„Wir dürfen jetzt nicht verschlafen“
Interview mit Hana Součková, Generaldirektorin von SAP Tschechien, und Milan Šlachta, Repräsentant von Bosch Group CZ & SK
Digitalisierung ist ein Schlüssel zur Transformation der in Tschechien und Deutschland so wichtigen Industrie. Digitalisierung ist daher auch das DTIHK-TopThema 2024, und sie ist zudem ein Schwerpunkt in der diesjährigen Konjunkturumfrage. Über all das kann man am besten mit Hana Součková und Milan Šlachta sprechen, den CEOs von SAP und der Bosch Group CZ/SK. Denn beide Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an der digitalen Transformation und ergänzen sich mit Ihrem ganz eigenen Blick auf die Herausforderungen.
Hana Součková, Sie hatten im März einen besonderen Gast in Prag, den SAP-Chef Christian Klein. Was haben Sie persönlich von seinem Besuch mitgenommen und welche Botschaft hatte er für die SAP-Mitarbeiter in Tschechien?
HS: Christian Klein hat bestätigt, dass Tschechien eines der Länder ist, in denen er eine große Offenheit für Innovation und Digitalisierung spürt. Wir haben natürlich auch über den Vergleich mit Deutschland gesprochen. Christian sieht ein riesiges Potenzial in Tschechien. Das Land bleibt für SAP ein strategischer Standort, in den SAP weiter investieren will. Das freut uns natürlich sehr.
Gleichzeitig wird aber die Zahl der Beschäftigten reduziert…
HS: Global plant SAP, Ende dieses Jahres die gleiche Anzahl von Mitarbeitern zu haben wie zu Jahresbeginn. Unser Umstrukturierungsprogramm hängt nicht nur mit der Digitalisierung zusammen, sondern auch mit neuen Technologien im Bereich der künstlichen Intelligenz. Wir sagen nicht, dass wir Personal abbauen werden, aber wir werden die Beschäftigungsstruktur dort anpassen, wo neue Technologien neue, qualifizierte Arbeitskräfte erfordern.
„Budweis wird zum Standard für den gesamten Unternehmensbereich“
Milan Šlachta, wann kommt Ihr Chef nach Tschechien, der Bosch-CEO Stefan Hartung?
MŠ: Wir haben noch keinen Termin. Aber das Interesse an uns ist groß, weil eines unserer beiden größten Werke, das Werk in Budweis, eine große digitale Transformation durchläuft. Dabei geht es um die Einrichtung einer neuen Produktions- und Logistikplattform, in der Steuerung des Werks kommt es zu einem kompletten Umbau der Archtitektur. Was wir in Budweis umsetzen, wird zum Standard für den gesamten Unternehmensbereich Bosch Mobility. Am 1. Januar wollen wir damit an den Start gehen. Eine große Herausforderung also.
Sprechen wir über die Ergebnisse unserer diesjährigen Konjunkturumfrage, insbesondere über den Aspekt Digitalisierung. Zunächst: Wie wird sich die Konjunktur 2024 aus Ihrer Sicht entwickeln?
HS: Das Segment der Informationstechnologie wächst stetig weiter. Das hängt damit zusammen, was Milan schon angesprochen hat. Die Unternehmen müssen darauf reagieren, was auf dem Markt passiert in Sachen Effizienz, Produktivität und neuer Geschäftsmodelle. Wir erwarten, dass wir in diesem Jahr zu einem zweistelligen Wachstum zurückkehren, auch weltweit.
„Zögerlichkeit und eine konservative Haltung lassen uns zurück fallen.“
Wie sieht es bei Bosch aus?
MŠ: Wir haben bei Bosch ein so breites Spektrum, und jeder Bereich hat seine Besonderheiten. Wir haben sowohl positive Entwicklungen im Bereich Automotive, wo alle Verzögerungen durch die Chipkrise und die Materialknappheit aufgeholt werden, als auch eine gewisse Abkühlung in anderen Bereichen. Wir glauben aber, dass wir auch da im Laufe des Jahres wieder zu einer positiven Entwicklung kommen.
„Unterschiedliche Vorstellung vom Grad der Digitalisierung und ihrer Bedeutung.“
Laut unserer Umfrage unter den DTIHK-Mitgliedern schätzen mehr als 60 % den Stand der Digitalisierung in ihrem Unternehmen als „gut“ oder sogar „sehr gut“ ein, und fast 30 % halten ihn zumindest für befriedigend. Das ist nicht wenig …
HS: Überrascht hat mich, dass ein Großteil der Befragten die Digitalisierung als aktuelle Agenda des Managements und Teil der Transformation wahrnimmt. Daran erkennt man auch, dass Tschechien traditionell einen besonders hohen Prozentsatz an technisch ausgebildeten Menschen hat. Wir liegen damit noch immer über dem EU-Durchschnitt, wie auch eine Reihe von aktuellen Berichten bestätigt. Aber wir dürfen jetzt nicht verschlafen.
MŠ: Mich hat das auch überrascht, allerdings sehe ich das nicht ganz so optimistisch. Ich glaube, die Unternehmen haben oft eine unterschiedliche Vorstellung vom Grad der Digitalisierung und ihrer Bedeutung. Das ist nicht immer ganz vergleichbar. Und das kann ein Risiko sein. Denn vielleicht schreitet die Entwicklung viel schneller voran, als wir uns eingestehen wollen.
Welche Formen von Transformation im Zusammenhang mit der Digitalisierung sehen wir denn derzeit am häufigsten in den Unternehmen?
MŠ: Es geht vor allem um neue Standards für die Steuerung von Produktion und Logistik. Und dann geht es natürlich auch um Technologien, die künstliche Intelligenz nutzen. Ein Beispiel aus der Produktion: Wo wir heute noch fünf Teststufen benötigen, werden wir am Ende nur noch eine brauchen. Die übrigen potenziellen Risiken werden wir durch Algorithmen und die Nutzung von Daten und KI aufdecken.
HS: Ja, die Disruption in den verschiedenen Bereichen ist enorm. Das gilt auch für das Personalwesen. Einige Unternehmen beginnen die Transformation gerade in der Personalabteilung, weil sie wissen, dass sie ihre Mitarbeiter auf die Veränderungen vorbereiten müssen. Und die anderen Bereiche sind eindeutig Kosten, Effizienz und Profitabilität. Was wir bei SAP in unserem Markt als Transformation wahrnehmen, deckt sich sehr mit dem, was die Unternehmen in der Umfrage anführen.
„In Tschechien mehr Offenheit, Lust und Interesse an neuen digitalen Disziplinen.“
Bosch und SAP sind deutsche Unternehmen. Sehen Sie Unterschiede beim Stand der Digitalisierung in Tschechien und in Deutschland?
HS: Da hat Tschechien eindeutig die Nase vorn, würde ich sagen.
MŠ: Das würde ich auch recht selbstbewusst behaupten. In Tschechien sehe ich bei unseren Mitarbeitern mehr Offenheit, Lust und Interesse an neuen digitalen Disziplinen. Auf der anderen Seite denke ich, dass in Deutschland Förderprogramme und Bildungssystem in dieser Hinsicht besser funktionieren als in Tschechien.
HS: Es ist logisch, dass wir so aufgestellt sind, denn Bosch und SAP in Tschechien wurden als verlängerter Arm der Unternehmen in Deutschland gegründet. Sie wollten unsere Talente, unsere Kreativität und unsere Produktivität nutzen. SAP hat ein Shared Services Center in Tschechien, es hat hier Entwicklung, Kundensupport und andere Dinge. Das sind alles Aktivitäten, bei denen wir extrem hart daran arbeiten, kreative Lösungen zu finden und gleichzeitig effizienter und flexibler zu werden. Das läuft natürlicherweise auf digitale Lösungen hinaus.
Werfen wir einen Blick auf das Thema digitale Weiterbildung in unserer Umfrage. Mehr als 60 % der Unternehmen geben an, dass die schwierigste Aufgabe die Weiterbildung von Mitarbeitern und Führungskräften ist. Und fast die Hälfte der Unternehmen sagt, die größte Herausforderung sei die Akzeptanz der Digitalisierung von Mitarbeitern und Kunden. Entspricht das auch Ihren Erfahrungen? Und was ist zu tun?
HS: Wir müssen uns klarmachen, dass Europa in diesem Bereich schon immer sehr konservativ war. Wenn wir uns Asien oder Amerika ansehen, wie sie in der Lage sind, die Einführung neuer Technologien zu beschleunigen, dann laufen wir hier in Europa der Welt hinterher. Ebenso klar ist: Wir hatten die gleiche Ausgangsposition. Aber Zögerlichkeit und eine konservative Haltung lassen uns zurückfallen. In einem jüngst erschienenen Bericht ist die Rede davon, dass bis 2030 nur 20 % der Unternehmen in der EU Künstliche Intelligenz aktiv nutzen werden, falls es keine Förderprogramme für die Ausbildung in neuen Technologien und ihre Einführung gibt. Ein aktuelles Beispiel eines unserer Kunden, der diese Technologie eingeführt hat und sie seit zwei Wochen im Einsatz hat. Als ich ein Vorstandsmitglied nach einer Woche fragte, wie es laufe, sagte er: „Die Transplantation des Herzes ist gut gelaufen, es funktioniert, aber wir sind noch auf der Intensivstation, denn der Organismus stößt das neue Organ ab.“ Ich habe mein Team kürzlich gefragt, wie aktiv sie ChatGPT oder andere KI-Plattformen nutzen. Raten Sie mal. Ein Drittel! Und dabei sind wir sogar ein IT-Unternehmen … Deshalb fordere ich unsere Mitarbeiter auf, mit gutem Beispiel voranzugehen.
Bleiben wir bei der Körper-Herz-Metapher: Bedeutet das, dass Digitalisierung nicht Teil unserer DNA ist?
MŠ: Ich würde das nicht so schwarz-weiß sehen. Und auf keinen Fall würde ich die Digitalisierung nur mit Künstlicher Intelligenz in Verbindung bringen. Im Unternehmen fangen wir mit Dingen an, die das tägliche Leben vereinfachen: Wir organisieren Schulungsprogramme, haben in jeder Abteilung mehrere „Botschafter“, die sich für neue Technologien begeistern und ihre Kollegen mitreißen können. Dann geht es weiter mit der Digitalen Akademie, in der Menschen aus allen Abteilungen sich an der Digitalisierung eines Problems versuchen, mit PowerBI oder anderen Visualisierungs- oder Analyseprogrammen. Allmählich gelangen wir zu höheren Kompetenzen wie etwa der Anwendung von Algorithmen. Auf diese Weise ist es uns gelungen, das Mindset so weiterzuentwickeln, dass das Werk in Budweis als Pilotprojekt für die gesamte digitale Transformation ausgewählt wurde. Um bei der Körper-Herz-Metapher zu bleiben: Unsere Mitarbeiter haben diese Veränderungen angenommen, weil sie wissen, dass sie mit neuen Organen weiter laufen werden.
„Leider ist unser Bildungs- und Schulsystem ziemlich veraltet.“
Nun zur digitalen Kompetenz: Die meisten Unternehmen (62 %) geben an, dass das Wissen, wie man mit Daten arbeitet, die wichtigste Kompetenz ist. KI-Anwenderwissen ist die zweitwichtigste Kompetenz.
HS: Wenn wir 30 Jahre zurückblicken, dann sehen wir, dass sich die Berufsbilder neu definiert haben. Die erste Welle moderner Software hat die Arbeit eines Lagerarbeiters oder eines Buchhalters wesentlich erleichtert. Und heute werden diese Berufe durch neue Technologien wieder neu definiert. Deshalb bin ich froh, dass die Unternehmen in der Umfrage die Arbeit mit Daten oder die Datenanalyse als eine der Schlüsselkompetenzen genannt haben. Künstliche Intelligenz wird in absehbarer Zeit viele Dinge regeln können, aber zum Glück – und das wird durch die neue Gesetzgebung in der EU zur KI-Regulierung bestätigt – übertragen wir ihr nicht die Befugnis, Entscheidungen zu treffen. Das bleibt in unserer Hand. Und hier sehe ich auch die größte Herausforderung für das Management.
MŠ: Ich sehe Kompetenzen als interdisziplinär. Die Arbeit mit Daten aus verschiedenen Bereichen erfordert auch Kompetenzen in verschiedenen Bereichen: Logistik, Produktion, Produkt, Kunde. Die Daten müssen in der Regel kombiniert werden. Aber alles entwickelt sich furchtbar schnell, und ich glaube nicht, dass irgendjemand die Kapazität hat, das gesamte Spektrum abzudecken. Man muss also die richtigen Bereiche wählen, in denen man Mitarbeiter ausbilden will. Leider ist unser Bildungs- und Schulsystem ziemlich veraltet und nicht flexibel genug. Die Unternehmen müssen Ausbildung in ihren eigenen Konzepten integrieren, was teuer ist. Es ist notwendig, mit der rasanten Entwicklung Schritt zu halten und die Lehrpläne entsprechend zu gestalten. Sonst kommen die Absolventen mit einem Wissen aus der Schule, das bereits drei oder fünf Jahre veraltet ist.
KI ist äußerst disruptiv, wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Eine Geschäftsplanung im Stil von „Wo wollen wir in 5 Jahren sein“ funktioniert nicht mehr, oder?
HS: Wenn wir in sechs Monaten hier zusammensitzen, werden wir vielleicht über Szenarien sprechen, die heute unrealistisch erscheinen … Aber das Wesen des Business hat sich nicht verändert. Ich brauche Leute, die etwas herstellen und es jemandem anbieten. Ich muss schauen, ob meine Produkte oder Dienstleistungen innovativ und auf dem Markt wettbewerbsfähig sind? Ändern sich die Kundenbedürfnisse? Wenn ich mit diesen drei grundlegenden Komponenten beginne und sie in eine Reihenfolge bringe, kann ich Bereiche finden, in denen es sinnvoll ist, nach dem Mehrwert der Digitalisierung zu suchen, damit mein Unternehmen florieren kann.
MŠ: Wir werden die strategische Planung und wichtige Entscheidungen nicht der Künstlichen Intelligenz überlassen. Wir wollen die Produktivität steigern, schneller und kreativer sein und gleichzeitig monotone Tätigkeiten reduzieren, damit die Arbeit mehr Spaß macht. Darin sehe ich das Potenzial.
„Dagegen verlieren wir am meisten bei den Softskills.“
Ganze 80 % der befragten Unternehmen gaben an – und Sie sagen das auch –, dass sie das Thema Weiterbildung mit internen Programmen angehen. Gleichzeitig sagen über 73 % der Unternehmen, dass ihnen die internen Kapazitäten dafür fehlen. Beißt sich hier nicht die Katze in den Schwanz?
HS: Die Umfrage ergab aber auch, dass 20 % der Unternehmen bereits mit dem öffentlichen Bildungswesen, mit Gymnasien, Fachhochschulen und Universitäten zusammenarbeiten. Es ist auch wichtig, den Dialog zwischen dem Bildungswesen und der Wirtschaft über die Gestaltung der allgemeinen Bildung in Gang zu bringen. Erhebungen zufolge gehört Tschechien zu den Top 10 in Bezug auf technisches Wissen. Dagegen verlieren wir am meisten bei den Soft Skills. Wir können zwar Experten hervorbringen, aber es fehlt uns an Menschen mit universellen Kenntnissen und Fähigkeiten. Daran hapert es in unserem System leider noch.
MŠ: Und vergessen wir auch nicht, dass es Situationen geben kann, in denen das Management in der Lage sein muss, den Mitarbeitern eine Alternative anzubieten, nachdem die Digitalisierung einen Teil ihrer Arbeit ersetzt hat. Auch dies ist eine Herausforderung, die mit dem Thema Ausbildung zusammenhängt.
Das letzte und für mich überraschende Ergebnis der Umfrage ist, dass 80 % der Unternehmen angeben, dass sie noch nicht Opfer eines Hackerangriffs geworden sind.
HS: Das hat mich auch überrascht. Aber ich glaube das nicht. Ich glaube eher, dass sie es einfach nicht einschätzen können.
MŠ: Das ist ein wirklich überraschendes Ergebnis. Wir hatten es in letzter Zeit nicht mit einem größeren Hackerangriff zu tun, aber es gab eine Reihe kleinerer Angriffe oder Phishing.
HS: Wenn ich sehe, mit wie vielen Fällen von potenziellem Hacking wir uns jeden Monat befassen, wage ich zu behaupten, dass die Unternehmen mit wesentlich mehr Fällen zu tun haben, als sie in der Umfrage angeben.
Interview: Christian Rühmkorf
Foto: Tomáš Železný