Wissen, wohin die Reise geht
Interview mit Peter Köhler, dem CEO von Leo Express
Peter Köhler verortet man dem Namen nach sofort nach Deutschland. Da kommt er auch her. Seine familiären Wurzeln liegen allerdings in Tschechien. Nach Umwegen über London und Österreich ist er dahin wieder „zurückgekehrt“. Mit Leoš Novotný setzt Köhler heute neue Standards im Personentransport und mischt von hier aus mit, wenn das Bahnbusiness in Europa Gleis für Gleis liberalisiert wird. Der Physiker und Banker ist heute Chef des tschechischen Bahn- und Busbetreibers Leo Express.
Sie sind eigentlich Banker, haben vorher bei der Raiffeisenbank in Wien gearbeitet. Was hat Sie ganz am Anfang am meisten überrascht, als Sie 2012 bei Leo Express und damit ins Bahnbusiness eingestiegen sind?
Das hat bei mir erst einmal ein großes Entsetzen ausgelöst. Einerseits war es schwierig und chaotisch, dieses Startup aus dem Boden zu stampfen. Auf der anderen Seite Entsetzen darüber, wie schwierig das Umfeld war. Wir kaufen ja sehr stark auch bei der Staatsbahn ein, was Instandhaltung, Depots und andere Dienstleistungen angeht. Für mich war einfach unbegreiflich, wie wenig kommerziell diese Institutionen ausgerichtet waren, überhaupt nicht daran interessiert, mit uns in eine Geschäftsbeziehung zu treten. Die Kommerzialisierung des Bahnbereichs ist jetzt teilweise nachgeholt worden mit dem vierten Eisenbahnpaket der EU, das Streckenausschreibungen ab 2023 vorschreibt.
Das Neue entsteht ja dort, wo alte Ordnungen in Frage gestellt werden. Was genau haben RegioJet und Leo Express damals in Frage gestellt?
Wir haben ein ganz neues Produktverständnis gebracht und einen viel größeren Kundenfokus. Das fängt schon bei der Buchung an, man hat automatisch einen Sitzplatz und ein Ticket für eine bestimmte Fahrt. Dadurch können wir die Preise regulieren und die schlechter besetzten Verbindungen besser auslasten. Was das Produkt betrifft – wir betreuen jeden Fahrgast individuell. Ein Must-have ist ja heute schon WiFi, aber auch die Betreuung am Sitzplatz mit Catering. Das gab es alles nicht. Und das geht jetzt weiter: Unser Anspruch ist, mit dem Kunden von Tür zu Tür zu denken, Door-to-Door. Wir versuchen also, die ganze Wertschöpfungskette abzudecken, von der Buchung bis hin zur finalen Destination. In der Zlín-Region haben wir schon einen Minibus-Transport bis an die finale Adresse.
„Von Tür zu Tür denken”
Das tschechische Schienennetz ist veraltet, stammt teilweise noch aus Habsburger Zeiten. Was ist zu tun?
Das entspricht heute nicht mehr der modernen Verkehrsplanung. Die Elektrifizierung der Strecken ist in Tschechien noch sehr niedrig – etwa 30 %. In Deutschland sind es mehr als zwei Drittel. Das Schienennetz muss den Traffic-Flow in Tschechien, aber auch ins Ausland gut abbilden. Ein paar Zahlen: Tschechien hat heute ein Schienennetz von etwa einem Meter pro Kopf, doppelt so viel wie Deutschland. Das ist eines der dichtesten Schienennetze Europas. Aber bei der Pro-Kopf-Nutzung liegen wir 20 bis 30 % unter Deutschland. Das liegt auch am schlechten Zustand der Infrastruktur und den niedrigen Geschwindigkeiten. Das Schienennetz entspricht technologisch den Anforderungen der Schwerindustrie aus der ersten industriellen Revolution und vernetzt die Regionen untereinander und nach Prag sehr schlecht, wie Karlsbad, Zlín, Liberec, aber auch Mladá Boleslav, wo Škoda Auto und seine Zulieferer ja fast 10 % des tschechischen Wirtschaftsprodukts generieren, aber keine vernünftige Schienenverbindung nach Prag haben. Das ist unmöglich. Dann die Infrastruktur ins Ausland. Die einzige Schienenverbindung Richtung Berlin und Hamburg führt durch das Elbtal, eine sehr schöne Strecke, aber für den Massenverkehr ungeeignet. Richtung München und Frankfurt muss unbedingt der Korridor elektrifiziert, verbessert und zweigleisig geführt werden. Dann hätte man erst einmal das erreicht, was es schon längst im Bereich Straße gibt.
Was muss man als Topmanager eines Newcomers im Bahnbusiness können, um den Einstieg in den Markt zu finden. Der Konkurrenzkampf – auch in den Medien – ist ja enorm. Überall gelbe Züge, gelbe Busse, grüne Busse…
Man muss den richtigen Entry-Punkt finden. Das ist bei Leo Express am Anfang nur bedingt gelungen, weil es schon einen anderen Privaten gab. Der CEO muss die richtigen Ziele und die richtige Vision für das Unternehmen haben, wissen, wohin geht die Reise. Natürlich geht das hin in Richtung Kosten- und Produktoptimierung. Da gibt es schon Unterschiede zwischen uns und RegioJet oder auch anderen Betreibern. Bei uns gibt es beispielsweise immer eine Businessclass und eine Premiumclass, die Businessclass gibt es bei uns auch im Fernbus. Es heißt ja immer, dass sich die Privaten untereinander bekämpfen. Aber alle Privaten zusammen haben nicht mehr als 5-10 % Marktanteil. Die Staatsunternehmen – ob Deutsche Bahn oder České dráhy – dominieren nach wie vor den Markt. Was passieren muss, ist, dass einfach weniger subventioniert wird. Und dann können sich die Privaten mehr in diesem Markt entfalten.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen dem tschechischen und dem deutschen Markt? Beide bedienen Sie.
Der tschechische Markt ist von der Kunden- und Produktseite sehr weit entwickelt. Was wir heute anbieten in unseren Bussen und Zügen, ist schon ein Spitzenangebot mit WiFi, Steckdosen, Catering am Sitzplatz, frisch gebrühtem Kaffee und so weiter. Das hebt den tschechischen Markt sehr stark vom deutschen ab. Auf der anderen Seite ist das Preisniveau in Tschechien relativ niedrig, auch aufgrund der Wettbewerbssituation. In Deutschland ist der Intercityverkehr zwischen den größeren Städten nicht mehr subventioniert, Dresden-Berlin zum Beispiel. Da ist Deutschland wettbewerbsfreundlicher.
Sie haben im vergangenen Jahr gemeinsam mit FlixTrain das insolvente Unternehmen Locomore übernommen mit der Strecke Stuttgart-Berlin. Wieso sind Sie überzeugt, dass Sie das besser können?
Unsere Wertschöpfungskette geht viel tiefer als die vom Locomore-Team. Wir machen bei Leo Express vieles selber. Von Instandhaltung bis zum Betrieb haben wir optimalisierte Abläufe und sind in der Lage, den Sitzplatzkilometer billiger zu produzieren als Locomore. Und deswegen glauben wir, dass wir langfristig wettbewerbsfähiger sind. Zurzeit bauen wir in China neue Triebzüge, wo Design und viel Produktinnovation von uns kommen.
Ist die Locomore-Strecke ein Geschäft, wo Sie noch reinbuttern müssen?
Das müssen wir nach wie vor weiter unterstützen, sei es jetzt finanziell oder personell. Aber grundsätzlich ist es so, dass aufgrund des Partnerships mit FlixTrain der Ramp-up dort relativ schnell ging und wir uns voll auf die betrieblichen Aspekte konzentrieren konnten.
Leo Express hat einen Marktanteil von 1,3 %, wie sehen die Bilanzen 2017/2018 aus?
2018 können wir nochmal ordentlich unseren Umsatz steigern und werden bei knapp 30 Millionen Euro liegen, doppelt so viel wie letztes Jahr. Ein enormes Wachstum. Auch auf Ebitda-Ebene gehen wir für die Gruppe von einem positiven Ergebnis aus, ausreichend, um weitere Projekte zu finanzieren. Aber grundsätzlich ist Leo Express noch aufgrund der starken Expansion ein Cash-Flow negatives Unternehmen. Sobald wir uns entscheiden, nicht mehr zu expandieren, würde die Profitabilität wachsen.
„Nicht 24 Stunden am Tag unter Wasser”
Also wachsen oder sterben?
Genau, gerade in diesem Geschäft geht es darum, wer den Sitzplatzkilometer am billigsten herstellen kann. Wir wollen auf jeden Fall weiter wachsen. Wir sind derzeit in Mittelosteuropa und Deutschland, aber in Skandinavien wird sehr viel liberalisiert, in der Benelux-Region und in Frankreich fängt das jetzt an.
Was sind die geplanten Projekte in Tschechien, wo 2019 neue Verträge mit den Regionen gemacht werden, aber auch grenzüberschreitend?
Die Säulen unseres Geschäftsmodells sind eigen- und gemeinwirtschaftlicher Schienenverkehr und die Fernbusse, die aber eher als Zubringerbusse zum Schienennetz funktionieren. In Tschechien wollen wir uns auf den gemeinwirtschaftlichen Bereich konzentrieren, aktuell in den Regionen Pardubice und Zlín. Dann wollen wir in der Slowakei und Polen weiterarbeiten. Dort sind wir ja bereits aktiv. Wir haben alle Bewilligungen und Lizenzen und sind optimal aufgestellt, um uns auch dort zu bewerben. Und dann natürlich Deutschland. Dort sehen wir extrem viel Marktpotenzial im regionalen Verkehr, wir wollen auch bald Prag und Berlin mit unseren Zügen verbinden.
Eine persönliche Frage: Ist das nicht einfach wahnsinnig anstrengend, dieses Business, der dauernde Konkurrenzdruck von allen Seiten? Wie halten Sie das als Topmanager aus?
Ich fahre privat auch sehr gerne Bahn, man muss einfach eine gewisse Liebe dazu haben. Als Banker habe ich immer Businesspläne diskontiert und beurteilt, jetzt habe ich die Möglichkeit, selber einen Businessplan zu bauen. Das ist schon etwas, was einen täglich vorwärtstreibt.
Wie kompensieren Sie den Stress?
Privat natürlich mit meinen zwei Kindern, in Wien. Viel Zeit verbringen wir auch in Südböhmen, wo ich einen alten Bauernhof gekauft habe. Das ist auf halber Strecke zwischen Prag und Wien. Man muss sich in seinem Kopf so ein bisschen was freihalten, dass man nicht 24 Stunden am Tag unter Wasser ist. Ich gehe oft in Konzerte und bin selber noch aktiver Musiker. Das brauche ich einfach.
Welches Instrument?
Ich spiele am meisten Klavier, in der Vergangenheit sehr viel Klarinette.
Welcher Trend spielt in Sachen Mobilität in 5 bis 10 Jahren die erste Geige?
Auf jeden Fall die Elektrifizierung. Auch bei Bus und Auto. Dann die größere Autonomisierung. Das hat man schon bei der Bahn mit dem Sicherungssystem ETCS, bei den Autos kommt das jetzt.
Sie hatten es schon angedeutet: Der ökologische Bahnverkehr ist für Ihre Strategie die tragende Säule. Das heißt aber auch, dass Sie im umkämpften Busmarkt nicht weiter expandieren wollen?
Das stimmt, wir glauben, dass die Schiene der nachhaltigste Verkehrsträger ist, in der Energiebilanz einfach unübertroffen, auf jeden Fall effizienter als der Fernbus. Insofern sehen wir den Bus nur als Zubringer dort, wo es keine Schiene gibt. Es macht aus unserer Sicht einfach keinen Sinn, dass Busse parallel zur Schiene gefahren werden.
Es geht um Nachhaltigkeit?
Ja. Wir kaufen in Deutschland beispielsweise Ökostrom ein. In Tschechien geht das leider noch nicht. Wo wir die Möglichkeit haben, unser Produkt nachhaltiger zu machen, tun wir das. Das ist ein wichtiger Teil unserer Unternehmensphilosophie. Wir wollen auf keinen Fall Dinge machen, die einfach unsinnig sind.
Glauben Sie, dass die Kunden das belohnen?
Ich glaube schon. Heute ist es einfach wichtig, dass man zeigt, wofür man steht. Langfristig zahlt sich das aus.
„Der deutsche Fahrgast denkt nachhaltiger”
In Sachen Nachhaltigkeit ist der deutsche Markt sicherlich ein Stück weiter als der tschechische, oder?
Absolut. Der deutsche Fahrgast denkt nachhaltiger als der tschechische. Viele unserer deutschen Kunden würden Dosenbier nicht akzeptieren, sondern bevorzugen Produkte mit nachhaltigeren Verpackungen.
Und was ist bei Ihnen persönlich das Verkehrsmittel Nr. 1, um von A nach B zu kommen? Hand auf´s Herz…
Als ich CEO wurde, habe ich mein Auto verkauft. Ich wollte als Versuchskaninchen ausprobieren, ob ich ohne privates Auto auskommen kann. Das hat dazu geführt, dass ich viel mehr Bahn fahre und zusammen mit meinen Kollegen unsere eigene Carsharing-Platform gegründet habe, die wir heute gemeinsam mit Škoda Auto DigiLab als Peer-to-Peer Carsharing HoppyGo führen. Natürlich nutze ich auch Fernbus und Low-Cost-Airlines. Das eigene Auto sehe sich als ein Symbol der Vergangenheit.
Wir haben einen enormen Fachkräftemangel in Tschechien und gleichzeitig ein Ausbildungssystem, das wenig praxisbezogen ist. Kriegen Sie genug Leute für Ihr Business?
Lokführer, Zugführer, Mitarbeiter für die Instandhaltung, das ist in der Tat ein Problem. Wir bieten an den Universitäten Praktika an und gehen schon im 3. oder 4. Studienjahr auf Studenten zu. Da arbeiten wir u.a. mit der ČVUT, Karlsuniversität, VŠE oder der Universität Pardubice zusammen.
Studenten werden natürlich selten Lokführer…
Das stimmt, die gehen meistens in den Bereich Verkehrsplanung, Marketing oder IT. Was Lokführer, Busfahrer usw. angeht, da müssen wir dann die Konditionen verbessern und ein familienfreundliches Umfeld schaffen. Da muss man kreativ sein, um diese Leute ins Boot zu holen und zu halten. Wir bilden auch selber aus, einige Mitarbeiter aus der Ukraine sind bei uns Lokführer geworden.
Ihre Eltern sind 1968 aus der Tschechoslowakei emigriert. Sie sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, haben aber schon in den 1990er Jahren in Tschechien gearbeitet…
Als Banker habe ich im Zuge der Privatisierungen in Osteuropa gearbeitet, auch in Prag. Für JP Morgan, für KPMG, und dann später in Wien für die Raiffeisenbank, wo ich das private Equity-Team für Zentral- und Osteuropa geleitet habe. Dort habe ich auch Leoš Novotný (Gründer, Vorstandsvorsitzender und Hauptaktionär von Leo Express, Anm. d. Red.) kennengelernt, der ursprünglich als Analyst bei mir im Team gearbeitet hat. 2012 bin ich dann zum Leo-Team dazu gestoßen.
Aber Sie waren nicht immer Banker. In London haben Sie Physik studiert und auch als Physiker gearbeitet. Man hat ja fast das Gefühl, dass Physiker Allzweckwaffen sind. Die können Kanzler, die können Banker, die können Bahnchef…
Das Physikstudium gibt einem eine gute Basisausbildung, aber später muss man sich spezialisieren. Und ich hatte das Gefühl, dass meine Arbeit mehr gesamtgesellschaftlich ausgelegt sein sollte. Aber im Bahnbusiness sind Physikkenntnisse von Vorteil, auch um technische Probleme oder Lösungen besser analysieren und einschätzen zu können.
Interview: Christian Rühmkorf
Bildquelle: Tomáš Železný