Interview mit dem neuen Škoda-Chef Klaus Zellmer

„… auch unter extrem schwierigen Rahmenbedingungen“

Am Steuer des Škoda Auto Managements sitzt seit Juli ein neuer Fahrer. Klaus Zellmer feiert in diesem Jahr ein Vierteljahrhundert im Volkswagen Konzern, er leitete beispielsweise Porsche in Deutschland und Nordamerika. Nun soll er Škodovka durch die entscheidende und nicht einfache Transformationsphase steuern. Wir sprachen mit ihm über die neue Firmenstrategie, die Expansion in neue Märkte und seine ersten 100 Tage in Mladá Boleslav, der Hauptstadt der tschechischen Automobilindustrie.

Herr Zellmer, Sie sind seit Anfang Juli Chef des tschechischen Tafelsilbers, der bekanntesten Exportmarke des Landes – ŠKODA Auto – und lösen damit Thomas Schäfer ab, der nur knapp zwei Jahre blieb. Wie lange bleiben Sie?

Die Škodianer haben mich hier sehr herzlich aufgenommen und mir das Ankommen leicht gemacht – ich hatte schon nach kurzer Zeit das Gefühl, dazu zu gehören. Geschäftlich haben wir in den ersten Wochen schon unglaublich viel geleistet – Sie haben hoffentlich unsere überarbeitete Markenidentität wahrgenommen. Persönlich war mein bisheriges Highlight in Tschechien die ŠKODA Classic Tour. Meine Frau, unsere Tochter und ich sind mit unserem erst vor kurzem erworbenen ŠKODA FELICIA Cabrio, Baujahr 1960, mitgefahren. Eine Traumroute durch das Tschechische Paradies zusammen mit vielen tollen Begegnungen und Gesprächen. Ich fühle mich hier in Tschechien sehr, sehr wohl – und ich bin gekommen, um zu bleiben.

Sie haben verschiedene Top-Positionen insbesondere bei Porsche gehabt und auch bei Volkswagen selbst, in verschiedenen Regionen, u.a. in den USA. Aus welcher der vorherigen Position können Sie derzeit vor allem schöpfen, um ŠKODA durch die Transformation zu steuern?

Natürlich habe ich in früheren Positionen Erfahrung gesammelt, die mir jetzt zugutekommen. Da kann ich Erfahrungen und Impulse in das Team einbringen. Und das ŠKODA-Team ist schnell, leistungsstark und hoch motiviert. Es ist beeindruckend zu erleben, wie sehr die Kolleginnen und Kollegen die Marke ŠKODA leben und lieben. Ich bin stolz darauf, jetzt einer von mehr als 40.000 Škodianern zu sein und meinen Teil zur großen Transformation des Unternehmens beitragen zu können. Mit unserem neuen Markenauftritt und der beschleunigten E-Offensive haben wir erst jüngst wichtige Meilensteine für das Jahrzehnt der Transformation kommuniziert.

„viel früher als ursprünglich geplant“


Ihr Vorgänger Thomas Schäfer hat vor einem Jahr eine neue Transformationsstrategie bis 2030 gelauncht, Next Level. Elektrifizierung und Digitalisierung stehen ganz oben auf der Agenda. Hat die Strategie weiterhin volle Gültigkeit oder setzen Sie hier und da andere, neue strategische Akzente? Herr Schäfer wollte ja vor allem im Volumensegment punkten.

Wir halten an der NEXT LEVEL – ŠKODA STRATEGY 2030 fest und schärfen sie gezielt nach. So beschleunigen wir beispielsweise die Transformation in Richtung Elektromobilität noch einmal signifikant. Wir haben uns vorgenommen, bis 2030 in Europa mehr als 70 Prozent reine E-Autos zu verkaufen – bislang lag das Ziel bei mehr als 50 Prozent. Dafür bringen wir bis 2026 gleich drei weitere Elektromodelle auf den Markt – viel früher als ursprünglich geplant. Einen elektrischen Kleinwagen, einen Kompakt-SUV und einen Siebensitzer. Weitere E-Modelle werden folgen. Insgesamt investieren wir in den nächsten fünf Jahren 5,6 Milliarden Euro in Elektromobilität.

Ihren Handlungsspielraum schränkt die strenge Euro-7-Norm ein, mit der Verbrenner 2025 um Tausende Euro teurer würden. Das wird vor allem den Kleinwagenmarkt betreffen. Haben Sie keine Sorge, ein ganzes Kundensegment zu verlieren?

Im Segment der Kleinwagen mit Verbrennungsmotor ist ŠKODA traditionell sehr stark – und das wird auch so bleiben. Die aufwändigere Abgasreinigung im Zuge der Euro-7-Norm macht pro Fahrzeug zwischen 3.000 und 5.000 Euro aus. Das ist natürlich eine echte Herausforderung, der wir uns stellen – denn individuelle Mobilität muss auch in Zukunft erschwinglich bleiben. Für uns ist es wichtig, dass wir dem Charakter der Marke treu bleiben und weiterhin Fahrzeuge mit einem exzellenten Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten – auch im Einstiegssegment. Deswegen werden wir bei den batterieelektrischen Kleinwagen dann ein gutes Angebot haben, wenn wir die notwendigen Skaleneffekte erreichen. Parallel entwickeln wir unsere hocheffizienten Verbrennungsmotoren in anderen Segmenten weiter. Und wir haben viel vor: In der zweiten Hälfte 2023 stellen wir die neue Generation unserer Erfolgsmodelle SUPERB und KODIAQ vor. 2024 folgt dann die Produktaufwertung des OCTAVIA.

Das wichtigste Ereignis innerhalb Ihrer ersten 100 Tage war sicher die Präsentation von Explore more, einer neuen Corporate Identity, einer neuen Designsprache und des neuen Logos. Welchen neuen Charakterzug erhält damit die Traditionsmarke?

Mit dem neuen Markenauftritt machen wir ŠKODA fit für die elektrische Zukunft, schärfen unsere Positionierung im externen Wettbewerb und grenzen uns gleichzeitig noch klarer von den anderen Marken im Volkswagen Konzern ab. Es ist die umfassendste Veränderung unserer der Corporate Identity seit 30 Jahren. Die neue Bildmarke sorgt insbesondere auf digitalen Kommunikationskanälen für eine verbesserte Darstellung. Und für das elektrische und digitale Zeitalter haben wir auch eine neue, kraftvolle Designsprache für unsere Fahrzeuge entworfen, die wir ab nächstem Jahr schrittweise einführen. Das Showcar VISION 7S ist Vorreiter dieser neuen Designsprache. Wir heben die Marke damit sozusagen auf das nächste Level, um sie an die Bedürfnisse und Erwartungen unserer Kunden in Bezug auf User Experience, Connectivity und die gesamte Customer Journey anzupassen.

„Überschneidungen mit anderen Konzernmarken minimieren“

Sie haben mit EXPLORE MORE die bestehende Strategie geschärft. ŠKODA will damit außerhalb der Volkswagengruppe wachsen, nicht mit Marken innerhalb des Konzerns konkurrieren…

Wir werden innerhalb der Markengruppe Volumen auf allen Ebenen noch mehr Synergien heben und mittelfristig eine Effizienzsteigerung um 20 Prozent für die gesamte Markengruppe Volumen erreichen. Das wird unsere Wettbewerbsfähigkeit noch weiter stärken. Wir werden uns im Konzern noch trennschärfer aufstellen, die Überschneidungen mit den anderen Marken minimieren. Dabei werden wir die ŠKODA-typischen Stärken in unserem Kernsegment ausspielen. Sie haben „EXPLORE MORE“ angesprochen. Damit orientieren wir uns noch stärker an den Kunden-Bedürfnissen und wollen beispielsweise mehr junge Familien und die Urban Explorer für uns gewinnen. Fest steht: Wir bleiben unserer DNA treu. Der Grundsatz ‚Value for Money‘ wird ŠKODA Auto auch künftig prägen.

Mit der Vision 7S gibt ŠKODA Einblick in die Zukunft – was ist das für ein Auto und für wen ist es gemacht?

Die Konzeptstudie VISION 7S gibt einen ersten konkreten Ausblick auf ein völlig neues ŠKODA‑Modell. Das rein elektrische SUV ist ausgelegt auf die Bedürfnisse von Familien, bietet viel Platz für bis zu sieben Passagiere und zahlreiche Simply Clever-Details – auch im digitalen Bereich. Also Simply Clever 2.0. Damit runden wir unser Produktportfolio nach oben hin ab. Die Konzeptstudie basiert auf dem Modularen Elektrobaukasten (MEB) des Volkswagen Konzerns, hat eine 89-kWh-Batterie und eine maximale Reichweite von mehr als 600 Kilometern. Dazu sorgen klare, reduzierte Linien für optische Prägnanz. Zu den Highlights zählen die neue Fahrzeugfront mit dem sogenannten Tech-Deck sowie nachhaltigen Materialien im Innenraum. Das Medienecho zeigt: Nicht nur wir bei ŠKODA finden das Design extrem gelungen.

„eine weitere halbe Milliarde Euro in die Aus- und Weiterbildung“

Wie wollen Sie in Europa einen Anteil von 70 % bei batteriebetriebenen Fahrzeugen bis 2030 an ihren gesamten Auslieferungen erreichen?

Wir können Elektromobilität. Und mit „EXPLORE MORE“ haben wir einen Plan, den wir jetzt konsequent umsetzen. Wir wissen sehr genau, was unsere Kundinnen und Kunden wollen. Mit der ENYAQ iV-Familie haben wir bereits sehr attraktive und extrem erfolgreiche E-Modelle im Markt und schon weit über 100.000 Bestellungen dafür erhalten. Wir haben also die richtigen Produkte – und wir haben qualifizierte Mitarbeiter. So wurden bereits 22.000 Schulungen zum Thema Elektromobilität durchgeführt. Darüber hinaus investieren wir bis 2030 eine weitere halbe Milliarde Euro in die Aus- und Weiterbildung der Belegschaft auf dem Feld der Elektromobilität.

Sie haben die Ampel auf Grün gestellt beim Thema Elektro. Wie stehts mit der Digitalisierung?

Ein ganz wichtiges Thema: ŠKODA-typisch smarte Lösungen werden wir auch in die digitale Welt übertragen – etwa bei Konnektivität, Fahrerassistenzsystemen, und vielem anderen mehr. Dafür investieren wir in den kommenden fünf Jahren insgesamt 700 Millionen Euro in das Thema Digitalisierung.

Wie sieht es strategisch aus mit den außereuropäischen Märkten, wo und wie will sich ŠKODA da durchsetzen?

Richtig, wir werden den Blick noch stärker auf Märkte außerhalb Europas richten. Beispiel Indien: Der Markt wächst rasant und dürfte bis 2026 zu den drei größten Automobil-Märkten der Welt gehören. Hier haben wir frühzeitig unser Projekt India 2.0 aufgesetzt, das sich zu einem echten Volltreffer entwickelt hat: Das Land ist bereits im ersten Halbjahr 2022 unser drittgrößter Markt geworden. Unsere Modelle KUSHAQ und SLAVIA kommen in ihren Segmenten gut an. Und der neue KODIAQ war dort in sage und schreibe 48 Stunden ausverkauft.

„frühzeitig unser Projekt India 2.0 aufgesetzt“

Die Transformation macht ŠKODA nicht allein, im Land sind hunderte von Zulieferern, die sich ebenso rasant umstellen müssen, flexibler werden und neue Geschäftsmodelle entwickeln müssen. Wie nehmen Sie die für ŠKODA und die tschechische Wirtschaft so wichtigen Zuliefererunternehmen mit auf die sicher nicht immer komfortable Reise?

Sie sprechen ein Thema an, was uns bei ŠKODA wirklich sehr am Herzen liegt. Wir haben ja traditionell einen sehr engen Austausch mit unseren Zulieferern – und intensivieren den nun noch einmal beim Thema Elektromobilität, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. So hatten wir eigens mit vielen Partnern und auch Vertretern der Politik erst vor wenigen Wochen einen „Future Day“ veranstaltet um ihnen die aktuelle Strategie unseres Unternehmens sowie die künftigen Modelle vorzustellen und zu diskutieren. Solche und ähnliche Foren sind wichtig, um das direkte Feedback von unseren Partnern aufnehmen zu können. Denn eines ist klar: die Transformation kann uns nur gemeinsam gelingen.

Strategien sind eine verzwickte Sache in der heutigen Zeit unvorhersehbarer globale Ereignisse und Schocks. Welche Maßnahmen implementieren Sie bei ŠKODA, um das Unternehmen in seinen Reaktionen flexibel zu halten?

Wir befinden uns ja seit mehr als zwei Jahren im permanenten Ausnahmezustand – Corona, Halbleitermangel, Ukraine-Krieg, steigende Rohstoff- und Energiepreise. Das Unternehmen hat in dieser Zeit unter Beweis gestellt, dass es auch unter extrem schwierigen Rahmenbedingungen exzellente Ergebnisse abliefern kann. Wir hatten sehr frühzeitig eine eigene Task Force etabliert. In ihr bewerten Vertreter aus allen Abteilungen täglich sämtliche kritischen Themen, beispielsweise aktuell auch die Gasversorgung. So können wir sowohl unsere eigenen Werke als auch unsere Zulieferer am besten auf mögliche Engpässe vorbereiten. Außerdem stehen wir in engem Kontakt mit Behörden, Netzbetreibern und Lieferanten, um stets schnell reagieren zu können. Wie Sie vielleicht wissen, konnten wir so beispielsweise die Produktion von Kabelbäumen eines Lieferanten in der Ukraine duplizieren und hier in Mladá Boleslav innerhalb kürzester Zeit aufbauen.

„das direkte Feedback von unseren Partnern aufnehmen“

Lesson learned: Was haben Corona und seit Februar auch der Krieg gegen die Ukraine grundsätzlich und langfristig verändert an der Arbeit eines Topmanagers, eines Unternehmenslenkers wie Ihnen?

Volatilität ist ein Stück weit das ‚new normal‘ geworden. Ich glaube, wir alle haben miteinander gelernt, noch viel flexibler zu werden – im Job und im täglichen Leben. Und wir haben auch gelernt wie wichtig es ist, sich aufeinander verlassen zu können. Bei ŠKODA können wir uns aufeinander verlassen – und unsere Kunden und Partner sich auf ŠKODA.

Klaus Zellmer (*1967)

Der studierte Diplom-Betriebswirt löste Anfang Juli Thomas Schäfer als Vorstandsvorsitzenden von Škoda Auto ab.
Das sind seine Karrierestationen:
• seit 1997 als Vorstandsassistent bei der Porsche AG
• seit 1999 im Bereich Vertriebsnetzentwicklung als Gebietsleitung für Nordamerika bei Porsche France
• seit 2000 als Projektleiter für den Aufbau der Bereiche Vertrieb und Marketing im Rahmen der Neuansiedlung des Porsche-Werks in Leipzig anschließend als Leiter des Kundenzentrums im Porsche-Werk
• seit 2007 als Leiter Marketing bei Porsche Deutschland
• seit 2010 als Vorsitz der Geschäftsführung des Porsche-Werks in Leipzig
• seit 2015 als President & CEO bei Porsche Cars North America in Atlanta, USA
• seit 2020 als Vorstand für Vertrieb, Marketing und After Sales der Marke Volkswagen Pkw

Interview: Christian Rühmkorf
Foto: Škoda Auto

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