Interview mit Wirtschaftsminister Jozef Síkela

Unsere Prioritäten unterscheiden sich nicht so sehr

Wirtschaftsminister Jozef Síkela umreißt im Interview die anstehenden Aufgaben und Themen – mit großem Potenzial für die Zusammenarbeit mit Deutschland

Am Morgen nach Kriegsbeginn sind wir in einer „anderen Welt“ aufgewacht. Welche Ihrer wirtschaftspolitischen Pläne hat der Krieg erst einmal auf Eis gelegt und welche sind jetzt wiederum noch wichtiger?

Zweifellos ist nun die Energiewirtschaft das Thema Nr. 1. Wir müssen uns so schnell wie möglich aus der Energieabhängigkeit von Russland und damit aus der Erpressung durch den russischen Diktator Wladimir Putin befreien. Denn wir haben die moralische und strategische Pflicht, der Ukraine so weit wie möglich gegen den Aggressor zu helfen und Putin nicht für sein Gas zu bezahlen. Damit das gelingt, ist die bestmögliche Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern beim gemeinsamen Gaseinkauf, bei der anschließenden Verteilung und auch beim Aufbau einer geeigneten Energieinfrastruktur in ganz Europa erforderlich. Gerade die Zusammenarbeit mit Deutschland wird für uns entscheidend sein. Noch mehr Arbeit erwartet uns zu Hause, wenn es darum geht, die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen zu verringern. Bereits jetzt sind wir aktiv auf der Suche nach alternativen Lieferanten und Energiequellen und verhandeln über Kapazitäten bei Terminals in anderen Ländern. Auch im Bereich Energiesparen müssen wir mehr tun und Energiegewinnung aus erneuerbaren Energien stärker fördern.

„Wir müssen die Modernisierung der Industriebasis unterstützen“


Der deutsch-tschechische Handel hat 2021 mit einem Rekordergebnis von 2,15 Bio. Kronen und einem Positiv-Saldo für Tschechien abgeschlossen. Tschechien ist wie Deutschland eine Exportnation mit einer ganz starken Industrie im Bereich Automotive und Maschinenbau. Diese Stärke ist zugleich die Achillesferse in Zeiten der Pandemie und des Krieges, Stichwort Rohstoffpreise und Lieferkettenprobleme. Was ist jetzt wirtschaftspolitisch zu tun, um diesen systemrelevanten Branchen zu helfen?

Ich würde Autoindustrie und Maschinenbau nicht als Achillesferse bezeichnen. Es sind Schlüsselbranchen für die tschechische Industrie, mit denen Entwicklung von Technologie und Wissen sowie Beschäftigungsmöglichkeiten einhergehen. Es stimmt, dass Probleme der postpandemischen Zeit und vor allem die Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine zu bewältigen sind. In erster Linie geht es um die Störung der Liefer- und Abnehmerketten. Gemeinsam mit der im Ministerium angesiedelten Agentur CzechTrade helfen wir darum Unternehmen, die geschäftlich mit Russland, Weißrussland oder der Ukraine verbunden waren. Wir bieten ihnen Krisenberatung, helfen bei der Suche nach Rohstoffen von alternativen Lieferanten oder beim Zugang zu anderen, neuen Exportmärkten. Unsere Erfahrungen zeigen deutlich, dass unsere künftige Strategie nicht mehr auf billigen Arbeitskräften beruhen kann. Billige Arbeitskräfte beeinträchtigen langfristig die Struktur der Wirtschaft, bis hin zu einer rückläufigen Entwicklung. Wir müssen die Modernisierung der Industriebasis unterstützen, das ist unerlässlich, und auch die Förderung des Forschungs- und Innovationsumfelds muss Priorität bekommen – darin liegt der Schlüssel zu unserem künftigen Wohlstand.

In welchen Zukunftsbereichen sollte Tschechien nun seine Marktposition und Konkurrenzfähigkeit unbedingt stärken? Wo gibt es neue Möglichkeiten für eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Tschechien?

Wenn ich mir das Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung ansehe, erkenne ich mehrere Schwerpunkte: Elektromobilität, Energie und Umwelt, Digitalisierung sowie Forschung und Entwicklung. Es liegt auf der Hand, dass diese Bereiche auch für die tschechische Industrie eine Chance darstellen. Außerdem unterscheiden sich die Prioritäten der Bundesregierung nicht so sehr von unseren. Die Tschechische Republik ist zum Beispiel sehr an einer Zusammenarbeit mit dem VW-Konzern zum Bau einer Gigafactory für die Produktion von Elektroauto-Batterien interessiert. Deshalb hat unser Ministerium kürzlich einen Hubschrauber für eine deutsche Delegation organisiert, damit sich die VW-Mitarbeiter den möglichen Standort einer künftigen Fabrik von oben ansehen konnten. In naher Zukunft sehe ich jedoch die Energiewirtschaft als den wichtigsten gemeinsamen Interessensbereich. So habe ich zum Beispiel kürzlich an der Konferenz Czech-German Hydrogen Day“ teilgenommen, die Zusammenarbeit im Bereich Wasserstoff fördert. Ende März hatte ich auch ein sehr angenehmes Treffen mit dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck, mit dem ich über das mögliche tschechische Interesse an einer Kapazitätsbeteiligung an einem zukünftigen deutschen LNG-Terminal gesprochen habe. Ich freue mich, dass sich auch grenzüberschreitend eine sehr interessante Zusammenarbeit entwickelt – wir kooperieren mit Bayern im Bereich der 5G-Netze. Die Sächsisch-Tschechische Hochschulinitiative konzentriert sich auf Kooperation im Bereich Wissenschaft und Forschung. Als Beispiel für eine zukünftige grenzüberschreitende Zusammenarbeit kann wiederum die Chip-Entwicklung für künftige Fabriken von TSMC in Sachsen genannt werden, dem weltgrößten Auftragsfertiger für Halbleiter, bei dem auch Apple und AMD produzieren.

Jozef Síkela

… ist amtierender Wirtschaftsminister der Tschechischen Republik. Der in der Nähe von Pilsen geborene Politiker war zuvor international als Bänker und Manager tätig. Er leitete u.a. das Firmenkundengeschäft der Tschechischen Sparkasse (Česká spořitelna) und war Vorstandsmitglied der internationalen ERSTE Group. Mitte Dezember 2021 wurde er zum Minister für Industrie und Handel ernannt.

Interview: Christian Rühmkorf
Foto: MPO, BMWK

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