Phoenix aus der Asche – tschechischer Mittelstand, quo vadis?
Der Mittelstand hat seit der Samtenen Revolution größere Veränderungen durchgemacht als die großen Unternehmen. Die internationalen Firmen und die ursprünglichen tschechischen Konzerne konnten auf einem mehr oder weniger starken Fundament aufbauen – wie etwa eine renommierte Marke oder bestehende Kundenbeziehungen. Die kleinen Firmen begannen bei null, ohne Rückhalt, Erfahrung und Kapital. Wir waren ausgestattet mit dem Willen und der Naivität der damaligen Zeit, die Welt zu verändern. So begannen wir, ein Gewerbe aufzubauen, ohne zu ahnen, was Unternehmertum eigentlich bedeutet.
Für das politische Establishment und die Medien befanden sich kleine Unternehmen damals außerhalb ihres Radars, ihrer Wahrnehmung. Kleine Unternehmer verfügten auch nicht über die nötigen Mittel, um Parteien zu unterstützen, und die Medien glaubten nicht, dort die guten Geschichten oder Sensationen zu finden. Die Helden des damaligen Journalismus waren die Industriekapitäne, kleine Firmen standen am Rand des gesellschaftlichen Interesses.
Zur Jahrtausendwende haben wir deswegen den Verband kleiner und mittlerer Unternehmen sowie der Gewerbetreibenden (AMSP ČR) gegründet. Das Ziel war, die Interessen der Unternehmer und der Einzelverbände zu bündeln, alle zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen, die kleinen Unternehmen sichtbar zu machen und den Gewerbetreibenden dauerhaft Gehör zu verschaffen im Gesetzgebungsprozess. Wir begannen, den Staat, die Gesellschaft und die Gewerbetreibenden selbst davon zu überzeugen, dass sie die Basis einer gesunden Wirtschaft sind, dass sie ein Gegengewicht darstellen zum Einfluss der internationalen Firmen, dass sie die ländlichen Gegenden versorgen sowie an Traditionen und frühere Marken anknüpfen.
Den kleineren Firmen entsprechenden Raum zu schaffen, dauerte jedoch weitere zehn Jahre. Zuerst haben sie uns übersehen, dann ausgelacht, später haben sie Zusammenarbeit angeboten, und zuletzt haben sie sich uns angeschlossen – auch so lässt sich unsere Beziehung zu Regierung, Parlament, den großen Firmen und weiteren Unternehmervertretern darstellen. Wendepunkt war die Finanz- und Wirtschaftskrise. Seitdem rücken die KMU immer weiter in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Wir fehlen bei keiner Entscheidung, in den Medien überwiegen seitdem Meldungen über Unternehmer aus den jeweiligen Regionen, der tschechische Handwerker erhält gesellschaftlich immer mehr Gewicht gegenüber dem ausländischen Investor, und die Förderung von Familienunternehmen wird zum zentralen Thema der Politiker hierzulande.
Unser Verband schreitet schwungvoll voran: Wir vertreten heute außer einzelnen Mitglieder auch 50 Einzelverbände, mehrere Zehntausend Unternehmen, die in einer Linie stehen und dieselbe Sprache sprechen. Jungunternehmer, Handwerker, Frauen als Unternehmerinnen, Gemischtwarenläden und Kneipen, Kleinbauern oder gewerblich tätige Rentner haben einen starken Rückhalt und müssen vor niemandem mehr gesenkten Hauptes stehen. Jedes Jahr machen wir ein anderes Segment sichtbar: 2016 war das „Jahr des Handwerks“, 2017 das „Jahr der ländlichen Regionen“ und 2018 präsentieren wir das „Jahr des Familienunternehmens“. Aufklärung, viele Hundert Veranstaltungen in allen Regionen, Gesetzesänderungen und die Medialisierung von Handwerkern, Unternehmern auf dem Land oder Familienbetrieben, Gewerbetreibenden und Bauernhöfen, das waren die Themen der vergangenen Jahre.
Und da die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer unser Vorbild in der Propagierung der Wirtschaft 4.0 ist, freut es uns, dem Magazin PLUS als erstes Medium mitzuteilen, dass wir für 2019 das „Jahr des digitalen Unternehmens“ vorbereiten. Gerade in diesem Bereich sehen wir die tschechische Regierung stark gefordert. Wir erwarten von ihr, dass sie selbst beispielhaft voranschreitet und das bisher bescheidene Tempo bei der Einführung des E-Governments zwischen Staat und Unternehmen deutlich erhöht.
Karel Havlíček, předseda / Vorsitzender AMSP ČR / Verband der KMU Tschechiens