Tschechien erholt sich mit Hindernissen

Hoffnungen, die Pandemie 2021 zu besiegen und schnell wieder durchstarten zu können, sind verflogen. Die Wirtschaft wächst, aber langsamer als erwartet. Business as unusual bleibt vorerst die neue Normalität.

Tschechien begann den Winter mit einer der höchsten Covid-19-Inzidenzen weltweit. Dass die neue Omikron-Mutation am Tag nach ihrem Bekanntwerden schon gleich im Land detektiert wurde, trug nicht zur Beruhigung bei. Wieder schaltete der Tourismus herunter. Hinzu kommen die anhaltenden wirtschaftlichen Schäden, die das Virus im globalisierten Produktionsgeschehen anrichtete – mit Logistikstaus, zerstörten Lieferketten, Materialengpässen, Halbleitermangel, Preisschocks. Das beeinträchtigte die Erholungsprozesse in der Industrie im zweiten Halbjahr zunehmend.

Parallel gab es durch die internationale Energiekrise Kettenreaktionen, die zu knapp bemessene Geschäftsmodelle mit sich rissen. Das war der Fall des Energiedistributors Bohemia Energy, dessen Insolvenz rund 900.000 tschechische Abnehmer betraf. Treiber der Energiepreise sind neben dem Erdgas die hohen Preise für Emissionszertifikate. Ohnedies bedeuten der Grüne Deal und der steigende Dekarbonisierungsdruck enorme Herausforderungen für die Tschechische Republik. Sie ist nach Irland das am stärksten industrialisierte Land in der Europäischen Union.

Neue Regierung rechnet mit einem schweren Jahr

Vor diesem komplexen Hintergrund übernimmt eine neue Regierung das Ruder. In einer denkwürdigen Zeremonie ernannte Präsident Miloš Zeman am 28. November 2021 den konservativen Politiker Petr Fiala zum neuen Premier. Sein Wahlbündnis war aus den Parlamentswahlen Anfang Oktober als stärkste Kraft hervorgegangen. Um den Hygienebedingungen Folge zu leisten, wohnte das positiv auf Covid-19 getestete Staatsoberhaupt dem feierlichen Akt auf Schloss Lány abgetrennt durch transparente Plastikwände bei.

Der 57-jährige Fiala, Politikwissenschaftler, Hochschulprofessor und ehemaliger Bildungsminister, machte keinen Hehl daraus, dass das Jahr 2022 schwer werden wird und auf seine Regierung viele Herausforderungen zukommen. Als Prioritäten der aktuellen Stunde nannte er die Pandemie, die Energiekrise und den Staatshaushalt. Zugleich wolle seine Regierung das Land zukunftsfähig machen über eine Rentenreform, eine Neuausrichtung der Ausbildung und die Entwicklung der digitalen Infrastruktur. Die neue Regierung verfügt über eine klare Mehrheit von 108 der 200 Sitze in der Abgeordnetenkammer.

Automobilindustrie stockt, andere Branchen laufen

Als eine sehr offene Volkswirtschaft, in der die Automobilindustrie hohes Gewicht hat, leidet Tschechien besonders unter den Verwerfungen in den Liefer- und Logistikketten. Immer wieder stockten 2021 durch den Halbleitermangel die Fertigungsprozesse bei Autoherstellern und den Zulieferbranchen. Das schlug sich seit August auch im industriellen Produktionsindex und den Exporten nieder. Im Oktober brach die Autoproduktion um fast die Hälfte ein, weil Škoda Auto, das wichtigste tschechische Industrieunternehmen, wegen fehlender Halbleiter und damit verbundener Teile die Fertigung zwei Wochen lang einstellen musste.

Dafür verlief in den meisten anderen Branchen der Erholungsprozess deutlich stabiler. Produktion, Umsätze und Aufträge stiegen im Maschinenbau, der Fertigung elektrischer Ausrüstungen, der Produktion von Computern und Elektronik, bei den Nahrungsmittelherstellern, in der Chemie- und Pharmaindustrie, der Metallverarbeitung oder der Baustoffproduktion. Doch warnt der Industrieverband, dass der sprunghafte Anstieg der Energiepreise für einige Unternehmen einen Kostenschock darstellt. Zusammen mit dem Mangel an Arbeitskräften, Logistikproblemen, den mangelnden oder stark verspäteten Zulieferungen einiger Vorprodukte und entsprechend verlängerten Auslieferungszeiten eigener Erzeugnisse bremst das die Wachstumsdynamik.

Prognosen sehen langsamere Erholung

Im November haben verschiedene Institutionen ihre Prognosen für das tschechische Wirtschaftswachstum zurückgenommen. Die Europäische Kommission ging davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2021 um real 3 % wachsen wird. Es wäre der zweitniedrigste Wert in der Europäischen Union vor Deutschland, Tschechiens wichtigstem Handelspartner. Das Finanzministerium rechnete nur noch mit 2,5 %, die Zentralbank mit 1,9 %. Es ist die Inlandsnachfrage, die dieses Wachstum auf breiter Front stützte. Hingegen wirkten die Nettoexporte negativ. 

Mehr Schwung soll 2022 kommen. Neben dem Verbrauch der Haushalte und den durch EU-Aufbaugelder geschürten Investitionen könnte dann auch die Auslandsnachfrage wieder mitspielen – sofern sich die Materialengpässe lösen lassen. Die Spannbreite der Vorhersagen für die BIP-Dynamik liegt zwischen 3,5 % und 4,4 %. Damit würde der tschechischen Volkswirtschaft gegen Jahresende auch der Anschluss an das Niveau vor Corona gelingen.

Inflation zwingt die Notenbank zum Handeln

Der hohe Inflationsdruck hat dazu geführt, dass die Tschechische Nationalbank den Leitzins sehr drastisch erhöht hat auf zuletzt im November 2,75 %. Er ist dadurch der höchste in der Europäischen Union. Weitere Erhöhungen sind nicht ausgeschlossen. Die Notenbank rechnet damit, dass die Inflation zu Jahresbeginn 2022 mit circa 7 % kulminiert.

Im Oktober stiegen die Verbraucherpreise nach Angaben des Statistikamts im Vergleich zum Vorjahr um 5,8 %. Ein solches Tempo liegt fast zehn Jahre zurück. Der Preisauftrieb kommt zu einem Teil von außen durch weltweite Engpässe. Im Inland ist es unter anderem der erneut heiß laufende Arbeitsmarkt, der die Löhne steigen lässt.

Die Arbeitslosenrate sank im September weiter auf 2,7 %; die Beschäftigung erreichte das Vorcorona-Niveau. Im 1. Halbjahr 2021 betrug der Bruttodurchschnittslohn 36.807 Tschechische Kronen (Kč; umgerechnet 1.423 Euro). Das war nominal ein Zuwachs um 7,3 % und real um 4,7 %.

Der Konsum treibt das Wachstum wieder

Nach fünf rückläufigen Quartalen hat sich der private Verbrauch mit Aufhebung der Ausgangssperre und anderer Einschränkungen im Frühjahr kräftiger erholt, als zunächst erwartet. Das verfügbare Einkommen nahm durch die staatlichen Hilfen während der Pandemie, die Abschaffung des Superbruttolohns als Steuerbemessungsgrundlage und steigende Löhne 2021 zu.

In den von Corona weitgehend unbehelligten Sommermonaten hat sich ein gewisser Konsumstau gelöst. Die Einzelhandelsumsätze (ohne Autohandel) sprangen deutlich an und haben preisbereinigt im 2. und 3. Quartal um 7,6 % und 3,8 % zugenommen. Neue internationale Einzelhandelsmarken siedelten sich an, unter ihnen die Optiker-Kette Fielmann. Trotz der Rückkehr der Infektion im Herbst konnten der Handel und die Einkaufzentren unter Einhaltung der Auflagen arbeiten und waren etwa am Black Friday gut besucht. Der Verbrauch der Haushalte könnte den Prognosen zufolge 2021 real um bis zu 4 % zunehmen. Er soll 2022 noch lebhafter ausfallen, da die hohe Sparrate Spielraum schafft. Dieser kann aber bei einigen Haushalten durch die hohen Energiepreise verloren gehen.

Bruttoanlageinvestitionen leben auf

Mit Ende des Lockdowns nach der heftigen Frühjahrwelle hat sich seit dem 2. Quartal die Investitionsaktivität belebt. Gerade auf Unternehmensseite war sie durch die Pandemie erheblich reduziert worden. Eine große Rolle spielte 2021 der Lageraufbau – sowohl durch die Eindeckung mit knappen Vorprodukten, als auch die Lagerung unfertiger Produkte. Dem Tschechischen Statistikamt zufolge betrug die Vorratsänderung allein im 2. Quartal umgerechnet rund 2 Milliarden Euro. Auch die Bruttoanlageinvestitionen nahmen zu – in Transportmittel, Maschinen und Ausrüstungen, Wohnungen, geistiges Eigentum. Geht es nach den Prognosen, wird die Vorratshaltung 2022 abnehmen. Die Bruttoanlageinvestitionen dürften real zwischen 3,4 % und 6,4 % zunehmen und 2022 noch mehr Dynamik zeigen.

Die durch den Industrieverband und die Tschechische Zentralbank durchgeführte Erhebung unter Nichtfinanzunternehmen ergab im 3. Quartal vergleichsweise stabile Erwartungen für die kommenden zwölf Monate. Viele Unternehmen holen im Zuge der Coronakrise aufgeschobene Investitionen nach. Ein Antrieb besonders für Projekte der Automatisierung und Digitalisierung bleibt der Mangel an Arbeitskräften. Doch können die Preisschocks bei Rohstoffen, Vorprodukten und Energie sowie steigende Zinsen auch dazu führen, dass einige Unternehmen ihre Investitionspläne überdenken müssen.

Frische Aufbau- und Fördermittel der EU fließen

Positiv wirken die neuen europäischen Modernisierungs- und Aufbaumittel, die in der zweiten Hälfte 2021 zu fließen begannen.

Dank des Programms REACT-EU investieren die Krankenhäuser in ihre Intensiv- und nachgeordneten Abteilungen, um krisenfester zu werden. Um Mittel aus dem Modernisierungsfonds können sich Heizkraftwerke, Stromerzeuger und Produktionsbetriebe mit Projekten zu Umbau und Ersatz ihrer Energiequellen bewerben. Über den nationalen Aufbauplan fließen ab 2022 Mittel in die digitale Transformation der Unternehmen und ihre Nachhaltigkeit.  

Perspektivreiche Großprojekte in Vorbereitung

Es gibt einige große Projekte, über die 2022 entschieden wird. Da ist der geplante Ausbau des Atomkraftwerks Dukovany, ohne den sich auch die neue Regierung die Transformation des Energiesektors nicht vorstellen kann. Nachdem Anbieter aus China und Russland aus Sicherheitsgründen vom Wettbewerb ausgeschlossen wurden, sind noch drei Unternehmen im Spiel – EdF (Frankreich), Westinghouse (USA) und KHNP (Südkorea). Ende November gingen ihre ausgefüllten Fragebögen zur Sicherheitsüberprüfung beim Ministerium für Industrie und Handel ein. Nach der Auswertung soll 2022 der Ausschreibungsprozess durch den mehrheitlich staatlichen Energiekonzern ČEZ starten. Das Projekt wird auf 6 Milliarden Euro geschätzt.

Die neue Regierung hat das Hochgeschwindigkeitsnetz auf ihre Prioritätenliste gesetzt. Es geht dabei um rund 750 Kilometer Schienenwege. Nach Angaben der Eisenbahnverwaltung kosten die geplanten Strecken circa 600 Milliarden Kč. In die Vorbereitung des Projekts fließen 2022 circa 800 Millionen Kč investiert. Mit dem Bau losgehen soll es 2025.

Einen Schlusspunkt hingegen setzte die Koalition unter das umstrittene Infrastrukturprojekt des Donau-Oder-Elbe-Kanals. Geht es nach dem Regierungsprogramm, werden die Arbeiten daran eingestellt und die reservierten Flächen in den betroffenen Orten aufgehoben. 

Standort Tschechien bei Batteriewerk und Chipfabrik im Rennen

Der Volkswagenkonzern hat die Entscheidung, ob eine seiner geplanten Batteriezellwerke in Tschechien angesiedelt wird, auf Mitte 2022 verschoben. Es wäre eine zukunftsweisende Investition für das Autoland und den Transformationsprozess der Kraftfahrzeugbranche, die zwischen 7 und 10 % der nationalen Bruttowertschöpfung stemmt.

Auf tschechischer Seite laufen die Vorbereitungen, um potenziell eine gesamte Wertschöpfungskette mit einem solchen Projekt zu verbinden. In Cínovec im Erzgebirge nahe der Grenze zu Sachsen lagern große Lithiumvorkommen, über deren kommerzielle Nutzung das Energieunternehmen ČEZ 2023 entscheiden will. ČEZ gehört die Mehrheit an der Gesellschaft Geomet, die die Abbaurechte hält. Eine Machbarkeitsstudie soll im Mai 2022 abgeschlossen sein. Parallel dazu läuft die Erprobung einer in Tschechien entwickelten Technologie, die eine wirtschaftlich effiziente Gewinnung des Lithiums aus Eisenglimmer erlauben soll. Das Projekt steht unter dem Namen InCeMeTs und unter Leitung der Hochschule für Chemische Technologie VŠCHT in Prag.

Auch bei den taiwanesischen Plänen zu einer Chipfabrik in Europa, ist Tschechien als möglicher Partner mit im Spiel. Weitere Standortkandidaten für das Werk des Konzerns Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) sind die Slowakei und Litauen. Ende Oktober hatte eine große Wirtschaftsdelegation aus Taiwan Tschechien besucht. In ihrem Programm hält die neue Regierung fest, dass sie die Zusammenarbeit mit demokratischen Partnern im Asien-Pazifikraum weiter vertiefen will, etwa mit Taiwan, Japan oder Korea.  

Weitere Wirtschafts- und Brancheninformationen zu Tschechien finden Sie unter www.gtai.de/Tschechien

Text: Miriam Neubert, Germany Trade & Invest

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