Interview mit Stefan Hoppe, CEO Kaufland CZ
Die Lösung steht selten in einer Doktorarbeit
Sympathisch, nahbar, geerdet. Gerade mal 40, leitet er seit über einem Jahr die Lebensmittelkette Kaufland in Tschechien. Stefan Hoppe ist gebürtiger Kaufländer, hat sein Manager-Handwerk von der Pike auf beim Konzern gelernt. Mit ihm reden wir über Food- und Einkaufstrends, über Corona und Nachhaltigkeit sowie Lebensmittel als Mittel der Politik.
Wo und wie haben Sie die Corona-Krise überstanden?
Die Anfänge habe ich hier in Tschechien erlebt und bin dann kurz nach der Ausrufung des Notstandes nach Deutschland ausgereist. Glücklicherweise habe ich bei uns im Headquarter in Neckarsulm einen Videokonferenzraum bekommen, da konnte ich dann über einen Monat aus der Ferne arbeiten.
Social distancing also kein Problem. Wie gut hat das Distance-Managing funktioniert?
Ausgesprochen gut, hätte ich nicht für möglich gehalten. Einerseits durch die technischen Möglichkeiten, andererseits durch eine gute Zusammenarbeit im Team. Was etwas verloren geht, ist die persönliche Ebene, auf der Sie die Möglichkeit haben, persönlich oder in einem engeren Kreis auf Themen zu reagieren. Videokonferenzen sind eben eine strikt geplante Kommunikation.
Und wie hat das Unternehmen Kaufland in Tschechien bisher die Krise erlebt?
Die Kundenzahl ist durch die Coronavirus-Maßnahmen bzw. durch die Ausgangsperre zwar generell gesunken, auf der anderen Seite haben die Kunden aber größere Mengen gekauft. Im Großen und Ganzen ist Kaufland Tschechien bisher gut und stabil durch die Krise gekommen. Was wir jetzt feststellen, ist ein Trend zu preisgünstigen Artikeln – die Sorge vor Rezession und Arbeitslosigkeit.
In Tschechien haben Sie 2019 das Ruder übernommen. Wie haben Sie den „Laden“ vorgefunden? Es gab ja zuvor deutliche Einbrüche bei Umsatz und Gewinn.
Kaufland Tschechien war immer eine sehr erfolgreiche Landesgesellschaft von Kaufland. Aus Tschechien wurden immer wieder Innovationen, Prozesse und Marketingstrategien nach Deutschland exportiert. Was ich hier vorgefunden habe, war eine gewisse Unruhe und Instabilität – bedingt durch unglaublich viele Veränderungen, die im Jahre 2018/19 durchgeführt wurden und teilweise einfach nicht optimal waren. Im Geschäftsjahr 2018 wurde ein Großteil unserer Aushilfen entlassen, um die Produktivität zu steigern. Die Kassenabwicklung und die Warenpräsenz waren nicht mehr gewährleistet. Da gab es ein paar negative Medienberichte.
„Handel ist keine Raketenwissenschaft“
Und wie haben Sie als neuer Chef „den Laden aufgemischt“?
Ich habe jedem meiner Mitarbeiter drei Fragen gestellt. Für was steht eigentlich Kaufland Tschechien auf dem Markt? Also für Preis, Qualität, Vielfalt, für Produktivität, für ein deutsches Unternehmen? Was machen wir derzeit besonders gut? Wo müssen wir uns verändern, um wieder gut zu werden? Insbesondere die erste Frage konnte kaum jemand beantworten. Wir haben dann die Hausleiter eingeladen und gefragt, was eigentlich die Kunden sagen. Handel ist keine Raketenwissenschaft. Wir verkaufen hauptsächlich Lebensmittel, und die Lösung steht meistens nicht in irgendeiner Doktorarbeit.
Was ist denn die Zielgruppe von Kaufland Tschechien?
Bei Kaufland darf man sich aus meiner Sicht nie auf ein Kundenspezifikum festlegen, sondern muss ein bisschen genereller bleiben, vom Single über die berufstätige Mutter bis zum Senioren. Was mir allerdings aufgefallen ist – unsere Kommunikation war zu chaotisch. An einem Tag sagen wir, wir sind die Billigsten, dann die Frischsten, danach die Nachhaltigsten und am vierten Tag haben wir das beste Sortiment. Das hatte irgendwie keine Linie.
Investitionen sagen viel über die Strategie eines Unternehmens aus. Was sind aktuell die wichtigsten Projekte für Kaufland?
Oberste Priorität hat die Modernisierung unseres Filialnetzes. Teilweise wurden unsere Filialen seit der Eröffnung vor 20 Jahren nicht mehr angefasst.
Beim Schwesterunternehmen Lidl gab es eine klare Modernisierungssprache – Stichwort: Aufwertung. In welche Richtung geht die Modernisierung bei Kaufland?
Wir wollen uns auch wertiger darstellen. Allerdings funktioniert das Abriss-Neubau-Prinzip von Lidl bei Kaufland nicht in dem Maße. Die Kaufland-Filialen sind dafür flächenmäßig zu groß. Wir investieren eher in die Aufwertung der bestehenden Immobilie. Lichttechnik – ganz wichtiger Faktor -, Farbe, Regalierungstypen, nicht mehr so hohe Regalierungen wie in der Vergangenheit, neue Theken, neue Kühltechnik.
„Zurück zur klassischen Bedienungstheke“
Unser Titelthema ist FOOD. Was sind die Trends in der tschechischen Gesellschaft bei Food und Lifestyle, die auch Kaufland aufgreift?
Bio gehört inzwischen schon zum Standard und die Kunden erwarten eine große Auswahl an Bio-Produkten schon im Discount. Hinzu kommen laktose- und glutenfreie Produkte. Der andere Trend geht zurück zur klassischen Bedienungstheke. Die Kunden möchten heute wieder bedient und beraten werden. Die Bedienungstheken haben wir aus den Augen verloren. Wir hatten ja sehr viel auf Selbstbedienung umgestellt, auf Verpackungen. Und jetzt sehen wir, dass die Kunden wieder bedient und beraten werden möchten und das auch ein Stück weit zelebrieren. Deswegen haben wir auch sehr viel Personal eingestellt in die Bedienungstheken. Man denkt, das ist so einfach, aber wenn man mal vier Stunden hinter der Theke steht, dann weiß man wirklich, was die Leute da leisten.
Wie finden Sie die richtigen Mitarbeiter?
Durch die Entlassungen im Geschäftsjahr 2018/19 sind etliche Schwierigkeiten entstanden. Durch Stellenausschreibungen, Gehaltserhöhungen und eine bessere Personalpolitik hat sich die Situation aber verbessert. Wir erleben im Moment eine stabile Entwicklung bei Umsatz und Kunden.
Bildet Kaufland in Tschechien selbst aus?
Den klassischen Ausbildungsberuf des Verkäufers wie in Deutschland, gibt es in Tschechien nicht. Wir bilden unsere Mitarbeiter intern weiter. Beispielsweise in unserer „Frische-Schule“. Dort haben wir dann Bedienungstheken aufgebaut, und da kann man dann üben, wie man Kundenberatungsgespräche führt. Die Kollegen haben unglaublich Spaß daran.
Freundlichkeit ist ja auch so ein Thema im Dienstleistungsbereich in Tschechien…
Wenn jemand nicht freundlich ist, gibt es für mich drei Gründe: Der erste Grund kann der Vorgesetzte sein – wenn der Chef seine Mitarbeiter nicht genügend motivieren und seine Wertschätzung nicht zeigen kann und für sie kein Vorbild ist, dann schlägt die Stimmung auf das Team über. Der zweite Punkt: Du bist einfach überfordert, bekommst keine Freiräume und Eigenverantwortung. Neben dem Job benötigt man auch private Freiräume um sich zu regenerieren. Und der dritte Punkt: Du hast keine Fachkenntnis.
„Das kriegt man nie wieder aus dem Kopf“
Sie selbst haben ein praxisnahes duales Studium an der Uni Mannheim absolviert. In Tschechien gibt es das noch nicht. Was hat Ihnen dieser Praxisbezug für Ihre heutige Tätigkeit als Top-Manager gebracht?
Die Theorie- und Praxisphasen in der Ausbildung waren für mich unglaublich wertvoll. Das ist bei Kaufland extrem … man fängt wirklich im Leergut an, räumt Obst ein, steht hinter der Theke, füllt die Regale auf, muss mit Schutzarbeitskleidung im Tiefkühllager bei -40 Grad stehen und erlebt auch mal ein Weihnachtsgeschäft, wo vielleicht mehrere LKW mit 60 Paletten vor der Tür stehen und in das Lager passen nur noch 10 hinein. Das kriegt man nie wieder aus dem Kopf. Man sieht wie schnelllebig der Handel ist, auch welche Leistungen da erbracht werden. Als nächsten Schritt habe ich den ganzen Warenbereich „Food“ übernehmen können. Das schon in der Ausbildung zu erleben, macht natürlich unglaublich Spaß. In meiner Diplomarbeit ging es um das Thema „Azubis führen einen Markt“. Da haben wir auch einen Ausbildungspreis bei der IHK Heilbronn/Franken gewonnen. Da war ich Projektleiter. Damals wurden 140 Azubis in die Filiale Heilbronn versetzt, um sie anderthalb Monate zu betreiben. Das war extrem spannend und unglaublich dynamisch.
Kaufland war 2019 und 2020 wieder „Top Employer“ in Tschechien und auch in Europa. Wofür hat Kaufland diese Auszeichnung bekommen?
Wichtig sind hohe Sozialstandards, ein transparentes Vergütungssystem und eine gute Einarbeitung. Außerdem muss eine Grundzufriedenheit bei den Angestellten herrschen. Wichtig ist auch eine hervorragende Teamarbeit im Unternehmen. Am besten ist dabei eine gute Mischung aus ganz erfahrenen Mitarbeitern und ganz jungen, die gerade reinkommen und Verantwortung übernehmen. In Deutschland hatte ich einen Markt in Bad Dürrheim, der mit Abstand die längste Betriebszugehörigkeit aller Mitarbeiter bei Kaufland hatte. Der Hausleiter war seit 37 Jahren in seiner Funktion. Das Ding war eine Rakete! Die kannten ihre Kunden, die wussten wie Kaufland und der Kunde ticken und konnten auch neue Leute gut integrieren.
Wie weit oben steht die Digitalisierung auf der Kaufland-Agenda?
Meine Großmutter hat mal gesagt, „du verkaufst doch nur Bananen“. Beim Einzelhandel denkt keiner daran, was alles im Hintergrund abläuft, damit die Banane vorne im Verkaufsraum liegt. Kaufland ist auf dem tschechischen Markt das einzige mir bekannte Unternehmen, das eine vollautomatische Disposition in vielen Warenbereichen nutzt. Hinter den Bestellprozessen stehen tiefgehende Systeme und Algorithmen. 2001, als ich bei Kaufland angefangen habe, da haben wir mit einem Stift händisch bestellt. Wenn man nicht die Menge für die Dressings wusste, dann hatte der Kunde Pech. Bei internen Prozessen kommen wir heute zudem – bis auf die Unterschriftenmappe – fast ohne Papier aus.
Lebensmittel-Lieferservices verzeichnen während der Corona-Krise enorme Umsatzsteigerungen. Kaufland hat das Pilotprojekt in Berlin 2017 eingestellt. Kann die Corona-Krise zu einem Umdenken führen?
Das ist ein schönes Beispiel, wo Tschechien weiter ist als Deutschland. Die Lebensmittellieferungen hier waren das erste, was mich in Prag fasziniert hat – gut, professionell und auch akzeptiert bei den Kunden. Das Problem für Kaufland waren die hohen Zustellkosten und der geringe Gewinn im Vergleich zum stationären Geschäft. Trotzdem beschäftigen wir uns intensiv mit anderen Varianten des eCommerce. Und so haben wir Mitte Juni ein gemeinsames Projekt mit dem tschechischen Lebensmittel-E-Shop Kosik.cz gestartet und dadurch die Online-Welt mit unseren Flaggschiffprodukten betreten. Zurzeit bieten wir online rund 600 Kaufland-Produkte der eigenen Handelsmarken an wie „K-Jarmark“ aus tschechischer Produktion. Unser Sortiment wird auf Kosik.cz in Form eines Shop-in-Shop präsentiert. Für Kaufland ist das die erste Zusammenarbeit dieser Art, und wir gehen davon aus, dass wir das Angebot schrittweise erweitern.
Großes Thema Nachhaltigkeit: Mitten in der Corona-Zeit hat Kaufland im April 2020 eine neue „nachhaltige“ Filiale in Rakovník eröffnet. Was macht diese Filiale nachhaltig?
Durch Wärmerückkopplung sparen wir massiv Energie ein in so einer Filiale mit den vielen Kühlungselementen. Mit unserer neuen Technologie für die Nutzung von Regenwasser und anderen modernen Elementen wie LED-Beleuchtung oder Kühlmöbeln schützen wir Ressourcen und sparen Energie. Wir modernisieren unsere bestehenden Filialen und bauen neue nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit.
Ist mit Corona die Nachhaltigkeit als Aufgabe für die Wirtschaft erst mal vom Tisch?
Meine Tochter ist acht Jahre alt und stellt relativ harte Fragen: „Wird es eine Welt wie heute in der Zukunft noch geben? Gibt es einen Klimawandel? Und warum werfen die Menschen Plastik ins Meer?“ Um ehrlich zu sein, hatte ich ganz andere Fragen mit acht Jahren. Meiner Meinung nach kommt jetzt eine Generation nach, die sich sehr stark damit beschäftigen wird, wie ein Unternehmen mit Ressourcen umgeht. Da müssen wir uns schnellstmöglich in manchen Themen anders aufstellen. Unsere REset-Plastik-Strategie ist hier ein wirklich gutes Beispiel.
„Nur weil er aus Deutschland kommt?“
Im Parlament liegt eine Novelle zum Lebensmittelgesetz: In Zukunft sollen 55% – 85% der Lebensmittel im Regal aus Tschechien stammen. Was ist das für ein Trend?
Ich will mir nicht anmaßen, was Politik oder vielleicht Populismus ist. Ich befürworte natürlich, dass wir regional kaufen, regional produzieren, möglichst kurze Wege haben. Wir bemühen uns, möglichst viele Produkte und Rohstoffe aus Tschechien dem Kunden anzubieten, zum Beispiel für unser eigenes Fleischwerk. Die Kunden erwarten es hier. Da haben wir auch schon schmerzhafte Erfahrungen gemacht, zum Beispiel mit Karpfen aus Polen. Der Markt gibt uns vor, immer regionaler und lokaler zu werden. Die Frage ist nur, was gibt der Markt her? Steigende Preise sehe ich da als Risiko. Und dann gibt es bei uns Eigenmarken, die in Deutschland produziert werden, in großen Mengen, in guter Qualität – soll jetzt dieser Artikel nicht mehr da sein, nur weil er aus Deutschland kommt? Irgendwas stimmt dann mit Europa nicht. Wenn das jeder mit seinem Markt macht, dann wird das zu Problemen führen.
Gab es ein tschechisches Lebensmittel, welches Sie während Ihres Corona-Aufenthaltes in Deutschland vermisst haben?
Das gezapfte Bier aus dem Tank.
Interview: Christian Rühmkorf
Foto: Tomáš Železný