Tschechiens Arbeitsmarkt braucht dringend mehr Fachkräfte

Tschechien hat die niedrigste Arbeitslosigkeit in der EU. Das führt bei vielen Positionen zu Personalengpässen.

Der tschechische Arbeitsmarkt zeigt derzeit ein widersprüchliches Bild. Einerseits führt die schwache Konjunkturentwicklung zu ersten Massenentlassungen und verhindert Reallohnzuwächse. Andererseits bleibt die Arbeitslosigkeit auf niedrigem Niveau. Es gibt mehr offene Stellen als Erwerbslose. Für Unternehmen ergeben sich damit viele Herausforderungen.

Die schwache Konjunkturentwicklung entspannt die Lage am tschechischen Arbeitsmarkt. Dennoch gibt es für bestimmte Positionen weiterhin viel zu wenig Personal. Die Tschechische Republik bleibt das Land mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit in ganz Europa. Laut Eurostat betrug die Erwerbslosenquote im August 2023 nur 2,5 Prozent. Sie war damit weniger als halb so hoch wie im Durchschnitt der EU (5,9 Prozent).

Trotzdem zeichnen sich Veränderungen ab. Die schwache Konjunkturentwicklung zwingt die Wirtschaft zu Einsparungen und Produktionskürzungen. Zwischen Januar und August 2023 kündigten 91 Unternehmen den Arbeitsämtern Massenentlassungen an. Besonders Branchen, denen die hohen Energiepreise zu schaffen machen, müssen Personal abbauen. Die Automobilindustrie, Maschinenbauer und der Bausektor kämpfen mit schwacher Nachfrage. 

Im September 2023 waren nach Angaben des Arbeitsministeriums 263.000 Menschen arbeitslos gemeldet. Das waren 6.600 mehr als im Vorjahresmonat. Damit ist die Lage längst nicht dramatisch, denn schon ab 2024 zeichnet sich Entspannung ab. Laut Regierungsprognose kehrt die Wirtschaft dann auf den Wachstumspfad zurück und schafft neue Stellen. 

Diesen Trend bestätigen Umfragen des Personaldienstleisters Manpower Group. Dort gaben im September 2023 rund 28 Prozent der tschechischen Firmen an, in den kommenden Monaten Personal einzustellen. Nur 18 Prozent planen Entlassungen. Besonders einstellungsfreudig sind der Gesundheits- und Pflegesektor, die Pharma- und IT-Branche. 

Die Manpower-Untersuchung hat gezeigt, dass derzeit zwei von drei Unternehmen Probleme mit der Besetzung offener Stellen haben. So groß war der Anteil noch nie seit Beginn der Befragungen im Jahr 2009. Besonders kleinere Betriebe mit bis zu 49 Beschäftigten klagen über fehlendes Personal. Die Firmen greifen daher häufig auf Vertragsarbeiter und Zeitarbeitskräfte zurück.

Das Arbeitsministerium vermeldete im September 2023 rund 280.000 offene Stellen. Das Statistikamt zählte etwa 100.000 freie Arbeitsplätze. Nach Angaben der Wirtschaftskammer HK ČR werden derzeit vor allem Bauhandwerker (60.000) und Berufskraftfahrer (bis zu 28.000) gesucht. Auch im Gesundheitswesen, in der Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie fehlen Tausende Beschäftigte.

Um die Engpässe am Arbeitsmarkt zu beheben, setzt die Regierung auf Zuwanderung. Dabei achtet sie jedoch auf kontrollierte Arbeitsimmigration und definiert Berufsfelder und Herkunftsländer. Verschiedene Programme ermöglichen Arbeitgebern, ausländische Fachkräfte zu beschäftigen.

  • Programm „Hochqualifizierter Beschäftigter“: für Geschäftsführungen, Spezialisten und technische Fachleute, speziell auch für den Gesundheitssektor
    • Programm „Schlüsselpersonal und Forscher“: zur Unterstützung von Forschungseinrichtungen, Technologieunternehmen und Start-ups; ermöglicht die Beschäftigung ausländischer Fach- und Führungskräfte in Produktionsbetrieben, im Dienstleistungs- und öffentlichen SektorProgramm „Qualifizierter Beschäftigter“: für Fachkräfte aus zwölf Nicht-EU-Staaten (Ukraine, der Mongolei, Serbien, den Philippinen, Indien, Belarus, Moldau, Montenegro, Kasachstan, Armenien, Georgien und Nordmazedonien). Sie betreffen die ISCO-Klassifikationen 4 bis 8, also Dienstleistungsberufe, landwirtschaftliche Fachkräfte, Handwerker, Fahrer und Maschinenbedienerinnen. 
    • Programm „Digitaler Nomade“: Zielt auf ausländische Spitzenkräfte im IT-Sektor, die sich in Tschechien ansiedeln wollen, aber weiter für ihren bisherigen Arbeitgeber im Ausland arbeiten. Das Programm gilt für Bürger aus Australien, Japan, Kanada, Südkorea, Neuseeland, dem Vereinigten Königreich, USA und Taiwan.

Für die ersten beiden Programme für Hochqualifizierte, Schlüsselpersonal und Forscher stand 2023 eine Quote von 3.870 Arbeitsvisa zur Verfügung. Diese Zahl soll 2024 um 1.500 steigen, damit mehr IT-Spezialisten, Softwareentwicklerinnen, Ingenieure und Ärztinnen ins Land kommen. Im Programm „Qualifizierter Beschäftigter“ erhöht sich 2024 die Quote für ukrainische Fachkräfte um 11.000 und für Menschen aus den Philippinen um 5.000. Firmen können sich über die Wirtschaftskammer der Tschechischen Republik um Aufnahme in das Programm bewerben.

Außerdem soll zum 1. Januar 2024 das Programm „Sonderarbeitsvisum“ neu aufgelegt werden. Auf dieses Instrument kann die Regierung zurückgreifen, wenn dringender Bedarf an Saisonkräften in der Land- und Forstwirtschaft sowie Lebensmittelverarbeitung besteht. Das Visum hat eine Gültigkeitsdauer von mehr als 90 Tagen bis maximal ein Jahr und kann nicht verlängert werden. Es war ursprünglich nur für Ukrainer gedacht, soll nun aber auch an Menschen aus Bosnien und Herzegowina, Georgien, Moldau und Nordmazedonien vergeben werden. Hier beträgt die Quote 2.500 pro Jahr. 

Schon jetzt ist jeder siebte Beschäftigte in Tschechien ein Ausländer. Im September 2023 betrug ihre Gesamtzahl laut Arbeitsministerium rund 820.000; davon 280.000 aus der Ukraine und 215.000 aus der Slowakei. Außerdem gibt es größere Gruppen an Arbeitsmigranten aus Polen, Rumänien und Bulgarien. Unter den asiatischen Herkunftsländern dominieren Vietnam, die Mongolei und Indien. 

Trotz der Bemühungen, die Erwerbsmigration auszuweiten, bleiben die Engpässe am tschechischen Arbeitsmarkt bestehen. Die Wirtschaftskammer weist darauf hin, dass in den kommenden zehn Jahren rund 240.000 Beschäftigte aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden. Dann könnte eine halbe Million Fachkräfte im Land fehlen.

Arbeitgeber und staatliche Stellen müssen daher versuchen, ungenutzte Reserven am Arbeitsmarkt stärker zu nutzen. Viele potenzielle Beschäftigte würden gern eine Tätigkeit aufnehmen, wenn ihnen mehr Flexibilität bei Arbeitszeit und Einsatzort geboten würden. Auch ältere Menschen, die aus dem Berufsleben ausgeschieden sind, könnten mit gezielten Angeboten zurückgeholt werden. Das gilt auch für Personen, die wegen Erziehungsurlaub oder der Pflege von Angehörigen länger keine Beschäftigung ausübten.

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