Tschechen begeistern sich für das Internetshopping
Jüngsten Prognosen zufolge wird der Onlinehandel von Prag bis Brünn in den kommenden Jahren zweistellig wachsen. Der Einzelhandel reagiert.
Tschechiens Verbraucher sind bester Stimmung. Dank des leergefegten Arbeitsmarktes steigen die Löhne, die Sparquote sinkt. Gute Voraussetzungen für den Einzelhandel, dessen innahmen in den ersten drei Quartalen 2018 nominal um 5,8 % zulegten. Stärkstes Wachstumssegment ist dabei der Onlinehandel: Für das 1. Halbjahr 2018 wurde mit 51,5 Milliarden Kč (umgerechnet über 2 Milliarden Euro) ein Umsatzplusvon 11 % erzielt. Der Marktanteil am Umsatz des Einzelhandels insgesamt stiegdamit von 10 auf 11 %.
Dieser Trend wird anhalten. „Für 2018 erwarten wir ein Plus der Online-Einzelhandelsumsätze von mehr als 15 % im Vergleich zum Vorjahr. Damit sollte die Summe von 133 Milliarden Kč überschritten werden. Auch in den Folgejahren gehen wir von einem jährlichen Wachstum zwischen 12 und 18 % aus“, so Jan Vetyška, Geschäftsführer des tschechischen eCommerce-Verbandes APEK (Asociace pro elektronickou komerci). Ein zukünftiges Wachstum auf 250 Milliarden Kč in den nächsten drei bis maximal 4 Jahren sagt Václav Liška, Partnerbeim Fonds Leverage Technology, voraus, der sich auf Onlinetechnologien und eCommerce spezialisiert hat.
Die Ausgangslage für weiteres Wachstum ist gut. Neben dem Zugang zu schnellem Internet und sinkenden Preisen für diemobile Datennutzung wächst auch das Konsumentenvertrauenin den Onlinehandel. Nach Angaben des Tschechischen Statistikamtes hat über die Hälfte der Bevölkerung über 16 Jahre im vergangenen Jahr im Internet gekauft. Potenzial nach oben ist noch vorhanden: Im Vereinigten Königreich, Schwedenoder Dänemark lag der Anteil nach Angaben von Eurostat bei über 80 %. Nacheiner Studie des Marktforschungsinstituts Ipsos, die Zahlungsdienstleister PayPal in Auftrag gegeben hat, haben ungefähr 51 % der tschechischen Onlinenutzerbei ausländischen Anbietern eingekauft.
In punkto durchschnittliche Netzgeschwindigkeit hat Tschechien im Vergleich zu Deutschland die Nase vorn. Einer Studie des US-Dienstleisters Akamai Technologies zufolge nahm Tschechien im ersten Quartal 2017 mit durchschnittlichen 16,9 Mbit/s den 14. Platz im weltweiten Vergleich ein. Deutschland kam mit 15,3 Mbit/s lediglich auf Rang 25.
Senioren auf Einkaufstour im Netz
Zunehmend entdecken auch ältere Menschen Onlinekäufe für sich. Fast 45 % der Senioren surften 2017 mindestens einmal pro Woche im World Wide Web, knapp 13 % kauften nach Angaben des Tschechischen Statistikamtes im Internet ein – 2013 waren es erst 4,6 %. Besonders bei den Onlinelebensmittelhändlern wie Rohlik.cz oder Kosik.cz steigt die Zahl der älteren Käufer rasant. Über 1.800 Kunden von Rohlík waren im 3. Quartal 2018 über 65 Jahre alt. Für das Gesamtjahr erwartet der Anbieter eine Steigerung auf 3.000 Kunden in dieser Altersgruppe.
Im Jahr 2017 gab es dem Preisvergleichsportal Heureka.cz zufolge 40.100 Onlineshops. Zehn Jahre zuvor waren es 3.500. Die wenigsten Anbieter haben dabei eine starke Marktposition. Die größten Onlinehändler sind Alza.cz, auf den 2017 über 18 % der Umsätze der Onlineshops entfielen, gefolgt vom Vollsortimenter Mall.cz mit einem Anteil von 6 %.
Vertriebskanäle verschmelzen
Der tschechische Einzelhandel befindet sich im Wandel: „Es ist offensichtlich, dass sich die Online- und Offline-Welt zunehmend überschneiden werden. Onlineshops öffnen immer mehr Ausgabestellen und Brick and Mortar-Läden, die traditionellen Einzelhändler gehen hingegen weiter online“, sagt Vetyška gegenüber Germany Trade and Invest. Die Verschmelzung der Vertriebskanäle ist ein wesentlicher Trend. „Hierbei können wir einen stärkeren Druck auf die Qualität der Dienstleistungen und auf die Geschwindigkeit der Warenlieferungen erwarten. Die Qualität des Einkaufserlebnisses selbst und die einfache Kommunikation mit den E-Shops werden die Kunden immer mehr beeinflussen“, so der eCommerce-Experte.
Zum Beispiel wartet Alza.cz mit einem neuen Selbstbedienungskonzept auf: Die Kunden wählen die Waren selbst oder mit Hilfe von Verkäufern im Videochat aus und können sie nach der Bestellung gleich mitnehmen. Die erste Abholstation an der U-Bahnstation Flora in Prag wurde Anfang 2018 eröffnet.
Die Erfahrungen mit der 24 Stunden geöffneten Selbstbedienungsstation sind positiv: Allein in den ersten fünf Monaten 2018 wurden ZAPweb zufolge 22.000 Bestellungen abgewickelt und ein Umsatz von fast 23 Millionen Kč erzielt. Weitere Stationen wurden an den U-Bahnstationen Budějovická und Můstek im Laufe des Jahres eingerichtet.
Stationäre Händler investieren in Onlineshops
Auch der stationäre Einzelhandel vollzieht den digitalen Wandel. Immer mehr Anbieter setzen auf Onlineshops und neue Konzepte. Lidl Česká republika bietet seine Waren seit September 2017 virtuell an, dm drogerie hat im Februar 2018 seinen Onlineshop gestartet. Die Teta-Drogeriekette will nun nachziehen.
Die großen Einzelhandelsketten bieten zunehmend Click & Collect-Leistungen an. Die Kunden wählen online die Waren aus und holen sie dann in den Filialen ab. Der Vorteil liegt in der stärkeren Interaktion mit den Kunden, zudem kommt mehr Laufkundschaft in die Verbrauchermärkte. So erweitert Tesco sein Klikni + Vyzvedni-Konzept auf neue Standorte in Kladno, Kolín, Hradec Králové und Plzeň. Globus testet diesen Herbst der Nachrichtenagentur ČIAnews zufolge die Einführung von Click & Collect in Prag-Zličín.
Nach anderen Anbietern wie Globus führt auch die COOP-Gruppe automatische Kassen und Self-scanning ein. Doch die Zukunft kann auch „kassenlos“ aussehen. Ahold Delhaize, in der Tschechischen Republik mit Ahold Czech Republic vertreten, der die Super- und Hypermarktketten Albert betreibt, geht noch einen Schritt weiter: Via „Tap to Go“ können die Verbraucher mit einer Karte, die per App mit ihrem Bankkonto verbunden ist, oder ihrem Smartphone direkt am Warenregal bezahlen. Der Kunde hält die Karte einfach an das Preisschild des gewünschten Artikels am Regal, nach kurzem Aufblinken wird der Preis binnen zehn Minuten vom Konto abgebucht.
Tschechen sind für bargeldlose Zahlungen generell aufgeschlossener als deutsche Verbraucher. Vor allem junge Käufer unter 30 Jahren begrüßen laut Umfragen die Möglichkeit, Waren selber einzuscannen und den Einkauf abzurechnen.
Kunden füllen ihren Kühlschrank via www
Noch immer zählen Elektronikartikel zu den Verkaufsschlagern im Onlinehandel. Andere Produktgruppen holen aber auf. Das Vertrauen der Kunden ist mittlerweile so groß, dass sie im Internet praktisch alle Warenkategorien einkaufen, sagt Vetyška vom Fachverband APEK.
Besonders der Lebensmitteleinkauf wird im Netz immer beliebter und legte 2017 im Vergleichzum Vorjahr um über 57 % zu. Der auf Lebensmittel spezialisierte Onlinehändler Rohlik.cz konnte 2017 seinen Umsatz auf fast 2 Milliarden Kč verdoppeln, für 2018 rechneter mit knapp 3 Milliarden Kč. Konkurrent Kosik.cz, der zur Mall Gruppe gehört, hat die Einnahmen um 300 % gesteigert. Dieses Jahr erwartet er einen Umsatz in Höhe von 2 Milliarden Kč.
Der extreme Nachfrageanstieg führte zu Lieferengpässen. Kosik.cz musste im Frühjahr 2018 sogar die Belieferung von Kunden in Mähren und Schlesien einstellen, weil die Regionen zu weit vom Zentrallager entfernt sind.
Auch bei Bekleidung schlagen die Kunden immer häufiger online zu. Im Vergleich zu 2016 verbuchten die Händler ein Umsatzplus von 40 %. Dies führt dazu, dass Anbieter verstärkt online gehen wie zum Beispiel Tchibo und neue Wettbewerber den Markt erobern. Seit Sommer 2018 ist Zalando in Tschechien vertreten, im Herbst folgte der ebenfalls aus Deutschland stammende Mitbewerber About You.
Retouren machen Online-Modeverkauf zu schaffen
Trotz steigender Beliebtheit ist der Onlineverkauf von Mode kein leichtes Geschäft: Bis zu 50 % der Bestellungen werden zurückgeschickt, was den Anbietern hohe Kosten verursacht. Zoot, größter und erster tschechischer E-Shop für Bekleidung, hat jetzt die Notbremse gezogen. Einem Bericht der Wirtschaftszeitung E15 zufolge hat das Unternehmen 2017 zwar Einnahmen in Höhe von 1,1 Milliarden Kč erwirtschaftet, aber einen Rückgangdes Gewinnes um 27 Millionen Kč eingefahren. Die Aussichten für 2018 sehen nicht viel besser aus. Im ersten Halbjahr betrug der Verlust 55 Millionen Kč. Um gegenzusteuern stellte Zoot den Gratisversand ein und reduziert die Belegschaft. Auch Mitbewerber Bibloo verbuchte im Vorjahr bei einem Umsatz in Höhe von 147 Millionen Kč rund 82 Millionen Kč Gewinneinbußen.
Kreditkarte setzt sich durch
Generell ändert sich das Zahlungsverhalten der Tschechen. Nachnahme und die Barzahlung bei Warenübergabe an zentralen Abholpunkten zählen zwar nach wie vor zu den vorherrschenden Zahlungsmethoden, allerdings mit sinkender Tendenz. Stattdessen tätigen tschechische Kunden immer häufiger ihre Onlinekäufe per Kredit- oder EC-Karte. Fast alle E-Shops bieten ihren Kunden die Möglichkeit der Vorauszahlung, Kreditkartenzahlung oder auch zunehmend spezielle Onlinebezahldienste wie PayPal oder GoPay an. Zahlungsrückstände oder -ausfälle sind kaum bekannt, weil eine Lieferung auf Rechnung, anders als in Deutschland, fast nie angeboten wird.
Vom Einkaufsboom im Netz profitieren auch die Postdienstleister, er stellt sie aber auch vor große Herausforderungen, schließlich steigt die Zahl der Pakete rasant. So fertigte der Paketdienst Zásilkovna 2017 rund 7 Millionen Pakete ab. Alleine in den ersten drei Monaten 2018 waren es 2,2 Millionen, ein Plus von 70 % gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal, berichtet ČIAnews. Jetzt will Zásilkovna in die Automatisierung der Paketsortierung investieren und Bezahlterminals in allen 1.952 Ausgabestellen installieren. Für 2018 erwartet der Dienstleister 840 Millionen Kč Umsatz, fast doppelt so viel wie 2017 mit 470 Millionen Kč.
Die letzte Meile ist für die Logistik am schwersten
Die Warenlieferung ist zurzeit auch das Nadelöhr des Onlinehandels. Laut eCommerce-Experten Vetyška kämpfen vieleE-Shops, die Waren rechtzeitig zu ihren Kunden zu bringen, vor allem im Rahmen der sogenannten „letzten Meile“, dem letzten Wegstück bis zur Haustür des Kunden. Kleine Liefermengen auf weitverstreute Anlieferpunkte, zudem oft mehrfache Zustellversuche, weil die Empfänger nicht gleich anzutreffen sind, reiben die Kosten bei den Paketlieferungen in die Höhe.
Große Anbieter wie Alza mit eigener Versandlogistik bieten deswegen neue Formate wie die Lieferung in eine Paketbox („HomeBox“) an. Die Kunden legen fest, wo der Behälter installiert wird, in die die bestellte Ware geliefert wird. Einige deutsche Händler wie Zooplus nutzen die geografische Nähe und beliefern ihre tschechischen Kunden direkt von Deutschland aus.
Autorin: Regina Wippler
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