Tschechische Wirtschaft soll nächstes Jahr wieder wachsen
Michal Skořepa, Volkswirt, Česká spořitelna
Die tschechische Wirtschaft durchlebt gerade keine einfache Zeit. Noch vor einem Jahr ging man weithin davon aus, dass die Tschechische Republik zu diesem Zeitpunkt einen Boom erleben würde, da alle Probleme rund um die Pandemie, dysfunktionale Lieferketten, teure Energie und den Preisanstieg für praktisch alles gelöst sein würden. Stattdessen beginnt man über Tschechien als den kranken Mann Europas zu reden (ähnlich wie vor zwei Jahrzehnten über Deutschland und – übrigens – vor mehr als einem Jahrhundert über die Türkei).
Die tschechische Wirtschaft hat sich diesen wenig schmeichelhaften Titel vor allem deshalb verdient, weil ihre Leistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt noch immer nicht das Vor-Corona-Niveau erreicht hat. Damit steht Tschechien allein in der gesamten EU, alle anderen Mitgliedsstaaten liegen bereits mehr oder weniger über dieser Marke.
Eher weniger als mehr (eigentlich nur knapp), liegt Deutschland über seiner Leistung vor der Pandemie, Deutschland als der wichtigste Handelspartner Tschechiens. Die Exporte nach Deutschland machen etwa ein Drittel der gesamten tschechischen Exporte aus. Und damit haben wir direkt auf eine der Ursachen für den wirtschaftlichen Rückstand in Tschechien hingewiesen: den ähnlichen – nur geringfügig kleineren – Rückstand in Deutschland.
Das Problem der tschechischen Wirtschaft lässt sich daher teilweise durch die Probleme der deutschen Wirtschaft erklären. Die Liste dieser Probleme umfasst mehrere Punkte. Abgesehen von den langfristigen strukturellen Bremsen, wie der etwas schwerfälligen staatlichen und regionalen Verwaltung, ist eine große Herausforderung für die deutsche Wirtschaft die allmähliche, aber offensichtliche Verschiebung Chinas von der Rolle des wichtigsten Kunden zunehmend zu der des größten Konkurrenten – und das längst nicht nur im Bereich der Automobilproduktion.
Insbesondere die deutsche Industrie wurde auch von den Entwicklungen im Energiebereich hart getroffen: einerseits das harte Ende der relativ billigen Gaslieferungen aus Russland im letzten Jahr, anderseits auch die ersten konkreten Schritte zur Umsetzung des Green Deals (sprich: insbesondere der Preissteigerung für die Zertifikate). Hinzu kommen die gravierenden Auswirkungen der Energiewende, d. h. insbesondere die Abkehr von der Atomkraft ohne ausreichende neue Stromquellen.
Die tschechische Wirtschaft selbst hat grundsätzlich sehr ähnliche Probleme. Nur werden diese Probleme durch einige ihrer Besonderheiten noch verschärft, z. B. die höhere Energieintensität der lokalen Industrie. Aber auch die geringere Größe des lokalen Marktes hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass der drastische Anstieg der Energiepreise im letzten Jahr zu einer Verteuerung aller Waren und Dienstleistungen sowie damit zu einem stärkeren Rückgang in der Nachfrage der Haushalte geführt hat.
Das Ergebnis dieser Faktoren ist eine annähernde Stagnation der tschechischen Wirtschaft in diesem Jahr und ihre lang erwartete und verschobene Erholung erst gegen Mitte nächsten Jahres. Das tschechische BIP-Wachstum im Jahr 2024 dürfte somit bei etwa 2 % liegen, was immer noch keine schwindelerregende Zahl ist.
Die tschechische Verbraucherinflation dürfte 2024 ebenfalls nahe bei 2 % liegen. Die Einkommenszuwächse der privaten Haushalte (die – zumindest im Lohnbereich – in unserer Prognose für 2024 bei rund 8 % liegen) dürften somit real bzw. inflationsbereinigt wieder eindeutig positiv ausfallen.
Dieser erneute Anstieg der Realeinkommen sollte die tschechischen Verbraucher dazu veranlassen, das Steuer herumzureißen und der tschechischen Wirtschaft zum Wachstum zu verhelfen, indem sie den realen Wert ihrer Ausgaben erhöhen. Schließlich war das Sparverhalten der tschechischen Haushalte in den letzten Quartalen der größte Hemmschuh für das Wachstum der tschechischen Wirtschaft.
Auch der immer noch extrem angespannte tschechische Arbeitsmarkt dürfte sich im nächsten Jahr der Normalität annähern. Normal bedeutet hier eine Arbeitslosenquote von etwa 4 % und nicht von unter 3 %, wo dieser Indikator in Tschechien seit vielen Jahren liegt.