier ein wichtiger Treiber. Gleichzeitig bauen unsere Hersteller das Modellangebot an E-Autos bis zum Jahr 2020 weiter aus – von heute 30 Modellen auf rund 100.

KS: Circa 20 Prozent der CO2-Emissionen und 38 Prozent der Stickoxid-Emissionen in Deutschland entstammen dem Verkehrssektor. Elektromobilität ist daher keine Option, sondern die einzige Möglichkeit, die wachsenden globalen Mobilitätsbedürfnisse überhaupt noch zu gewährleisten und gleichzeitig die europäischen Klimaschutzziele einzuhalten.

 Veränderungen durch Carsharing?

MW: Wir wissen: Die Städte wachsen, und der urbane Verkehr nimmt zu. Wir brauchen daher intelligente Lösungsansätze. Um Mobilität auch künftig effizient, umweltschonend und sicher zu gestalten, ist Carsharing ein Instrument, das dazu beitragen kann, die Infrastruktur zu entlasten. Ziel der deutschen Automobilhersteller ist es, bis zum Jahr 2020 in den 20 größten deutschen Städten mindestens eine freefloating Carsharing-Option geben. Denn vor allem das stationsunabhängige Carsharing, bei dem der Fahrer sein Auto einfach an der Straße parken kann, anstatt es an einer Station abgeben zu müssen, kommt bei den Kunden an. Seitdem die deutschen Hersteller dieses flexible Konzept anbieten, entscheiden sich immer mehr Nutzer dafür.

KS: Das Mobilitätsverhalten der Großstadtbewohner hat sich radikal verändert. Das Auto verliert zunehmend seinen Wert als Statussymbol und wird vielenorts nur noch als ein Transportmittel unter vielen wahrgenommen. Statt eines eigenen Fahrzeugs nutzen die meisten Großstädter eine Vielzahl verschiedener Mobilitätsdienstleistungen – je nachdem wohin und zu welcher Zeit die Fahrt gehen soll. Als Mobilitätsbaustein kann Carsharing – elektrisch oder konventionell – neben Taxi, Bus, Bahn, Fahrrad und dem eigenen Pkw Teil eines intermodalen Mobilitätsangebotes sein.

Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands: Rolle der Politik?

MW: Wirtschaftspolitisch besteht weder national noch international – Stichwort Handelspolitik – Anlass, sich entspannt zurückzulehnen. Deutschland muss in der kommenden Legislaturperiode wieder wesentlich stärker an seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Das ist auch für den Automobilstandort Deutschland, gerade aus Sicht der Zulieferer, unverzichtbar. Der Wind wird rauer. Die gute Beschäftigungslage an unseren Inlandsstandorten hängt entscheidend von der Exportstärke unserer Industrie ab. Sie ist nicht naturgegeben. Offene Märkte und damit eine klare Handelspolitik sind wichtiger denn je. Exportstärke muss darüber hinaus Tag für Tag neu erarbeitet werden.

KS: Wenn wir das Klimaschutzabkommen von Paris erfüllen wollen, müssen wir unsere Mobilität bis 2050 auf alternative Verkehrsträger umgestellt haben. Bei einer Fahrzeug-Lebensdauer von bis zu 20 Jahren bedeutet das, dass wir spätestens ab 2030 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zulassen dürfen. Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie zu erhalten, müssen jetzt auch auf politischer Ebene die entscheidenden Weichen gestellt werden, um für alle Akteure eine Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen.

Ihre kurze Marktprognose:

MW: Die Perspektiven für das Gesamtjahr 2017 sind ordentlich. Der Pkw-Weltmarkt wächst weiter auf 84,5 Millionen Pkw (+2 Prozent), auch wenn sich die hohe Wachstumsdynamik der großen Märkte – USA, China, Europa – verringert hat. Für Deutschland erwarten wir, dass die Pkw-Inlandsproduktion 2017 mit 5,6 Millionen Einheiten leicht unter dem Vorjahresniveau liegen wird (-2 Prozent), das gilt auch für den Export (4,3 Millionen Pkw). Zum einen wirkt sich hier die Abschwächung des britischen Marktes aus, zum anderen die steigende Auslandsproduktion. Auch gehen wir davon aus, dass der Pkw-Inlandsmarkt 2017 mit 3,35 Millionen Neuzulassungen sein hohes Niveau halten wird. Die Beschäftigungslage mit derzeit 812.000 Mitarbeitern ist sehr erfreulich. Es ist der höchste Stand seit 26 Jahren.

KS: 2025 rechnen wir mit einem Gesamtanteil von mindestens 10 Prozent rein elektrisch betriebener Fahrzeuge, also ca. 5 Millionen. Zu den Vorreitern gehören Firmenfuhrparks, kleine- und mittelständische Unternehmen sowie der Neuen Mobilität gegenüber offene Nutzer. Diese Prognose hängt jedoch ganz entscheidend von den gesetzgeberischen Rahmenbedingungen ab. Sind diese gut für Verbrenner, wird die Zahl sehr viel kleiner ausfallen. Wenn wir es aber schaffen, die Rahmenbedingungen so zu verändern, dass sie in der Lage sind, eine emissionsarme Mobilität zu befördern, dann wird die Zahl deutlich höher ausfallen. Wir haben es also selbst in der Hand, ob wir weiter auf eine klima- und gesundheitsschädigende Technologie setzen oder uns einem globalen Megatrend anschließen wollen und uns tatsächlich auf den Weg machen Leitmarkt und Leitanbieter zu werden.

Quelle des Beitragsbildes: pixabay, werner22brigitte

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