Mit höherem Mehrwert, technologisch interessant

Südböhmen – das ist Temelín, Tourismus, Landwirtschaft, Karpfen. Lässt sich so die Wirtschaft des Kreises charakterisieren? Und wo geht die Reise wirtschaftlich hin? Wir haben jemanden in Prag getroffen, der es wissen muss: den Chef der Wirtschaftskammer Südböhmen, Luděk Keist.

Wie sehen die aktuellen Wirtschaftsstrukturen in Südböhmen aus?

Der Südböhmische Kreis ist schon lange nicht mehr nur von der Landwirtschaft geprägt, mittlerweile gibt es auch viel Industrie. Das erkennt man auch an den Firmen, die sich dort angesiedelt haben. Zum Beispiel beschäftigt Bosch heute etwa 4000 Mitarbeiter. Dann gibt es auch Firmen mit tschechischen Eigentümern wie Motor Jikov, Brisk Tábor oder die Lebensmittelhersteller Madeta und die staatliche Brauerei Budweiser. Zudem gibt es noch zahlreiche mittlere Unternehmen mit bis zu 250 Angestellten, viele von ihnen mit ausländischer Beteiligung, und kleinere Unternehmen. Einen großen Einfluss hat natürlich die Grenznähe zu Deutschland und Österreich.

Die Industrie ist also stärker geworden. Woran liegt das?

Auch an der Grenznähe. Deutschland ist vor Österreich der größte Investor im Südböhmischen Kreis. Nach der Wende brauchten die früheren Staatsbetriebe nicht mehr so viele Mitarbeiter, und im Maschinenbau gab es relativ günstige und gut ausgebildete Arbeitskräfte, obwohl es eine Landwirtschaftsregion war.

Wie sieht es mit der Infrastruktur aus, dem Fundament für jedes Business?

Alles andere als optimal. Der Bau einer Autobahn zwischen Prag und Budweis geht zum Beispiel auf einen Regierungsbeschluss aus dem Jahr 1963 zurück. Seitdem redet man immer nur darüber. Wir sehen aber besseren Zeiten entgegen. Die Abschnitte nach Budweis sollen in diesem und im nächsten Jahr fertig werden, die zur österreichischen Grenze hin vermutlich 2025. Auch an einem Eisenbahnkorridor wird gebaut – das wird auch noch etwas dauern. Ein Problem sehe ich in der Anbindung an Passau. Der Zustand der Straßen entspricht nicht dem Verkehrsaufkommen. Hier haben alle etwas verschlafen. Die Zusammenarbeit, besonders mit Bayern, ist überaus wichtig.

Wie steht es um die digitale Infrastruktur?

Breitbandanschlüsse und schnelles Internet sind noch nicht so verbreitet, wie es sein sollte. Das ärgert mich. Universitäten und staatliche Einrichtungen haben schon überall optische Kabel, aber ansonsten ist das nicht die Regel. Backbone-Netzwerke ja, aber die Verteilung innerhalb der Städte stellt auch für die Firmen ein Problem dar.

Warum gibt es die Straßen noch nicht, obwohl sie schon so lange geplant sind?

Die offizielle Version oder die richtige?

Reinen Wein bitte!

Die inoffizielle Version sieht so aus, dass der Kreis Südböhmen wenig Einwohner hat und deshalb relativ schwach im Parlament und in der Regierung vertreten ist. Außerdem hatte Südböhmen keine Probleme mit der Arbeitslosigkeit, weswegen die Autobahnen eher in Richtung Ostrava oder Ústí nad Labem gebaut wurden.

Wie sollte Südböhmen wirtschaftlich wahrgenommen werden, was wünschen Sie sich?

Das Kreisamt verfolgt das Konzept „Entspanntes Südböhmen“. Dabei soll der wichtige Tourismus mit einer verträglichen Industrie verknüpft werden. Also keine großen Stahlwerke, sondern eher – wie in Niederbayern – kleine und mittlere Unternehmen, die so über das Land verstreut sind, dass die Leute eine gute Arbeit finden, eine Arbeit mit höherem Mehrwert, technologisch interessant.

Wo liegen dort die größten Herausforderungen?

Im Schulwesen. In Südböhmen haben wir einige Hochschulen oder Zweigstellen. Allerdings ist die Südböhmische Universität vor allem auf Biologie, Landwirtschaft, Theologie und Wirtschaft ausgerichtet. In Pilsen, Brünn, Prag und Liberec dagegen gibt es technische Universitäten. Die fehlen uns hier. Es ist schwierig, Absolventen der Prager ČVUT nach Budweis zurückzuholen. In der Kammer befassen wir uns natürlich auch mit Industrie 4.0, mit Automatisierung und Digitalisierung, gemeinsam mit der IHK Niederbayern und der DTIHK. Wir helfen den kleinen und mittelständischen Unternehmen. Einige halten Industrie 4.0 für eine Blase, andere für eine Katastrophe. Wir müssen also auch ein wenig Aufklärungsarbeit leisten.

Dieses Projekt der drei Kammern heißt „Grenzregion 4.0 – gemeinsam.digital.gestalten“. Der Stand der Unternehmen bei Digitalisierung und i4.0 soll ermittelt werden. Wann liegen Ergebnisse vor, und wie bewerten Sie die aktuelle Lage?

Die Ergebnisse sollten Ende 2020 vorliegen. Bei der Umfrage verwenden wir auch den „Industry Cluster 4.0“ der Wirtschaftskammer in Brünn, die mit der Regierung an einer Förderung von Unternehmen arbeitet. Es gibt zwar Firmen, die dafür schon Mitarbeiter ausgegliedert haben. Die Erfahrung der Brünner zeigt jedoch, dass die beste Firma in Südmähren erst 40 % des Möglichen erreicht hat. Und dabei handelt es sich um eine japanische Firma. Unsere befinden sich also darunter – die Datensicherheit ist dabei auch ein Problem.

Werden irgendwelche Schritte eingeleitet?

Wir wollen auf jeden Fall am Thema „Industrie 4.0“ weiterarbeiten. Wir haben ein Kooperationstreffen organisiert, an dem unter anderem Top-Manager von Siemens CZ und Vertreter von Škoda Auto teilnahmen. Insgesamt waren rund 60 Firmen präsent. Die Teilnehmer diskutierten noch zwei Stunden nach der Veranstaltung und tauschten Erfahrungen aus.

Das Schulwesen wird erst nach der Schlacht vorbereitet sein

In Zeiten der Digitalisierung sind hochqualifizierte Arbeitskräfte gefragt. Können die Menschen, Schulen und Universitäten im Südböhmischen Kreis darauf reagieren?

Das Schulwesen wird wohl vorbereitet sein, wenn die Schlacht schon geschlagen ist. Viel wird von den Schülern oder Studenten abhängen. Vor kurzem wurden die „Cross Border Awards“ der Wirtschaftskammern in Niederbayern, Oberösterreich und Südböhmen vergeben. Wir haben die Firma MS Kart ausgezeichnet, die Chassis herstellt und Motoren für KTM verbessert. Um das Chip-Tuning kümmert sich ein 16-Jähriger, der das schon seit seinem 13. Lebensjahr macht. In Südböhmen gibt es keinen Besseren. Dieser Junge will irgendwann eine Firma im Silicon Valley aufmachen. Die Jüngeren haben also Ziele und bleiben dran. Das stimmt mich optimistisch.

In Österreich und Deutschland gibt es das System der dualen Berufsausbildung. Schauen Sie etwas neidisch zu den Nachbarn?

Wir arbeiten mit den IHKs zusammen und lassen uns alles erklären. Wir haben sogar Pädagogen aus unseren Mittelschulen dorthin gebracht, damit sie das System vor Ort kennenlernen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das ganze duale System derzeit bei uns einführen könnten. Gewisse Elemente sicher. Aber Unternehmen und Schulen helfen sich schon gegenseitig. Viele Firmen haben Vereinbarungen mit berufsbildenden Schulen getroffen. Größere Unternehmen verfügen über Ausbildungszentren, in denen Schülern die Praxis nähergebracht wird. Das funktioniert, aber nur an einigen Schulen und in einigen Unternehmen – nicht systematisch.

Die Innovationsstrategie der Regierung setzt auf geänderte Investitionsanreize. Sie will nicht mehr Produktion unterstützen, sondern Forschung und Entwicklung sowie Business mit höherem Mehrwert. Eine gute Idee für Südböhmen?

Bestimmt. Wenn ich das von der wirtschaftlichen Seite aus betrachte, das BIP pro Kopf ist relativ niedrig, gibt es hier viele Firmen, die Zulieferer für die Automobilindustrie sind. Deren Margen sind verhältnismäßig gering. Technologisch interessante Unternehmen, die Produkte mit hohem Mehrwert herstellen, die brauchen wir hier.

Bei Ihnen gibt es aber zu wenig junge Techniker und IT-Experten. Besteht da nicht die Gefahr, dass die neue Investitionsförderung in Südböhmen nicht funktioniert?

Ein bisschen schon. Von den technologisch interessanten Unternehmen gibt es bei uns nicht allzu viele. Und oft sitzen deren Mutterkonzerne z. B. in Japan oder den USA, dort löst man dann auch die Probleme.

Nicht sonderlich an weiteren Investoren interessiert

Wie überzeugen Sie einen Investor aus dem verarbeitenden Gewerbe oder dem IT-Bereich, dass er zu Ihnen kommt und nicht etwa nach Pilsen?

Unsere Unternehmer sind wegen der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht sonderlich an weiteren Investoren interessiert. Vor kurzem siedelte sich eine chinesische Firma hier in einer Stadt an, und fast alle waren sauer auf die Stadtverwaltung, dass sie das zugelassen hatte. Denn das entzieht den anderen Firmen Personal. In Bezug auf IT- und Technologieunternehmen sieht das natürlich anders aus. In diesem Bereich sind Investoren willkommen, gegenüber dem Kreis Pilsen befinden wir uns aber im Hintertreffen. Auf der anderen Seite haben wir eine herrliche Natur, eine saubere Umwelt – ideal für das Familienleben. Im Kreis Pilsen wurde so viel investiert, dass dort die Suche nach Arbeitskräften langsam noch schwieriger ist als hier.

Interview: Christian Rühmkorf

Foto: Tomáš Železný