Höhenflug der Luftfahrtindustrie
Im Schatten des dominierenden Fahrzeugbaus entwickelt sich in Tschechien eine Branche, die bisher kaum im Fokus steht: Die Luft- und Raumfahrtindustrie. Dabei gehört das Land bei vielen Spezialprodukten für Flugzeuge und Satelliten zur Weltspitze. Und in fünf Jahren soll der Tscheche Aleš Svoboda sogar ins Weltall fliegen.
Tschechien wollte schon immer hoch hinaus. Da ohne Zugang zu den Ozeanen hieß das Motto bereits vor über hundert Jahren „Die Luft ist unser Meer“. Entsprechend hat der Flugzeugbau hier eine lange Tradition und ist stark aufgestellt. Die Bandbreite reicht von Fahrwerken, Propellern und Motoren bis hin zu ganzen Flugzeugen, Wartung und Flugsteuerung.
Auch in noch höheren Sphären spielt das Land eine wichtige Rolle. Tschechische Bauteile stecken in vielen Beobachtungssatelliten, in Europas modernster Trägerrakete Ariane 6 sowie in Forschungsrobotern auf dem Mars. Für die geplante internationale Raumstation LOP-G (Lunar Orbital Platform-Gateway) liefert das Prager Unternehmen Advacam halbleiterbasierte Bildsensoren, die an Bord Radioaktivität und kosmische Strahlung messen. Das Technologiezentrum CEITEC in Brno entwickelt Nanobots, die beim Wasserrecycling auf der Internationalen Raumstation ISS helfen.
Ungenutztes Potenzial in der Raumfahrt
Im Juni 2024 stellte Premierminister Petr Fiala das Programm „Tschechiens Reise ins All“ vor. Innerhalb von fünf Jahren will Prag eine bemannte Weltraummission auf den Weg bringen. Dann soll erstmals seit 1978 wieder ein Tscheche ins All fliegen. Dafür wird der Kampfpilot Aleš Svoboda ab der zweiten Jahreshälfte 2024 vorbereitet.
Die Mission soll der einheimischen Luft- und Raumfahrtbranche neue Impulse bescheren. Private Unternehmen und Forschungsinstitute werden eng kooperieren. Die Regierung hofft auf ein größeres Interesse bei jungen Menschen, technische Bereiche zu erlernen.
Laut Regierungschef Fiala ist die Raumfahrtindustrie in Europa bereits ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der „extrem auf Innovation angewiesen ist“. Länder vergleichbarer Größe wie Belgien, Österreich und Dänemark investierten aber heute mehr in die Entwicklung von Raumfahrttechnologien als Tschechien. Diese Lücke müsse Tschechien schließen, da die Raumfahrtindustrie ein riesiges Potenzial habe und vielen Wirtschaftssektoren helfe. Dazu zählt Fiala die Landwirtschaft, Verkehr, Umweltschutz und Meteorologie.
Galileo von Prag aus gesteuert
Schon jetzt beteiligen sich rund 150 tschechische Unternehmen und akademische Einrichtungen an europäischen Weltraumprojekten. Prag ist außerdem Sitz der EU-Agentur für das Weltraumprogramm (EUSPA). Außerdem wird von der Moldau aus der Betrieb des europäischen Navigationssatellitensystems Galileo organisiert.
Die Europäische Weltraumorganisation ESA unterhält in Prag und Brno Gründerzentren (ESA Business Incubation Centres). Dort wurden rund 50 Start-ups gefördert, die unter anderem Pseudosatelliten entwickeln, elektrisch betriebene Vertical-Starter oder Materialien für extraterrestrische Bauten. Die Jungunternehmen bekommen dabei bis zu 250.000 Euro Startkapital.
Während der Coronapandemie durchlebte Tschechiens Luft- und Raumfahrtindustrie eine Talfahrt, weil die weltweite Nachfrage nach Flugzeugen und Zubehörteilen abstürzte. Inzwischen ist die Branche wieder im Höhenflug. Das Ministerium für Industrie und Handel (MPO) ermittelte für 2022 einen Umsatz von rund 830 Millionen Euro, was nicht allzu weit von den einstigen Rekordständen entfernt ist. Rund 100 Unternehmen sind in dem Sektor tätig. Sie investieren jedes Jahr rund 50 Millionen Euro in neue Ausrüstungen.
Tschechischen Flugzeugindustrie
Jahr | Umsatz in Mio. Euro | Anzahl der Unternehmen |
2018 | 856 | 89 |
2019 | 893 | 95 |
2020 | 702 | 90 |
2021 | 686 | 93 |
2022 | 828 | 102 |
Quelle: Ministerium für Industrie und Handel (MPO)
Deutschland und USA sind wichtige Absatzmärkte
Das Exportvolumen lag 2023 mit rund 630 Millionen Euro fast wieder auf dem Niveau von 2019. Die wichtigsten Absatzmärkte sind Deutschland, USA und Frankreich. Neu unter den Top 4 Exportzielen ist die Ukraine, die vor allem Bedarf an Drohnentechnik hat. Russland war vor seinem Angriff auf das Nachbarland der zweit- bis drittwichtigste Markt für tschechische Luftfahrttechnik und ist inzwischen weit nach unten abgerutscht.
Exporterlöse der tschechischen Flugzeugindustrie
Jahr | Exportvolumen in Mio. Euro |
2019 | 634 |
2020 | 451 |
2021 | 431 |
2022 | 568 |
2023 | 629 |
Quelle: UN Comtrade, Bundesbank
Die großen Handelspartner für die Branche sind in der Regel auch wichtige Investoren. Der US-Konzern Honeywell hat gleich drei Standorte in Prag, Olomouc und Brno. Er lässt dort Produkte für die Steuerung von Satelliten und Trägerraketen entwickeln. Helikopterhersteller Bell betreut von seinem Servicezentrum in Prag Kunden in ganz Europa, passt die Hubschrauber dort individuell an, wartet und repariert sie. Dazu gehört auch eine moderne Lackiererei.
Ebenfalls in Prag engagiert sich GE Aviation. Es hat dort den traditionsreichen Motorenbauer Walter Engines übernommen und lässt Turboprop-Triebwerke für Fracht-, Agrar- und Schulungsflugzeuge bauen. Es ist das einzige Werk von General Electric außerhalb der USA, das Flugzeugtriebwerke baut. Die US-Firma Precision Castparts fertigt in Plzeň Superlegierungen aus Titan, Nickel und Edelstahl für Triebwerkshersteller wie MTU, GE, Rolls Royce, Safran oder Pratt & Whitney.
Airbus-Türen und Bordküchen kommen aus Tschechien
Zu den führenden Investoren gehören auch französische Firmen. Latecoere hat die Flugzeugfabrik Letov in Prag-Letňany übernommen, wo zu sozialistischen Zeiten Flügel für MiG-Kampfjets gebaut wurden. Heute produziert Latecoere dort Türen aus schwer zerspanbaren Metallen, Aluminiumlegierungen und Verbundwerkstoffen für den Airbus A320 sowie für Flugzeuge von Embraer und Dassault. Das Unternehmen modernisiert jedes Jahr seinen Maschinenpark durch den Kauf von Hochleistungs-Mehrachs-Bearbeitungszentren.
Die französische Safran Cabin produziert in Pilsen maßgeschneiderte Bordküchen und Frachtbehälter für den Airbus A320 her sowie mobile Ruheeinheiten für die Crew des A330 im Unterdeck. Dazu gehören Design, Entwicklung und Herstellung (Paneele, Fräsen, Verkleben, Dekorieren, Endmontage und Prüfung) sowie der After-Sales-Service. Außerdem renoviert Safran Kabinen für den A320, um die Zahl der Sitzplätze zu erhöhen. Eine Tochtergesellschaft, Safran Test Cells, erneuert in Tschechien Bodenprüfstände für Flugzeugtriebwerke und wartet Triebwerke.
Eine der modernsten Lackieranlagen für Flugzeuge betreibt die US-irische International Aerospace Coatings (IAC) in Ostrava. In zwei großen Hallen können dort gleichzeitig zwei Airbus A321 einen neuen Anstrich bekommen.
Auch deutsche Unternehmen sind in der Branche aktiv. Die oberbayerische Aerotech Peissenberg gründete 2005 in Klatovy ihre tschechische Tochter Aerotech Czech. Dort bearbeitet sie feuerfeste Legierungen für Triebwerkskomponenten und liefert Teile unter anderem an Rolls-Royce.
Produkte zur Planetenabwehr aus Brno
Der Bremer Raumfahrtkonzern OHB hat in Tschechien zwei Standorte. OHB Czechspace in Brno entwickelt Produkte für die Planetenabwehrmission Hera, für das ESA-Weltraumteleskop PLATO und zur Messung von Kohlendioxid in der Atmosphäre im Rahmen der Mission CO2M. Darüber hinaus entwickelt OHB Czechspace in Tschechien Solargeneratoren, Nukleartriebwerkstechnik und optische Instrumente für das Weltraumgeschäft. „Außerdem unterstützen wir die tschechischen Satellitenmissionen AMBIC und QUVIK“, erklärte OHB-Sprecherin Marianne Radel auf Anfrage von Germany Trade & Invest.
Zusammen mit Aerotech Peissenberg ist OHB an ATC Space in Klatovy beteiligt. In der hochautomatisierten Fabrik werden komplexe Aluminiumbauteile und lasttragende Strukturen für die Rakete Ariane 6 produziert.
Neben den ausländischen Investoren sind Tschechiens große Stärke die rund 100 einheimischen Hersteller von Flugzeugen, Komponenten, Elektronik und Software. Führender Konzern ist Omnipol, in dem mehrere wichtige Produzenten vereint sind. Zu ihnen gehört Aircraft Industries, das Tschechiens größtes Flugzeug L-410 baut. Dieser zweimotorige Schulterdecker kann als Kurzstrecken- und Zubringerflugzeug bis zu 19 Passagiere befördern du wurde seit 1969 bereits mehr als 1.200-Mal produziert. Aircraft Industries plant eine größere Variante des Flugzeugs für bis zu 40 Passagiere, was aber bislang an der Finanzierung scheitert.
Führende Position bei Radarsystemen
Zu Omnipol gehören weiterhin das Unternehmen Aero Vodochody, das bei Prag Trainingsflugzeuge und leichte Kampfflugzeuge baut sowie die auf Radarsysteme, Flugüberwachung und Flugzeuginstrumente spezialisierten Hersteller ERA und Mesit.
Daneben gibt es viele hochspezialisierte Zulieferer für die Flugzeug- und Weltraumindustrie.
Tschechische Zulieferer für die Flugzeug- und Weltraumindustrie (Auswahl)
Unternehmen, Ort | Produkte |
SEKO Aerospace Louny | Komponenten für Flugzeugtriebwerke, Turbinengehäuse, Verbindungsstücke (Flansche) |
Jihlavan Jihlava | Hydraulische Geräte, elektromechanische Federbeine, Räder und Bremsen für das neue Trainingsflugzeug L-39 Next Generation |
PBS Velká Bíteš | Antriebseinheiten, Turbinentriebwerke für Kleinflugzeuge, Drohnen und Hubschrauber; Zündungen, Getriebe und Startergeneratoren; Feingussteile für Luft- und Raumfahrt |
Frentech Aerospace Brno | Präzisionsmechanik, seit 1997 Zulieferer für Airbus |
Charvát AXL Semily | Fahrwerke für Sportflugzeuge, Fahrwerkteile unter anderem für das Flugzeug L-410, Flugzeug-Rettungssysteme, Komponenten für Flugzeugmotoren und Propeller, Generalüberholungen von Fahrwerken |
Transcon Eletronic Systems Frýdek-Místek | Kontroll- und Signalsysteme, Monitoring für Flughäfen, Notstromversorgung, Beleuchtung, mobile Heliports; weltweit mehr als 200 Flughäfen ausgerüstet, auch in Deutschland |
Eldis, Retia Pardubice | gehören zum CSG-Rüstungskonzern, produzieren Radare und Flugsteuerung |
Atrak Praha | Datenanalyse zur Luftfahrtkontrolle, gehört zum CSG-Rüstungskonzern |
Jihostroj Velešín | Hydraulikkomponenten und Kraftstoffsteuerung für Flugzeuge, darunter Kraftstoffpumpen und Dosiereinheiten |
Advanced Technology Group ATG Praha | Werkstoffprüfung, Korrosionsanalysen, Entwicklung von Kompositmaterial; Airbus, Sikorski, GE als Kunden |
Zur Weltspitze zählt Tschechien bei Ultraleichtflugzeugen (ULF) und leichten Sportfliegern (Light Sport Aircraft). Seit Corona ist der Verkauf dieser Luftfahrzeuge stark angestiegen. Die wichtigsten Absatzmärkte sind die USA und Deutschland. Bekannte Hersteller sind:
BRM Aero (Kunovice): 2009 gegründet, produziert rund 100 Flugzeuge pro Jahr, präsentierte 2023 in Friedrichshafen ein Elektroflugzeug, das 2024 zertifiziert werden soll
Czech Aircraft Group (Kunovice): produziert Sportflugzeuge für Kunden in 30 Ländern
Zlín Aircraft (Otrokovice): wurde 1934 vom Industriellen Jan Antonín Baťa gegründet, baut Sport- und Kunstflugzeuge
JMB Aircraft (Choceň, Bezirk Pardubice): gehört zur belgischen JMB Aviation, die in Tschechien viersitzige Kleinflugzeuge produziert
Evektor (Kunovice): baut Sport-, Übungs- und Ultraleichtflugzeuge, hat ein zweimotoriges Turboprop-Flugzeug (EV-55 Outback) für 9 Passagiere entwickelt, das aber aus finanziellen Gründen nicht zur Serienreife kam
Sonderkonjunktur beim Drohnenbau
Für große Nachfrage bei tschechischen Drohnenbauern sorgt Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Im Inland wird kritische Infrastruktur jetzt häufiger mit Drohnen überwacht.
Das Prager Unternehmen Primoco UAV will am Flughafen Písek-Krašovice bis 2027 eine Montagehalle für jährlich bis zu 250 unbemannte Luftfahrzeuge errichten. Außerdem plant das Unternehmen dort ein Test- und Entwicklungszentrum. Primoco baut mittelgroße bis große Drohnen, die bis zu 15 Flugstunden unterwegs sind und dabei 1.800 Kilometer weit kommen.
Viele Zulieferer für das Drohnengeschäft boomen ebenfalls. Mejzlík Propellers baut in Brno Propeller für Drohnen und verzeichnete in den letzten sechs Jahren ein Wachstum von rund 1.000 %. Workswell produziert in Prag Drohnen-Wärmebildkameras für industrielle Inspektionen, für Such- und Rettungsmissionen und für die Landwirtschaft. Dronetag und UpVision sind spezialisiert auf Drohnensteuerung und Drohnenerkennung im Luftraum.
Autor: Gerit Schulze
Direktor Tschechische Republik und Slowakei
Germany Trade & Invest (GTAI) unterstützt die deutsche Exportwirtschaft bei der Erschließung neuer Auslandsmärkte mit Branchen- und Konjunkturanalysen. Außerdem wirbt GTAI im Ausland für den Wirtschaftsstandort Deutschland und berät Unternehmen bei ihrer Ansiedlung
Foto: Sebastiaan ter Burg, Creative Commons CC BY 2.0; ©Airbus SAS 2024; Semetkovsky, Creative Commons CC BY-SA 4.0; ESA, Creative Commons CC BY 3.0 IGO; Mejzlik Propellers; BRM AERO