„Wir brauchen einen engeren Schulterschluss zwischen den politischen und wirtschaftlichen Entscheidern“

Wie hält Europas Autoindustrie dem Druck aus China, den USA und der EU- Politik stand? VW-Koryphäe Karsten Schnake gibt im PLUS-Interview ungewöhnlich offene Einblicke in seine Sicht auf China, seinen Umgang mit Zulieferunternehmen von Tschechien bis Südostasien, seine Chip-Vision für Mitteleuropa und seine klare Haltung zur CO₂-Politik der EU. Dieses Gespräch geht über Einkauf und Elektromobilität hinaus – es ist ein Appell für Technologieoffenheit und zeigt, warum Europas Autoindustrie noch längst nicht abgeschrieben ist.

Karsten Schnake, bei den Nachrichten, die uns täglich aus den USA erreichen, Stichwort Trump-Zölle, können Sie noch gut schlafen?

Grundsätzlich kann ich eigentlich immer gut schlafen. Das Wichtigste bei diesen geopolitischen Herausforderungen, die wir heute als Europäer, aber auch als Menschen aus der Wirtschaft erleben, ist es erstmal gute Nerven zu behalten, Ruhe zu bewahren und perspektivisch zu analysieren, was notwendig ist an Haltung, an Verhalten und an Handeln.

Škoda Auto legt einen starken Fokus auf Indien als Schlüsselmarkt und baut seine Präsenz in anderen aufstrebenden Märkten wie Vietnam und der ASEAN Region aus. Im europäischen Markenranking erreichte Škoda 2024 zudem den vierten Platz, 2023 war es noch Platz sieben. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung hat Škoda strategisch alles richtig gemacht, oder?

Das kann man mit einem klaren Ja beantworten. Unsere Performance in Europa ist für uns eine zentrale Säule unseres Erfolgs. Mit dem Ausbau unserer Markenpräsenz in Indien und ASEAN etablieren wir ein zweites starkes Standbein außerhalb unseres Heimatmarktes. Wir tragen seit vielen Jahren die Verantwortung innerhalb unseres Konzerns für die Region Südostasien und müssen dementsprechend auch damit sorgfältig agieren und detailliert planen, wie wir uns mit allen Marken im Konzern dort am besten aufstellen können. Für uns ist im Moment die aktuelle geopolitische Ausrichtung des Konzerns von Vorteil.

Was Donald Trump morgen früh wieder einfallen wird, ist für Sie jetzt nicht ganz so wichtig?

Škoda als Marke ist gegenwärtig nicht in den USA tätig. Aber wir sind eng verzahnt mit den anderen Marken der Markengruppe CORE. Mit Volkswagen haben wir eine enge Entwicklungspartnerschaft, innerhalb derer viele unserer Plattformkomponenten entwickelt werden. Und dementsprechend hat es auch einen Einfluss auf uns, wie erfolgreich die Marke Volkswagen operiert oder momentan in Nordamerika herausgefordert wird.

In Tschechien gibt es hunderte von Zulieferbetrieben. Ihre Qualität und Verfügbarkeit erreicht in unserer jährlichen Konjunkturumfrage immer ein Top-Ranking bei den Standortfaktoren. Sie sind mit diesen Betrieben in intensivem Kontakt. Wie geht es den Zulieferern in dieser Umbruchzeit, in dieser Krisenzeit?

Das ist für jeden eine extreme Herausforderung. Bei unseren Partnern gibt es heute noch einmal deutlich stärkere Unsicherheiten und Fragezeichen als bei den OEMs selbst, abhängig von den politischen Gesetzgebungen und Entscheidungen, zum Beispiel bei der Erneuerung von Kreditlinien oder der Finanzierung von Projekten. Am Ende des Tages sind wir als Marke Škoda abhängig von einer Partnerlandschaft, die stabil und leistungsfähig auf die Zukunft ausgerichtet ist.

Wie stark hat sich die Rolle der Beschaffung in den vergangenen Krisenjahren innerhalb Škodas und auch der Volkswagen-Gruppe gewandelt?

Ich selbst arbeite für die Volkswagen AG und jetzt für die Marke Škoda seit insgesamt 29 Jahren. Als ich nach meinem Studium bei Volkswagen angefangen hatte, war das Verständnis einer Beschaffungsorganisation – des Einkaufes – sehr stark fokussiert auf die kommerzielle Verhandlung, die kommerzielle Optimierung und das Finalisieren von Vertragsabschlüssen für technische oder qualitative Inhalte – unter Ausnutzung maximaler Wettbewerbseffekte.

Was manchmal schmerzhaft für die Partner war …

Selbstverständlich verhandeln wir mit unseren Partnern. Das ist vermutlich das, was Sie meinen. In manchen Phasen kann es auch sein, dass unsere Partner von uns Unterstützung benötigen zur Absicherung ihrer eigenen Lieferketten. Hier stehen wir ihnen als Partner dann ebenfalls zur Seite. Beides gehört dazu. Doch in den letzten Jahren ist die Versorgungs- und Kapazitätsabsicherung immer stärker in den Fokus gerückt, da die gesamte Branche immer häufiger Markt- und Nachfrageschwankungen ausgesetzt war.

Stichwort Halbleiterkrise …

Genau. Die Halbleiterkrise hat uns gezeigt, dass wir uns noch intensiver um die indirekten Partner kümmern müssen, die Unternehmen hinter unseren sogenannten First Tiers. Im nächsten Schritt steigen wir mit der Beschaffung noch stärker in das Thema Innovation ein, weil wir heute einige Technologien nicht mehr alleine entwickeln können. Mit Blick auf die sehr dynamische Zeit, in der wir leben, glaube ich nicht an eine Zukunft im Sinne von „Ich-integriere-alles-vertikal-in-meinem-Unternehmen“. Heute gibt es eine große Zahl von neuen Softwareingenieuren, ausgebildet an Universitäten in Nordafrika, Indien oder Südostasien. Und diese Vernetzung von Innovatoren, Startups und neuen Unternehmen ist das typische Geschäft einer Beschaffung. 

Zur Einordnung mal eine Größenordnung: Eine Marke wie Škoda beschäftigt heute rund 40.000 Menschen. Bei unseren direkten Zulieferern sind es heute mehr als eine halbe Million, die direkt mit uns zusammenarbeiten. Und in der zweiten, dritten Kette sind es noch einmal mehr. Dieses Netzwerk zu steuern und zu entwickeln, ist ein wesentlicher Baustein für die Zukunft.

Wie sichert Škoda derzeit die Versorgung mit kritischen Rohstoffen wie Halbleitern und Batteriematerialien? Läuft das reibungslos?

Ja, wir haben neue Prozesse eingezogen, Sicherheitslager aufgebaut und langfristige Absicherungsverträge geschlossen. Wir managen und handeln mittlerweile selbst mit Halbleitern. Und wir trainieren unsere Mannschaft systematisch, damit sie auf veränderte Bedingungen agil reagieren kann.

In Brünn ist vor Kurzem das nationale Kompetenzzentrum für Halbleiter eröffnet worden. Was soll dieses Zentrum leisten? Was kann es leisten?

Trotz aller Subventionen und Investitionen ist Europa bei der Halbleiterproduktion, aber auch in Software und Design nach wie vor weit entfernt von Asien und den USA. Das nationale Halbleiterzentrum in Brünn soll die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Wissenschaft und Forschung stärken und Tschechien strategisch in die europäische Halbleiter-Wertschöpfungskette einbinden.

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen humoristisch, aber wenn man mal den Bogen schlägt vom östlichen Bereich der Tschechischen Republik mit seiner agilen Halbleiterindustrie über die Software-Spots in Brünn und Prag bis hin nach Dresden, wo eigentlich das Zentrum der europäischen Halbleiterindustrie liegt, dann bildet sich da gerade die zukünftige „industrielle Banane“ Mitteleuropas. In dieser zentraleuropäischen Region zwischen Tschechien und Deutschland wird extrem viel entwickelt, da wird noch sehr viel Gutes zu erwarten sein.

Hohe Energiepreise, Inflation, EU-Regulierung. Wie kann die europäische Autoindustrie gegen die Konkurrenz aus China bestehen, wenn die Bedingungen so ungleich sind? Studien zeigen, dass die Herstellungskosten für Elektroautos in China rund 35 % niedriger sind als in Europa.

Es gibt in China einen sehr engen Schulterschluss zwischen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft bei der Frage, in welche Technologierichtung man gehen will und was es dafür an Unterstützung der Regierung bedarf. Ich halte das für die richtige Vorgehensweise. Mit einem pan-europäischen Ansatz sollten wir auf europäischer Ebene einen gemeinsamen Weg entwickeln, um die große Skepsis gegenüber E-Mobilität bei den Kunden zu überwinden.

Der Kunde kauft im Moment wieder verstärkt Verbrenner. Bei Škoda sind wir gut ausbalanciert zwischen Elektromobilität und Verbrennern. Unser CEO Klaus Zellmer betont häufig, dass wir das produzieren, was unsere Kundschaft haben möchte. Wenn unser europäisches Ziel eine CO2-neutrale Mobilität ist, braucht es jedoch einen engeren Schulterschluss zwischen den politischen und den wirtschaftlichen Entscheidern.

Ich habe auch ein Zellmer-Zitat von 2022: „Die Zukunft von Škoda ist elektrisch“. Würde er das heute noch genauso sagen?

Er sagt das sogar heute noch genauso! Für die Industrie ist es wichtig, sich wieder auf wenige Technologien und Plattformen zu konzentrieren. Das ist auch wichtig für unsere Lieferanten, damit sie ihre Investitionen und ihre Werksauslastung besser planen und absichern können. In der aktuellen Transformationsphase müssen wir sowohl Verbrenner als auch elektrische Plattformen parallel entwickeln, das sind enorme Investitionen. Die Zukunft ist eine elektrische Plattform, und für die muss günstige Energie zur Verfügung stehen.

Unsere AHK hat Ende Januar ein Strategietreffen zur Krise in der Automobilindustrie organisiert. Die Kernforderung war, die CO2-Strafzahlung nicht jährlich, sondern im Fünfjahreszyklus zu takten. Die EU-Kommission hat jetzt einen Dreijahreszyklus vorgeschlagen. Wie bewerten Sie die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission zur Rettung der Automobilbranche?

Wir begrüßen den Schritt der EU in Richtung eines Dreijahreszyklus. Wenn die reale Nachfrage nicht mit den geplanten Zielen übereinstimmt, müssen die Projektziele neu adjustieren werden – und das passiert gerade. Man sollte sich auch anschauen, wie man CO2-neutrale E-Fuels auf die Emissionsreduktion anwenden kann, wie in der Schweiz. Wir müssen darüber diskutieren, ob es Alternativen gibt, um die CO2-Ziele trotz der veränderten geopolitischen Gesamtlage und Energieversorgung zu erreichen.

Wagen Sie bitte eine Prognose, ein Worst-Case- und ein Best-Case-Szenario: Wo steht die europäische Autoindustrie in fünf Jahren?

Ich kann mich noch erinnern, als die europäische Automobilindustrie von neuen Wettbewerbern aus Japan herausgefordert wurde, eine Dekade später kamen neue Wettbewerber aus Korea und heute aus Nordamerika und China. Ich bin ich fest überzeugt, dass die europäische Automobilindustrie smart genug ist, auch weil sie Wettbewerb gewohnt ist. Die aktuell laufende Transformation der Industrie ist ein Marathon und kein Sprint. Ich glaube, dass wir noch sehr viel Positives von der europäischen Automobilindustrie sehen werden.

Mit Worst-Case-Szenarien brauche ich Ihnen gar nicht erst zu kommen …

Nein, dazu ist unsere Verantwortung zu groß. Ich erinnere mich, es war Ende Mai 1996, ich war zu der Zeit noch befristet bei VW angestellt. Da hatte ich ein Schreiben auf den Tisch bekommen, in dem sich der Bürgermeister einer mittelgroßen polnischen Stadt dafür bedankt, dass Volkswagen eine Beschaffungsentscheidung getroffen hatte, durch die der Zulieferer eines unserer Zulieferer dort relativ viel investiert hatte. Das hat mir das erste Mal verdeutlicht, welche Auswirkungen unsere Entscheidungen auch für Menschen haben, die hunderte oder tausende Kilometer weit entfernt leben. Das sollten wir nie vergessen.

Interview: Christian Rühmkorf
Foto: Tim Dantes

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