Tschechiens Autoindustrie steigt in die Elektromobilität ein

Die wichtigste tschechische Industriebranche muss 2020 ihre schwerste Rezession bewältigen, ohne die Transformation hin zu emissionsarmen Technologien aus dem Auge zu verlieren.

Das Jahr 2020 hatte vielversprechend begonnen. Vor dem Hintergrund eines von Produktion und Umsätzen her noch einmal sehr positiven Vorjahres legten die tschechischen Kraftfahrzeughersteller zunächst zu. Doch streute der Einzug des Coronavirus nach Europa dann so massiv Sand ins Getriebe, dass die Branche zeitweilig herunterfuhr.

Ein Fünftel weniger Pkw für 2020 erwartet

Obwohl die fünf Werke der am Standort produzierenden Pkw-Hersteller seit Ende April sukzessive wieder anliefen und sich die Produktion allmählich erholt, wird der Ausstoß weit unter dem von 2019 mit 1,42 Millionen Einheiten bleiben. Der Verband der Automobilindustrie AutoSAP rechnete im August für das Gesamtjahr 2020 mit einem Rückgang um mindestens ein Fünftel. Fast alles hängt von den Auslandsmärkten ab, da der Großteil der Fahrzeuge in den Export geht.

Nach Zahlen des Tschechischen Statistikamtes sind die Umsätze der Kraftfahrzeugindustrie im Vergleich zum Vorjahr im 1. Quartal um rund 7 % zurückgegangen. Im 2. Quartal brachen sie dann um 43 % ein – so dramatisch wie in keiner anderen Industriebranche. Ähnlich war die Entwicklung bei Produktion und Aufträgen. Noch 2019 hatten die Umsätze der Mitgliedsfirmen von AutoSAP um 1,9 % zugenommen und mit 1.124 Milliarden Kč einen neuen Höchststand erreicht. Es war das vierte Jahr hintereinander mit Erlösen über der Schwelle von 1.000 Milliarden Kč. Auch der Export war noch einmal um 2,3 % auf 942 Milliarden Kč angestiegen. Diese Zuwächse betrafen vor allem die Endfertiger, die 658 Milliarden Kč umsetzten. Die Zulieferer hingegen spürten die internationale Abkühlung schon und setzten mit 441 Milliarden Kč gut 4 % weniger um.

So wie zu Beginn der Coronakrise die schlechten Zahlen statistisch erst mit Verzögerung eintrafen, sieht es auch bei der Aufwärtsentwicklung aus. Viele Unternehmen der Branche arbeiteten nach der Sommerpause wieder unter Volldampf und hatten sogar Probleme, die nötigen Mitarbeiter zu finden. Die Lokomotive der tschechischen Automobilindustrie, Škoda Auto, schloss es nicht aus, im 4. Quartal vom Umsatz her an das Niveau des Vorjahres anschließen zu können. Doch brachte die 2. Coronawell neue Fragezeichen.

Von Wohl und Weh der Automobilindustrie, die in viele weitere Wirtschaftsbereiche hineinreicht, hängt Tschechiens Volkswirtschaft in hohem Maße ab. Sie erlöst laut AutoSAP rund 26 % der Industrieumsätze und trägt 23 % des Exportwerts, beschäftigt 180.000 Arbeitnehmer direkt und indirekt fast 500.000. Aktuell verhandelt der Verband mit der Regierung über Maßnahmen, die die Wettbewerbsfähigkeit stützen – schnellere Abschreibungsmodi, direkte Investitionen in Technologie, Infrastrukturen, Forschung, Entwicklung und Ausbildung. Das Beschäftigungsprogramm Antivirus, eine tschechische Version der Kurzarbeit, hat die Regierung verlängert und will das Instrument grundsätzlich ab 2021 einführen. Es ist ein wichtiges Anliegen der Autoindustrie.

Serienfertigung von Elektroautos gestartet

Das Coronavirus hat den tschechischen Start ins Zeitalter der Elektromobilität erschwert, aber nicht gestoppt. Sie ist nicht die einzige alternative Antriebsform mit Potenzial, gilt aber angesichts des Drucks der EU-Emissionsvorschriften als die aktuell am weitesten fortgeschrittene Lösung. Erstmals laufen 2020 reine Elektrofahrzeuge in Serie von tschechischen Bändern. Als erstes Werk am Standort Tschechien hat Hyundai Motor Manufacturing Czech (HMMC) im März mit dem Kona Electric die serienmäßige Produktion eines reinen Elektrofahrzeugs gestartet. Der zum Volkswagen Konzern gehörende tschechische Automobilhersteller Škoda Auto feierte die Weltpremiere seines Elektro-SUV, des Škoda Enyaq iV, am 1. September 2020 in Prag. Mit diesem Modell bricht Škoda Auto 125 Jahre nach seiner Gründung in eine neue Antriebsära auf. Die Serienproduktion startet Ende 2020. Die Markteinführung ist für Anfang 2021 geplant. Unter der Submarke Škoda iV soll bis Ende 2022 eine Serie von zehn weiteren Elektromodellen auf den Markt kommen. Für das Jahr 2025 rechnet Škoda damit, dass der Verkaufsanteil von Fahrzeugen mit reinem Elektro- und Plug-in-Hybridantrieb ein Viertel erreicht.

Der Škoda Enyaq iV wird als erstes Fahrzeug im Volkswagen Konzern auf Basis des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB) außerhalb Deutschlands gebaut. Produziert wird es im Stammwerk in Mladá Boleslav – und zwar zusammen mit anderen Modellen, die auf der Technologieplattform des Modularen Querbaukastens (MBQ) basieren. Škoda Auto hat 32 Millionen Euro investiert, um eine bestehende Fertigungslinie umzubauen. Diese schafft es, parallel Fahrzeuge auf der einen, wie anderen Basis zu bauen, was bislang im Volkswagen Konzern einmalig ist. In Mladá Boleslav laufen dadurch der rein batterieelektrische Škoda Enyaq iV, der Octavia und das Kompakt-SUV Karoq vom selben Band.

Dieser Wandel erfasst auch den Zuliefersektor, der vorrangig noch auf den Verbrennungsmotor ausgerichtet ist. Strategisch aber beginnen viele Unternehmen zu diversifizieren, um in dem neuen Segment Teil der Wertschöpfungskette zu bleiben. Einige mussten unter dem Coronaschock und durch Liquiditätsprobleme Investitionsvorhaben kürzen oder aufschieben. Andere nutzten die Zwangspause, um Automatisierungs- und Digitalisierungsvorhaben umzusetzen und beim Weg aus der Krise besser gerüstet zu sein.

Impulse für neue Mobilitätslösungen

Um Tschechien im Wettbewerb um zukunftsfähige Mobilitätslösungen besser zu positionieren, arbeiten Staat und Autoindustrie an einer neuen Initiative – der Plattform Mobility Innovation Hub. Sie beruht auf einem gemeinsamen Memorandum. Das Ziel: globale innovative Mobilitätsprojekte an den Standort zu ziehen und im engen fachlichen Austausch mit Großunternehmen, Universitäten, Technologiefirmen, Startups und öffentlichen Stellen ein Netzwerk aufzubauen.

Impulse für das autonome Fahren soll ein Katalog zu Testgebieten für autonome Fahrzeuge geben. Das Zentrum für Verkehrsforschung stellte ihn im Mai vor. Er liefert spezifische Informationen zu Abschnitten des tschechischen Straßennetzes und soll die Arbeit von Entwicklern, Softwareingenieuren und Technikern erleichtern. Ein wichtiges Investitionsprojekt startet BMW bei Sokolov. Der Automobilhersteller hat die Genehmigung für den Bau eines Entwicklungs- und Teststreckenzentrums erhalten, das auf 650 Hektar alternative Antriebe, autonomes Fahren und Digitalisierung erproben soll. Geplante Investition: 250 Millionen Euro.

Enge Lieferverflechtung mit Deutschland

Deutsche Hersteller haben laut dem Tschechischen Statistikamt 2019 mit einem Wert von 4,2 Milliarden Euro mehr als 40 % der von Tschechien importierten Kfz-Komponenten in der Warenkategorie SITC 784 geliefert. Im 1. Halbjahr 2020 war es mit 1,4 Milliarden Euro ein Drittel weniger als im Vorjahreszeitraum. Insgesamt fielen die Einfuhren in dem Segment um 29 % auf 3,7 Milliarden Euro.

Ähnlich war der Rückschlag für Tschechiens Kfz-Zuliefersektor, in dem viele Niederlassungen deutscher Unternehmen agieren. Seine weltweiten Ausfuhren brachen um ein Drittel auf 4,9 Milliarden Euro ein. Ebenso stark fielen die Exporte nach Deutschland auf rund 2 Milliarden Euro.

Neuwagenmarkt steigt aus dem Coronatal

Die Unsicherheit um Covid-19 und die Notstandsmaßnahmen haben den Pkw-Neuwagenmarkt schwer mitgenommen. Doch fiel der Rückgang im 1. Halbjahr 2020 laut dem Europäischen Automobilherstellerverband ACEA mit -26 % nicht so stark aus wie im Durchschnitt der Europäischen Union (EU) von -38 %. Im Juli waren es in Tschechien keine zweistelligen Einbußen mehr (-9 %).

In den ersten sieben Monaten wurden dem Verband der Autoimporteure SDA zufolge 25 % weniger leichte Nutzfahrzeuge registriert und 41 % weniger Lkw. Der Bus- und Motorradmarkt verzeichnete Zuwächse. Die Registrierung importierter Gebrauchtwagen fiel um ein Fünftel auf gut 84.500 Einheiten. Mehr als die Hälfte der Fahrzeuge hatte mehr als 10 Jahre auf dem Buckel, ein Fünftel sogar mehr als 15.

Autohändler haben nach mehreren Wochen Zwangsschließung seit Ende April wieder geöffnet. Doch spielte die Stimmung im Sommer noch nicht mit. Durch die Zurückhaltung der Käufer bei Neuanschaffungen und die Einfuhr älterer Gebrauchtwagen ist das Durchschnittsalter der Autos auf Tschechiens Straßen im 1. Halbjahr 2020 auf über 15 Jahre angestiegen. Da es die Firmen sind, die mit 70 % den Großteil der neuen Pkw und leichten Nutzfahrzeuge registrieren, hängt viel von deren wirtschaftlicher Erholung ab.

Zuwächse bei Hybriden und Elektroautos

Hinsichtlich der Modellklassen blieben auch in der Krise die SUV in den ersten sieben Monaten in Führung mit 35 % des Pkw-Neuwagenmarkts. Es folgten mit je 17 % das Segment Kleinwagen und untere Mittelklasse, die Mittelklasse mit 14 % und Minivans mit 9 %. Die Marke Škoda bleibt mit einem Anteil von 38 % Favorit in ihrem Heimatmarkt. Danach kommen Hyundai und Volkswagen mit je 8 % sowie Dacia mit 5 %.

Bei den Antrieben hat sich der Absturz des Dieselmotors nicht weiter fortgesetzt. Er hielt rund 29 % des Marktes, die Benziner 66 %. An dritter Stelle mit knapp 1 % standen reine Elektroautos. Ihre Zahl hat sich auf 1.100 gegenüber dem Vorjahreszeitraum verdreifacht.

Neue Ziele für saubere Mobilität

Dieser eindrucksvolle Zuwachs kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Tschechien keine breiten und systemischen Kaufanreize für alternative Antriebe gibt. Private Käufer erhalten bislang keine direkte Förderung. Die vorhandenen Hilfen basieren auf EU-Fördermitteln und richten sich an Firmen, Kommunen oder Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs. Den Kauf von Elektromobilen und die Einrichtung von Ladetechnik bei KMU und großen Unternehmen unterstützt das Programm „Kohlendioxidarme Technologien – Elektromobilität“ im Rahmen des auslaufenden Operationellen Programms Unternehmen und Innovationen für Wettbewerbsfähigkeit OP PIK. Das Interesse war groß. Deswegen wurde die seit Januar 2020 laufende 5. Förderrunde bis Ende Juli verlängert, das Volumen von 50 Millionen Kč auf 150 Millionen Kč aufgestockt. Dafür entfiel eine geplante 6. Förderrunde zu dem Thema.

Dass mehr geschehen muss, ist klar, denn die Ziele sind hoch gesteckt. Mitten in der Coronakrise hat die Regierung im April 2020 die Aktualisierung des Nationalen Plans für saubere Mobilität verabschiedet. Er berücksichtigt die Ziele im Klimaplan und Green Deal der Europäischen Union, die bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität anstrebt. Für 2030 ist darin bei elektrischen Pkw eine Bandbreite von 220.000 bis 500.000 Einheiten ausgewiesen. Aktuell sind es erst über 3.000. Neben Erdgas in Form von CNG und LNG spielt in diesem Mobilitätsplan auch Wasserstoff perspektivisch eine wichtige Rolle. Bis zu 50.000 solcherart betriebene Fahrzeuge sind vorgesehen. In der Gegenwart ist Wasserstoff aber erst in der Erprobung, gibt es noch kein Tankstellen-Netz.

Weitere Infos: www.gtai.de/tschechien

Text: Miriam Neubert, Germany Trade & Invest
Foto: pixabay/street-2835261, pixabay/charging-station-4632700

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