Petr Vokřál der Oberbürgermeister der Stadt Brünn, im Gespräch

…über sein Amt, die Stärken und Schwächen seiner Stadt, das „Ökosystem“, in dem Investoren und Startups sich pudelwohl fühlen, und die alte Frage „Was hat sie, was ich nicht habe?“.

Brünn wird derzeit überall gelobt als tolle Stadt. Besser als Prag. Wenn Sie erlauben, beginne ich andersherum. Was gefällt Ihnen nicht an Brünn?

Zum Beispiel die Modernisierung des Hauptbahnhofs, oder besser: wie das Projekt umgesetzt wird. Das ist, denke ich, unser größter Schwachpunkt. Wir versuchen zudem, mehrere Projekte vorzubereiten, die Brünn schon seit langem fehlen, vor allem Sportstätten. Wir haben keine Multifunktions-Arena und kein Fußballstadion, was wohl in Deutschland niemand verstehen würde…

In Deutschland sind wir wiederum schwach im Eishockey …

Wir haben in der Stadt ein hervorragendes philharmonisches Orchester, es hat aber keinen Ort für seine Konzerte. Diese Dinge fehlen der Stadt, und mich stört schon lange, dass sich das nicht schnell genug ändert.

Und was würden Sie an Brünn besonders loben?

Ganz wichtig ist, dass Brünn eine junge Uni-Stadt ist. Insgesamt 70.000 Studenten leben hier. Das belebt ungemein die Stadt und den öffentlichen Raum – und macht Brünn zu Brünn.

Seit Ende 2014 sind Sie Oberbürgermeister der zweitwichtigsten Stadt in Tschechien. Ihre Amtszeit wird häufig – im Vergleich zu denen Ihrer Vorgänger – positiv bewertet. Was halten Sie bisher für Ihren größten Erfolg?

Wenn wahr wäre, was Sie sagen, dann würde ich für den größten Erfolg halten, dass dieser Eindruck überhaupt entstanden ist. Die Koalition in der Stadt besteht aus fünf Parteien und Vereinigungen, was die Verständigung relativ schwer macht. Für den größten Erfolg halte ich, dass die Koalition funktionsfähig ist und den Weg in Richtung jener Projekte beschreitet, die ich genannt habe. Als großen Erfolg sehe ich zudem, dass Brünn den Motorrad Grand Prix hier halten konnte, denn ich kann mir die Stadt nicht ohne die schnellen Maschinen vorstellen. Jedes Jahr kommen aus Deutschland mehrere Zehntausend Besucher zum Grand Prix. Auch die Brünner Messe, die seit 2015 komplett im Besitz der Stadt ist, ist eine Herzenssache von großer Bedeutung, und wir werden uns bemühen, noch aktiver zu werden, denn die Messe gehört einfach zu Brünn.

Petr Vokřál Oberbürgermeister von Brünn im Interview
Petr Vokřál und Christian Rühmkorf, Bildquelle: Marie Schmerková

Menschen machen Wirtschaft. Wie wichtig ist der Oberbürgermeister für die ökonomische Entwicklung der Stadt? Und worauf haben Sie hingegen keinen oder nur wenig Einfluss?

Der Oberbürgermeister soll nicht vorrangig definieren, in welche Richtung sich die Wirtschaft entwickeln soll. Dennoch spielt er eine wichtige Rolle für die Kontakte zu den Investoren – damit diese wissen, ob für ihr Business in der Stadt Platz ist oder nicht. Ich selbst habe früher als Unternehmer in ganz Europa Akquisitionen getätigt und dabei erfahren, wie unterschiedlich politische Repräsentanten auf mich gewirkt haben. Ein Oberbürgermeister sollte eine Stadt attraktiv machen für Investoren und beim ersten Kontakt eine Atmosphäre schaffen, die den Investor zum Bleiben animiert.

Sie haben lange als Top-Manager in einer internationalen Firma gearbeitet. Was nützt Ihnen heute Ihre Managererfahrung aus der Wirtschaft?

Es besteht kein grundlegender Unterschied zwischen der Führung einer Stadt und einer Firma. Deutlich anders ist jedoch, dass ein Firmenchef seinen Stellvertretern Anweisungen geben kann. In einer politischen Koalition muss dagegen ständig verhandelt werden. Bei Langzeitinvestitionen sind aber die Managererfahrungen nützlich. Man weiß, dass sich nicht alles vom einen auf den anderen Tag umsetzen lässt und die Dinge unterschiedliche Herangehensweisen brauchen. Um etwas zu erreichen, muss man von A nach B mehrere Meilensteine passieren. Und nicht zuletzt kann ich auch Zahlen etwas anders lesen. Ich denke auch, dass ich leichter Entscheidungen fällen kann über städtische Firmen und mich in der Materie besser auskenne.

ANO-Chef Andrej Babiš behauptet, dass der Staat wie eine Firma geführt werden sollte. Gilt das auch für eine Stadt?

Mir gefällt, dass unser Parteivorsitzender noch ergänzend gesagt hat: „wie ein Familienunternehmen“. Bei diesem Prinzip geht es nicht darum, dass ein Chef diktiert, sondern dass wir sparsam sind und die Geschäfte rational und so effektiv wie möglich führen. In diesem Punkt bin ich überzeugt, dass zwischen einer Firma und einer Stadt kein Unterschied besteht. Grundlegend anders ist es, eine bunte politische Koalition zu führen und trotzdem alles so zu meistern, dass wir im Schnitt das erfüllen, zu was wir uns als Koalition verpflichtet haben.

Petr Vokřál. Bildquelle: Marie Schmerková

Internationale Konzerne, meist aus der IT-Branche wie etwa SAP, Red Hat, Siemens, Honeywell, AVG oder NetSuite, haben Brünn als Standort gewählt. Welches Rezept ist der Schlüssel zu diesem Erfolg?

Drei Aspekte spielen hierbei eine Rolle. In den 1990er Jahren ist hier ein Technologiepark entstanden, der wirklich ein Beschleuniger dafür war, dass sich hier Firmen angesiedelt haben und gewachsen sind. IBM hat hier zum Beispiel mit einer kleinen Niederlassung begonnen und beschäftigt heute über 3.000 Angestellte. Der zweite Aspekt ist, dass an den Hochschulen und Universitäten ein Umfeld geschaffen wurde, in dem die Firmen Spitzen-Absolventen anwerben können. Und drittens wurde eine sehr gute Kooperation zwischen Firmen, Universitäten, Stadt und Kreis geschaffen, die wir „Ökosystem“ nennen. Durch das Südmährische Innovationszentrum (JIC) entstand eine Infrastruktur für Startups, aus denen Firmen mit Milliardenumsätzen erwachsen sind wie Skypicker/Kiwi und Y-Soft. Es ist die Kombination aus dem guten Draht zu den Investoren und dem rechtzeitigen Aufbau eines Umfeldes für Wachstum. Mittlerweile versuchen alle zu kopieren, was Brünn gelungen ist. Ich weiß nicht, ob sich das wiederholen lässt. Brünn hat seine Stellung zu einer Zeit ausgebaut, als das so in Tschechien noch nicht üblich war.

Wenn Brünn jetzt einen größeren Sexappeal und eine New Economy hat, befürchten Sie dann nicht eine Spaltung zwischen den alteingesessenen Brünnern und den jungen, internationalen Neuankömmlingen? Die Fremdsprachenkenntnisse hier sind auch ausbaufähig …

Da kann ich nur zustimmen. Ich habe das selbst erlebt. Am Gymnasium habe ich zwar Deutschunterricht gehabt. Aber richtig Deutsch gelernt habe ich erst, als ich für eine österreichische Firma gearbeitet habe. Dass das Umfeld hier immer internationaler wird, motiviert die jungen Leute und verbindet die einzelnen Gruppen. Historisch war Brünn früher eine internationale Stadt, und ich bin froh, dass sie es heute wieder ist. Die Älteren mögen das für eine Entfremdung halten, ich sehe darin eher ein Bindeglied.

Welche drei Dinge braucht eine Großstadt wie Brünn, damit sie modern und wirtschaftlich attraktiv ist?

Selbstverständlich ist das wirtschaftliche Stabilität, ohne die wäre keine Entwicklung möglich. Dann geht es um die Wohnsituation. Wir wollen, dass die Stadt die Voraussetzungen für ein angenehmes Leben schafft. Es ist wichtig, dass Brünn nicht nur im Arbeitsalltag brummt, sondern auch in der Freizeit. Das wird auch für Investoren immer wichtiger. Und dann geht es auch um die Verkehrsanbindung. In dem Bereich hat Brünn noch eine kleine Bringschuld gegenüber Investoren und Einwohnern.

Was hat Brünn, das Prag nicht hat?

Die Brünner pflegen ja eine spezielle Beziehung zu Prag. Ich denke, eines hat sicher nur Brünn: eine gewisse Leichtigkeit des Seins. Die Stadt ist nicht von Touristen überlaufen, man muss sich im Zentrum nicht durch die Massen wühlen und kann das Leben genießen. Zugleich bietet die Stadt enorm viel. Und dabei hat Brünn immer noch – jetzt werden sich die Brünner vielleicht ärgern – die Atmosphäre einer Provinzstadt, aber mit einer spitzen Lebensqualität. Das kann Prag nicht vorweisen.

Und wenn Sie beide Städte aus ökonomischer Sicht vergleichen?

Prag hat einen großen Vorteil: Wegen der ganzen Verwaltungsorgane und den Ministerien in der Stadt hat eine ganze Reihe von Firmen dort ihr „Headquarter“. Damit können wir nicht konkurrieren. Brünn hat hingegen dieses kompakte „Ökosystem“ – und das ist der Grund für den Boom.

Stichwort Smart City. Wie weit ist Brünn davon entfernt? Und welche konkreten Schritte planen Sie bis 2020?

Smart City … heute ist ja alles smart.

Ein Buzzword …

Ja, genau. Ich lüge nicht, wenn ich behaupte, dass wir schon smart sind. Aber zu einer richtigen Smart City fehlen uns noch ein paar Dinge. Wir wollen noch die Verwaltung vereinfachen, Stichwort E-Government. Die tschechischen Gesetze helfen da nicht sonderlich, aber wir bemühen uns, das langsam aufzubauen. Und dann natürlich die Mobilität. Wenn wir nur auf die klassischen Verkehrskonzepte bauen, würden bald drei Autos übereinander parken und wir nicht mehr in die Stadt passen. Und dann die Bürger. Die Menschen sollten sagen, was sie für „intelligent“ halten und in welche Richtung sich die Stadt entwickeln soll. Daher bereiten wir gerade zum ersten Mal einen partizipativen Haushalt vor.

Interview mit Petr Vokřál Oberbürgermeister von Brünn
Petr Vokřál und Christian Rühmkorf im Gespräch. Bildquelle: Marie Schmerková

Jede Stadtführung oder Regierung sagt, dass sie die Bürger einbinden will. Wie wollen Sie die Brünner an der Strategie 2050 beteiligen und ihren Einfluss auf das steigern, was in der Stadt entsteht?

Es ist nicht so, dass zwei Leute aus einem Forschungsinstitut für Smart Cities für uns geplant haben, wie das funktionieren wird. Vielmehr versuchen wir, vor allem die weitere Fachöffentlichkeit in die Debatte über die Strategie einzubinden, aber auch mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Wir wollen das an Pilotprojekten ausprobieren. Nach einem Jahr Vorbereitung haben wir 2017 den ersten partizipativen Brünner Haushalt gestartet. Dabei können alle Brünner sinnvolle Projekte für die Stadt vorschlagen und dann darüber abstimmen, welche Projekte die Stadt umsetzen soll. Das ist der erste Schritt. Wir werden sehen, welches Spektrum an Projekten dabei herauskommt und wie viel Geld wir dafür aufwenden müssen. Falls das aber erfolgreich verläuft, können wir die Öffentlichkeit auch an der Auswahl strategischer Projekte beteiligen.

Auf der einen Seite die Smart City – und auf der anderen der Brünner Hauptbahnhof, der eher das Gegenteil einer modernen Stadt ist. Wer dort ankommt, fühlt sich in die früheren 1990er Jahre zurückversetzt. Was geschieht mit dem kontroversen Bahnhof?

Wir warten gerade auf eine Machbarkeitsstudie, die vom Verkehrsministerium erstellt wird. Leider ist es da zu zeitlichen Verzögerungen gekommen. Aber wir wollen die Ergebnisse der Studie respektieren, damit wir sowohl über die Lage als auch Form des Bahnhofs entscheiden können. Die Umsetzung wird mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen. Wir müssen daher schon jetzt den Zugang zum Bahnhof verbessern. Seit einem Jahr bemühen wir uns, den Bereich vor dem Gebäude, das Erdgeschoss im Inneren sowie den Zugang zu den Unterführungen zu verschönern. Einige Verkaufsstände haben wir aber bis jetzt nicht beseitigen können, wir wollen jedoch nicht, dass es aussieht wie bei der Ankunft in Hanoi. Noch bevor dann wirklich ein moderner Hauptbahnhof entsteht, also irgendwann 2027/28, wird der Ort schon kein solcher Schandfleck mehr sein.

Energieversorgung, Dezentralisierung usw. – das sind alles auch wichtige Themen für Smart City. Welches sind die Hauptaufgaben für ein modernes Energiekonzept in Brünn?

Das bisherige Energiekonzept beruht vor allem auf Pfeilern, die Eigentum der Stadt sind. Das bedeutet eine zentrale Wärmeversorgung durch Heizkraftwerke, primär aus der jeweiligen Hauptenergiequelle, gegebenenfalls durch Abfallverwertungsgesellschaften, die aber auch der Stadt gehören. Wir wollen den Anteil von „Waste to Energy“ weiter erhöhen. Sicher werden wir das Konzept einer zentralen Wärmeversorgung beibehalten. Aber dabei möchten wir uns an neuen Trends orientieren, die die Heizkraftwerke umsetzen sollen.

Was könnte das sein?

Wir denken daran, Biomasse zu verarbeiten oder Solarenergie zu nutzen. Eine Sache ist die Versorgung an sich, eine andere die Versorgungssicherheit. Wir suchen hier auch das Gespräch mit den Energieanbietern, damit wir gewappnet sind gegen einen Blackout und Ähnliches. Da wartet auf uns noch relativ viel Arbeit.

Ich habe gelesen, dass Sie die Bewohner motivieren wollen, dass sie in den Energiesektor investieren. Das klingt interessant.

So weit sind wir noch nicht, aber wir sprechen darüber. Wir wollen, dass die Menschen sich selbst an den Investitionen beteiligen und so selbst zu Investoren werden. Aber eine Amtsperiode ist unglaublich kurz, vier Jahre vergehen leider wie im Flug.

Sie sind auch stellvertretender Parteivorsitzender von ANO. In Prag ist nun nach der Regierungskrise und vor den Parlamentswahlen dicke Luft. Sind Sie froh, dass Sie so weit von Prag entfernt leben?

Ich bin etwas unglücklich über die Lage derzeit. Die Regierung war eine der besten, an die ich mich erinnern kann. Nun sind wirklich einige Sachen auf der Strecke geblieben, die die Regierungskoalition auf den Weg bringen sollte – und zwar so, dass wir einige Investitionen weiter umsetzen können.

Ein Amt auf Regierungsebene kommt für Sie nicht in Frage? Brno dobrý, wie man hier sagt, Brünn ist gut?

Brünn sicher gut. Natürlich darf man niemals nie sagen. Alles zu seiner Zeit. Man sollte aber mindestens eine Amtszeit zu Ende bringen, um zu zeigen, was man kann.

Autor: Christian Rühmkorf

Quelle des Beitragsbildes: Marie Schmerková

 

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