Wie Fielmann mit einem Lächeln den tschechischen Brillenmarkt erobern möchte

Christoph Schlesiger kennt das Land und das Brillengeschäft. Der Countrymanager von Fielmann leitet seit 2021 die Expansion des Optikunternehmens in der Tschechischen Republik. Zwischen Servicewüste und Bürokratiewahnsinn erklärt er, wie Fielmann den neuen, kaum konsolidierten Markt erobern will – und warum schon ein Lächeln den größten Unterschied im Wettbewerb macht.

Christoph Schlesiger, als Sie für Fielmann nach Tschechien kamen, war das Land schon längst eigentlich keine Terra Incognita mehr für Sie, oder?

Absolut nicht. Ich habe hier im Jahr 2014 ein Auslandssemester absolviert, kannte daher Tschechien schon ganz gut. Ich liebe das Abenteuer, und deswegen war es super interessant, hier die Chance zu bekommen, in einem neuen Markt unser Konzept auszurollen und zu schauen, wie wir uns bei den tschechischen Kunden so positionieren, dass sie in Zukunft hier jede zweite Brille von Fielmann kaufen.

Aber auch Mittelosteuropa insgesamt hat Sie interessiert. Schon 2013 haben Sie bei unseren Kollegen in der AHK Rumänien ein Praktikum gemacht…

Genau! Während des Studiums habe ich mir zum Ziel genommen, meine Fühler mal in ganz unterschiedliche Richtungen auszustrecken. In kleinere Unternehmen, größere Unternehmen und eben auch in semi-staatliche Organisationen.

Was unterscheidet Rumänien und Tschechien?

Die Mentalität, denke ich. Die Rumänen wirken auf mich eher ein bisschen südländischer, offener, kommunikativer. Wohingegen die Tschechen anfangs etwas zurückhaltender sind und sich dann erst öffnen und sehr humorvoll sind, ein bisschen wie die Deutschen.

Trotzdem hat Sie dieser Markt gereizt?

Ja, einfach mal in ein Land zu gehen, dort von Tag eins an alles aufzubauen, Büro anzumieten, Laden anzumieten, erste Menschen einzustellen. Und aus Unternehmensperspektive hat uns an Tschechien die Tatsache gereizt, dass dieser Markt im Vergleich zu Deutschland sehr wenig konsolidiert ist. Es gibt nur eine internationale Kette. Und das ist für uns erstmal ein sehr interessanter Markt, weil kleinere lokale Anbieter meistens auch höhere Preise bedeuten. Das macht den Markt auch finanziell sehr interessant.

Wie ist der aktuelle Stand Ihrer Expansion in Tschechien?

Wir haben jetzt gerade in Teplice die 18. Niederlassung eröffnet. Wir sind damit eigentlich genau in dem Plan, den wir uns vorgenommen hatten zum Marktstart 2021. Unser Ziel ist es, in jede Stadt mit 50.000 und mehr Einwohnern zu gehen und damit mittelfristig ungefähr bei 30 bis 35 Niederlassungen in Tschechien zu landen.

Wenn ich Fielmann höre, dann denke ich sofort an eine Fotografie aus den 1970er Jahren, wie Günther Fielmann im Dachgeschoss seines Cuxhavener Hauses an Brillen rumfeilt. Heute ist Fielmann eine der bekanntesten Marken in Deutschland. Wie würden Sie den Markenkern beschreiben?

Unser Markenkern ist ganz klar: „Der Kunde bist du“. Wir leben in allen Ländern exakt den gleichen Ansatz. Was bekommt der Kunde bei den Wettbewerbern nicht? Wo können wir besser sein? Und das ist weitaus mehr als nur der Preis. Wir haben zum Beispiel die Nulltarifbrille. Der Kunde bezahlt nur für die Gläser. Unser Ziel ist es, im Gesamtprodukt am Ende günstiger zu sein als jede Alternative.

Ein anderes Thema: Jede Reklamation von Kunden wird anerkannt. Wir gehen davon aus, dass der Kunde eine Reklamation nicht zum Spaß macht, sondern weil er ein Problem hat. Was wir auf dem tschechischen Markt beobachten, ist eine Mentalität, die – im Einzelhandel allgemein – hart gegen Reklamationen vorgeht. Ein Umtausch im stationären Einzelhandel ist hier ja quasi unmöglich. Außer die Händler bieten das als Zusatzleistung an. Und das ist für uns natürlich sehr gut, weil wir dem Kunden etwas bieten, was er nicht erwartet und ihn positiv überrascht.

Tschechen sind nicht besonders serviceverwöhnt. Warum ist das Land noch eher eine Servicewüste?

Ich glaube, ein Grund ist die historische Erfahrung, dass die Menschen bis 1990 eigentlich immer als Bittsteller ohne Kundenrechte in die Geschäfte gekommen sind. Die Firma, die etwas zu verkaufen hatte, war in einer exklusiven Position, sie hatte etwas, was der Kunde brauchte. Ich denke, an vielen Stellen sitzt diese Mentalität bei den Menschen noch sehr, sehr tief. Selbst erlebe ich es immer wieder, dass ich in Geschäfte komme und von mürrischen Verkäufern beäugt werde, wie ich denn dazu komme, jetzt ihre Ruhe zu stören. Wir sagen unseren Mitarbeitern ganz klipp und klar: „Freundlichkeit kann jeder!“

Mit anderen Worten, sie lächeln sich auf den tschechischen Markt.

Hier ist das schon ein Faktor, der im Wettbewerb den Unterschied macht, erstmal überhaupt freundlich sein. Und das kostet nichts!

Etwa 44 % der Tschechen tragen eine Brille, weitere 9 % nutzen Kontaktlinsen. In Deutschland sind zwei von drei Einwohnern Brillenträger, also wesentlich mehr. Zudem wird eine Brille in Tschechien länger getragen als im Nachbarland. Können Tschechen denn besser sehen?

Ich glaube, dass in Tschechien die Brille von der Bevölkerung immer noch als ein Stigma gesehen wird, irgendwie unvollkommen und unperfekt zu sein. Die Brille wird noch nicht so sehr als ein modisches Accessoire, als ein Statement gesehen.

Auch bei hochwertigeren Sehhilfen wie der Gleitsichtbrille ist der Anteil in Tschechien mit 12 bis 15 % weniger als halb so groß wie in Deutschland. Warum?

Da sind wir wieder beim Thema Reklamation. Die Gleitsichtbrillen sind höherwertige Produkte. Wenn die Kunden die Erfahrung gemacht haben, dass eine Reklamation kaum anerkannt wird und sie am Ende mit 15.000 oder 20.000 Kronen hängen gelassen werden, mit einer Brille, die sie nicht tragen können, weil sie davon Kopfschmerzen haben, dann werden sich diese Menschen beim nächsten Brillenkauf sehr genau überlegen, ob sie nochmal dieses Risiko eingehen.

Herr Schlesiger, schauen wir mal ganz konkret auf den Aufbau einer Filiale. Wie läuft das ab, wo gibt es Hürden, was geht einfacher als in Deutschland?

Der größte Unterschied beginnt, wenn ich die Ladenfläche habe. Liegt die Ladenfläche in einem Einkaufszentrum, dann kann ich in Deutschland einfach loslegen und sie gestalten. In Tschechien muss ich schon einen Bauantrag stellen, wenn eine kleine Wand einziehen möchte, um einen Hinterraum abzutrennen. Das kennen wir so aus keinem anderen Land. Man braucht hier weitaus längere Vorlaufzeiten.

Was die Situation richtig kompliziert macht in Tschechien im Bereich Augenoptik, ist die Refraktion, also das Messen der Sehstärke bei unseren Kunden. Damit bieten wir eine Dienstleistung aus dem medizinischen Bereich an und müssen den gleichen Genehmigungsprozess durchlaufen wie eine Arztpraxis. Wir haben Filialen, wo wir uns seit zwei, drei Monaten damit rumschlagen und in den Mühlen der Bürokratie gefangen sind. Es sind die lokalen Behörden, die da auf die Bremse treten.

Geben Sie mal ein Beispiel aus der Kuriositätenkiste!

Wir haben in unseren Refraktionsräumen üblicherweise ein Waschbecken, weil sich Kunde und Optiker vor der Anpassung von Kontaktlinsen die Hände waschen sollten. In einigen Städten haben wir plötzlich die Auflage vom Gesundheitsamt, noch ein zweites Waschbecken zu haben, eins für den Kunden und eins für den Mitarbeiter, nebeneinander. Jeder einzelne Standort hat andere Vorgaben. Einmal mussten wir die Eröffnung einer Filiale um zwei Tage verschieben, weil uns eine Aufsichtsbehörde mitgeteilt hat, dass die Markierung auf der Eingangstür für sehbehinderte Menschen rund einen halben Zentimeter zu tief angebracht war.

Wenn ich nicht wüsste, dass wir jetzt über Tschechien reden, würde ich denken, Sie reden über Deutschland.

Ja, ich habe auch immer gedacht, nur Deutschland wäre ein Bürokratiewahnsinn. Aber in Tschechien können selbst wir Deutschen noch etwas über Bürokratie lernen 😉

Wenn Sie heute andere deutsche Unternehmen beraten müssten, was würden Sie über Tschechien sagen?

Das Allerwichtigste und mit Abstand Hilfreichste, was sie machen können, ist sich zuerst an die Außenhandelskammer zu wenden. Sie war für mich einer der wertvollsten Ansprechpartner hier in Prag, der die ganzen Ämter kennt, der auch schon weiß, wo vielleicht jemand sitzt, der ein bisschen komplizierter ist, wo man vorsichtig sein muss…

Was wünschen Sie sich von der Politik für den Standort Tschechien?

Das wichtigste Thema ist die Erteilung von Baugenehmigungen, aber auch die nationale Vereinheitlichung lokaler Vorschriften. Das zweite Thema ist die Ausbildung der Mitarbeiter. Das ist im Vergleich zu Deutschland ein sehr starres System, weil es keine betriebliche Ausbildung und Qualifikation der Mitarbeiter gibt. Das führt zu einem sehr großen Mangel an Fachkräften, weil es nur den Weg über die schulische oder universitäre Qualifikation gibt.

Letztes Stichwort: Digitalisierung. Welche Rolle spielen Online-Angebote für Fielmann im tschechischen Markt, wenn doch sie doch mit dem Service in der Filiale punkten?

Wir sind parallel „offline und online“ nach Tschechien gegangen, und am Ende findet jeder Kanal die richtigen Kunden.

Ein Blick in die Tech-Zukunft: Wird es in 10 Jahren überhaupt noch Brillen geben?

Eine Brille, die sich digital an die Sehsituation anpasst, das sind sicherlich Technologien, die noch weiter in der Zukunft liegen. Ich gehe davon aus, dass wir in der Art und Weise, wie wir heute Brillen kaufen, sicherlich noch bis 2035 Brillen kaufen werden.

Interview: Christian Rühmkorf
Foto: Zuzana Zavadilová; Fielmann

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