Beginnt in Tschechien die Aufholjagd?

Zbyněk Pokorný, Sie haben viele Jahre Erfahrung im öffentlichen und privaten Sektor. Welche sind die wichtigsten für die Position des Vorstandsvorsitzenden von SIRS?

In der Privatwirtschaft bei PricewaterhouseCoopers habe ich gelernt, wie man effektiv mit Menschen zusammenarbeitet, Projekte durchführt und Dinge bis zum Ende durchzieht. Das ist etwas, das der öffentliche Dienst in dieser Form nicht so gut vermittelt. Dafür hat mir die Arbeit im öffentlichen Dienst 15 Jahre Erfahrung in der Finanzierung und Betreuung von staatlichen Industrieparks und -zonen gebracht, und ich konnte an der Umsetzung bedeutender strategischer Projekte mitwirken.

10 Jahre lang waren Sie Leiter der Abteilung für Industriebrachen und Innovationsförderung im tschechischen Ministerium für Industrie und Handel. Sie haben die Entwicklung der letzten Jahre miterlebt, in denen die Tschechien nicht mehr so viele neue Investitionen anlocken konnte. Die Schwachstellen des Investitionsstandorts wurden besonders im Fall der Gigafactory deutlich.

Das Gigafactory-Projekt in Pilsen-Líně war der Auslöser für die Gründung von SIRS. Damals war keine geeignete Fläche für eine strategisch so wichtige Investition verfügbar, was uns mindestens ein Jahr bei der Standortsuche gekostet hat. Seit 1998 wurden schrittweise staatlich geförderte Industriegebiete geschaffen – über 100 kleinere Standorte in der gesamten Tschechischen Republik. Doch während der Krise 2008-12 wurden in den öffentlichen Haushalten erheblich gekürzt, und mit der wirtschaftlichen Erholung wurde an diese Entwicklung nicht angeknüpft. Jetzt zeigt sich, dass wenn Flächen nicht im Voraus geschaffen werden, sie schlichtweg nicht vorhanden sind. Um geeignete Flächen für strategische Investitionen auf Vorrat zu haben und diese sofort anbieten zu können, müssen wir vorausplanen.

Unter der Regierung von Andrej Babiš wurde das Gesetz über Investitionsanreize geändert, und jede Investition musste erst von der Regierung genehmigt werden. Das machte den Prozess komplizierter und war nicht ideal…

Ganz bestimmt nicht. Es ist mir klar, dass ich meinen Teil dazu beigetragen habe. Ich war Teil der Exekutive, die die vorgegebenen Aufgaben umsetzt. Ja, wir müssen die Investoren gezielt auswählen. Wir haben ein bestimmtes Wirtschafts- und Preisniveau und brauchen Projekte, die Arbeitsplätze schaffen, die für die Menschen vor Ort interessant sind. Die Auswahl der Investoren sollte jedoch nicht auf der Grundlage von ad-hoc-Entscheidungen der Regierung erfolgen, sondern eine Prüfung durch die Ämter durchlaufen und auf Basis transparenter Kriterien getroffen werden.

Versetzen wir uns in die Lage eines deutschen Investors. Was erwartet ihn in Zukunft, wenn er an einer Investition interessiert ist? Inwiefern wird er ein besseres Angebot erhalten? Sie versprechen, dass Sie den Investoren die Industrieflächen „auf einem Silbertablett“ übergeben?

Das ist richtig. Bislang waren die Dienstleistungen im Wesentlichen für Investitionen gedacht, die ihren Investitionszyklus abgeschlossen, die Produktion aufgenommen haben und anschließend von Investitionsanreizen profitieren konnten. Dabei wird ein After-care-Service angeboten und es werden Lieferanten gesucht. Das übernimmt CzechInvest. Aber niemand hat an den ersten Schritt gedacht – die Realisierung der Investition zu ermöglichen. Das ist unser Service, das Gebiet vorzubereiten, um die Infrastruktur entsprechend den Bedürfnissen des Investors bereitzustellen. Dann können wir kürzere Investitionszyklen garantieren. Ein Investor möchte in der Regel zwei oder drei Jahre nach der Entscheidung mit der Produktion beginnen. Unser Service umfasst die Vorbereitung von Flächen und die Schaffung der erforderlichen Infrastruktur entsprechend den Bedürfnissen des Investors. Das kostet Zeit. Daher ist es notwendig, Flächen vorrätig zu haben und dem Investor zwei bis drei Jahre für das Genehmigungsverfahren und den Bau einzuräumen.

Wie lange dauert das jetzt?

Wir haben zum Beispiel ein Projekt in Kvasiny. Dort sind wir bereits seit 6 Jahren dabei, und der ganze Prozess kann 7, 8 oder 9 Jahre dauern. Das ist zu lang. Dafür sind einerseits die Genehmigungsverfahren verantwortlich, aber auch an eine gewisse Resignation bei diesem Thema.

Vor allem die Baugenehmigungen müssen schneller erteilt werden, oder?

Warten wir ab, was die Novelle bringt. Wenn die Kapazitäten der Bauämter so bleiben wie bisher, können wir keine signifikante Beschleunigung erwarten. Dennoch haben wir durch die Novelle des Gesetzes über lineare Bauvorhaben für unsere Projekte bereits deutliche Fortschritte bei den Genehmigungsverfahren erzielt. So eine Fabrik wie die Gigafactory wird nicht mehr von einem Bauamt mit nur ein oder zwei Mitarbeitern genehmigt, sondern von einem ganzen professionellen Apparat – den Verkehrs- und Energiebauämtern.

Schauen wir uns die wichtigsten Veränderungen durch SIRS an. Was tun Sie, um die Dinge zu verbessern?

Wenn mit der Vorbereitung der strategischen Flächen rechtzeitig begonnen wird, kann der Zeitplan für den Endinvestor um zwei bis drei Jahre verkürzt werden, indem alle erforderlichen Erhebungen und Studien vorher durchgeführt werden. Dann erreichen wir eine Zeitspanne, die mit der in konkurrierenden Ländern vergleichbar ist.

Wie wählen Sie strategische Investitionen aus? Im Moment ist es zum Beispiel der Chip-Sektor.

Laut Gesetz handelt es sich um Investitionen, die einen bestimmten Umfang haben, eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen schaffen oder in bevorzugten Sektoren getätigt werden. Heute sind das, wie Sie sagen, die Chipherstellung und die damit verbundene Produktion, emissionsarme Technologien, sowie die Herstellung von Produkten, die uns helfen, von fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden, Batterien für Autos, Solarpaneele, Wärmepumpen und so weiter. Der größte Schwerpunkt liegt auf Elektromobilität und Chips. Diese Art der Produktion wird nicht in 2 Jahren wieder verschwinden, sondern für Jahrzehnte bestehen bleiben. Sie wird über Jahre hinweg Einnahmen für die öffentlichen Haushalte generieren, und die Investitionen in die Vorbereitung der Standorte werden sich um ein Vielfaches amortisieren.

Welche Gebiete haben Sie in die engere Wahl gezogen?

Unser kurzfristiges Ziel ist es, etwa 10 Standorte zu prüfen, erste Sekundärforschung und Geo-Datenanalyse durchzuführen und mit den Netzbetreibern zu kommunizieren. Wir haben mehrere Standorte ausgesucht, an denen grundlegende Vorarbeiten und Erhebungen im Gange sind. Wir werden die vielversprechendsten Standorte auswählen und dort Konzepte und Szenarien für die Zukunft entwickeln. Die Entscheidung, welche Richtung wir einschlagen, liegt dann bei den Politikern und der Regierung. Wir können die Projekte hinsichtlich Finanzierung und Vorbereitungsgrad unterscheiden. Entweder führen wir nur Voruntersuchungen durch und verkürzen damit die anschließende Vorbereitung um mehrere Monate, oder wir gehen weiter. Wir führen eine Grundstückskonsolidierung durch, erstellen eine Projektdokumentation und ergänzen die Planungsunterlagen. Dadurch kann die Vorbereitung um Jahre verkürzt werden. Im besten Fall liefern wir „schlüsselfertige“ Bauvorhaben – also die Infrastruktur, die sofort für Investoren bereitsteht. Das wird die Prozesse um viele Jahre verkürzen, aber logischerweise auch teurer sein. Bis 2030 wollen wir mindestens zwei Standorte – idealerweise auch ein Brownfield – in der Endvorbereitung mit fertiger Infrastruktur für Investoren haben.

Bei der Gigafactory war das community management sehr schwierig. Wie werden Sie damit künftig umgehen?

Hier liegt der große Vorteil von SIRS. Die Hauptaufgabe des Staates besteht nicht darin, in kürzester Zeit einen Gewinn zu erzielen und jeden Investor um jeden Preis unterzubringen. Unser Ziel ist es, Standorte zu schaffen, die von den Kommunen als gut akzeptiert werden . Es ist klar, dass nicht jeder mit allem einverstanden sein wird, aber es ist möglich, negative Auswirkungen zu minimieren und den gesamten Prozess kontinuierlich mit der lokalen Gemeinde zu kommunizieren. Das ist unsere Pflicht, da wir aus öffentlichen Geldern finanziert werden. Und unser Ziel ist es, im Interesse der Öffentlichkeit zu handlen. Aus diesem Grund wollen wir an allen Standorten die ESG-Standards einhalten.

Werden die Gemeinden ein größeres Stück aus dem gesamten Steuerkuchen bekommen?

Wir können die Steuererlöse nicht wirklich beeinflussen, aber wir werden versuchen, unsere Meinung in die Diskussion einzubringen. Wir unterstützen einen partizipativen Ansatz und wollen, dass die Gemeinde eine möglichst große Rolle spielt. Bei einigen Projekten ist sogar ein Modell denkbar, bei dem die Gemeinde nicht nur direkt über den Standort des Investors entscheidet, sondern möglicherweise auch an dem Unternehmen beteiligt ist, das zur Durchführung gegründet werden soll.

Sie finden also heraus, ob die betreffende Industriebrache für eine bestimmte Branche geeignet ist, und kümmern sich dann um die technische Vorbereitung, Infrastruktur, Energieversorgung, Wasser, Kommunikationswege …

Genau. Dank des Plzeň-Líně-Projekts haben wir eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was ein Gigafactory-Investor braucht. Dementsprechend müssen wir die Netzkapazitäten messen und erste Erhebungen durchführen. Das ist ein entscheidender Punkt in der Vorbereitung: die Kapazität des Netzes, der Wasserquellen usw. zu ermitteln.

Sie haben sich auch im Ausland inspirieren lassen, zum Beispiel in Thüringen.

Dieses Konzept hat verschiedene Namen wie Landesentwicklungsagentur, Landesentwicklungsbank, Stadtagentur usw. Es ist aus England, Irland, aber auch aus Thüringen oder Essen bekannt. Es handelt sich um staatliche, landeseigene oder städtische Gesellschaften, die Flächen für Investoren aufbereiten. An Standorten, die schwierig aufzubereiten oder so groß sind, dass eine Zusammenarbeit z. B. mit dem Verteilernetz oder der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur erforderlich ist und deshalb für einen privaten Investor riskant sind, genau da liegt unsere Chance.

Der Staat muss investieren, ohne zu wissen, ob es dann eine Investition geben wird. Wie lässt sich das Risiko minimieren?

Ich sehe drei grundlegende Finanzierungsmodelle. Standorte wie Industriebrachen wollen wir aus europäischen Mitteln finanzieren. Für Standorte, die an der Grenze zur Wirtschaftlichkeit liegen, sehe ich eine Mischfinanzierung, bei denen ein Teil vom Staat finanziert und ein Teil durch private Investitionen gedeckt wird. Das dritte Modell sind teure Projekte, zum Beispiel auf der grünen Wiese, ohne Infrastruktur, die kurzfristig nicht rentabel sind. Hier haben wir grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Entweder gibt der Staat eine Garantie in Form eines eventuellen Rückkauf des Grundstücks, oder die Finanzierung erfolgt vollständig aus dem Staatshaushalt. Die Investitionen, die dort getätigt werden, werden dann über Jahrzehnte hinweg Erträge für die öffentliche Hand generieren. Ein Beispiel dafür ist das Hyundai-Projekt. Damals kostete die Vorbereitung der Industriezone etwa zwei Milliarden Kronen, heute wären es rund zehn Milliarden, aber nach fünf bis sieben Jahren begann das Projekt, für den Staat rentabel zu sein.

Einige Probleme bleiben jedoch bestehen. Potenzielle Investoren beklagen, dass sie sich in Tschechien nicht willkommen fühlen, dass es schwierig war, mit Entscheidungsträgern der Regierung zusammenzukommen, dass der Prozess nicht transparent war und dass die Vorhersehbarkeit und Zuverlässigkeit der Regierungspolitik nicht gegeben war. Auch das Mindset wurde kritisiert. Was kann man dagegen tun?

Es gibt einige Dinge, die SIRS nicht beeinflussen kann. Aber schon die Gründung von SIRS ist ein Beweis dafür, dass sich der Umgang mit Investoren ändert. Wir wollen ihnen einen zusätzlichen Service bieten. Ich glaube, dass jetzige und künftige Regierungen investitionsfreundlich denken und erkennen werden, dass die tschechische Wirtschaft transformiert werden muss. Das werden wir den tschechischen Politikern immer wieder sagen. Ich glaube, dass unser Projekt Unterstützung finden wird und dass sich Investoren in Tschechien wieder willkommen fühlen werden, genau wie in Polen, der Slowakei und Ungarn. Wir müssen die Wirtschaft im Horizont von fünf und mehr Jahren  betrachten.

Sie sagen fünf Jahre. Ich sage ein Jahr. Da findet nämlich die Parlamentswahl statt. Haben Sie keine Angst, dass SIRS und das, was Sie aufgebaut haben, nach der Wahl vom Tisch gefegt werden?

Das war auch mein Gedanke, als ich überlegte, ob ich die Stelle bei SIRS annehmen soll. Ich bin jedoch überzeugt, dass die politische Führung in Tschechien unabhängig davon, wie sie aussehen wird, genug Gespür für Investitionen hat, um zu erkennen, dass unser Projekt sinnvoll ist.

Das wollen wir hoffen. Abschließend möchte ich Sie nach den drei größten Wettbewerbsvorteilen Tschechiens im Wettbewerb um neue Investitionen fragen.

Auf jeden Fall Zuverlässigkeit. Einige Länder versprechen viel, aber nur die Hälfte davon wird eingehalten. Die Tschechen versprechen lieber weniger, aber der Investor kann sich darauf verlassen, dass das, was vereinbart wurde, auch umgesetzt wird. Ich würde auch eine gewisse politische Stabilität und Vorhersehbarkeit nennen. Die Richtung, die wir auf der Weltkarte einschlagen, ist auf lange Sicht konsistent. Das ist wichtig für Investitionen über 10, 20, 30 Jahre. Und dann ist wichtig, dass die Menschen hier arbeiten wollen. Wir verfügen über hochqualifizierte und verantwortungsbewusste Arbeitskräfte, auf die man sich verlassen kann, trotz Fachkräftemangels.

Interview: Christian Rühmkorf
Foto: SIRS/Petr Kozlík, Jan Elger


  • Gegründet Q1/2024
  • Alleiniger Aktionär: Ministerium für Industrie und Handel
  • Spezialisiertes Team mit rund 30 Mitarbeitern
  • Aufgaben:
    • Vorbereitung strategischer Gebiete für die Ansiedlung von Differenzinvestitionen, die eine transformierende Wirkung auf die tschechische Wirtschaft haben.
    • Prüfung von Standorten für solche Investitionen, einschließlich Brachflächen
    • enge Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Industrie und Handel und CzechInvest zur Steigerung der Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Tschechischen Republik
  • Anwendung von ESG-Prinzipien – Nachhaltigkeit und Partizipation
  • Nutzung eines Mixes von Investitionsinstrumenten
  • Zusammenarbeit mit Kommunen

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