Im Wettlauf um eine zukunftsfähige Mobilität
Die einsetzende Welle der Elektromobilität erfasst auch Tschechiens Autoindustrie. Škoda Auto bringt noch 2019 einen Plug-in-Hybrid auf den Markt. Ab 2020 sollen erste reine Elektroautos von tschechischen Bändern laufen. Immer mehr Kfz-Zulieferer werden in solche Projekte einbezogen. Für einen Durchbruch dieser Antriebsform aber muss die Nachfrage breiter zünden.
Tschechiens Städte und Gemeinden wollen handeln, um die Verkehrsemissionen zu senken. Die Hauptstadt Prag plant eine Auto-Maut, von der Elektrofahrzeuge und klimaschonende Autos befreit wären. Diese Maßnahme ist in dem im Mai 2019 verabschiedeten Entwurf des Plans „P+ für eine nachhaltige Mobilität Prags und seiner Umgebung“ enthalten. Unklar sind die Termine und Strecken. Im Herbst lag noch keine Durchführbarkeitsstudie vor. Bevor es ernst wird, dürften wohl drei bis fünf Jahre vergehen, schätzt der für das Ressort Umwelt zuständige stellvertretende Bürgermeister Petr Hlubuček. Vorher könnte es mit der Ladeinfrastruktur für Elektromobile losgehen. Die anstehende Modernisierung der Beleuchtungsleitungen will die Stadt nutzen, um in Laternenpfählen Ladepunkte für Elektroautos zu schaffen.
Andere tschechische Städte haben ebenfalls nachhaltige Mobilitätspläne erarbeitet oder stehen in dem Prozess. An diese Pläne ist die weitere Schöpfung von EU-Fördermitteln aus wichtigen Programmen gebunden. Neben dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, der Radwege und der Elektromobilität gilt das Car-Sharing als weitere Möglichkeit, CO2 einzusparen. Vier Firmen bieten bislang in Tschechien solche Dienste an, die sich vor allem auf Prag und Brno konzentrieren. Jüngster Zugang ist die italienische Firma Anytime, die bis Ende 2019 rund 500 Hybridwagen in Prag bereitstellen will. Škoda Auto und Volkswagen wollen 2020 mit WeShare folgen, einem Car-Sharing von elektrischen Autos.
Emissionen: Autohersteller unter Druck
Die Tschechische Republik ist der fünftwichtigste Autoproduktionsstandort in der Europäischen Union. Ihre Kraftfahrzeugindustrie steht unter dem Druck der neuen EU-Emissionsnormen ab 2021. Gelingt es ihr nicht, den durchschnittlichen CO2-Ausstoß ihrer verkauften Flotten erheblich zu senken, drohen hohe Geldstrafen. Auf einem Kolloquium zur Zukunft der Branche betonte Tschechiens Verband der Automobilindustrie AutoSAP, dass die neuen Ziele nur über eine massive Wende zur Elektromobilität erreicht werden können. „Hersteller und Zulieferer bereiten sich auf die neuen Trends intensiv vor,“ erklärte Verbandspräsident Bohdan Wojnar. Der Schlüssel zum Erfolg aber sei das künftige Interesse der Kunden.
Das hält sich in Tschechien noch in Grenzen. Zwar wurden 2018 rund 620 neue Elektroautos angemeldet, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Doch verschwindet ihr Anteil am Neuwagenmarkt mit 0,24 %. Die Chance, einem ausschließlich batteriebetriebenen Pkw zu begegnen, ist gering. Mit circa 2.800 Einheiten gehen sie im Gesamtbestand der rund 5,9 Millionen registrierten Pkw unter. Umfragen unter privaten Kunden ergeben regelmäßig als Einwand gegen den Kauf eines Elektroautos den hohen Preis und die mangelnde Ladeinfrastruktur. Eine Anschaffung wird erst sehr eingeschränkt gefördert. Das gilt nur für Firmen, Behörden, Städte, Gemeinden und meist im Zusammenhang mit der komplexen Beantragung von EU-Fördermitteln. Ähnlich ist es bei der Ladeinfrastruktur, wo es inzwischen einige Aktivität gibt.
Kaum direkte Anreize für private Elektrokunden
Da in Tschechien Firmen hinter 70 % der Registrierungen von Neuwagen stehen, kommt es auf sie beim Durchbruch der Elektromobilität besonders an. Interesse ist vorhanden. Das zeigen 341 Anträge, die Unternehmen im Mai auf den Aufruf des Ministeriums für Industrie und Handel zum Kauf von Elektroautos und Ladetechnologie stellten. Es ging um Fördermittel in Höhe von umgerechnet 15 Millionen Euro. Im Herbst 2019 soll es eine weitere, die bislang fünfte Förderrunde für Firmen geben.
Der seit Ende 2017 bestehende Aktionsplan für die tschechische Automobilindustrie aber hat weit mehr vor bei den zentralen Themen Elektromobilität, autonomes Fahren und Digitalisierung. Er beruht auf einem Memorandum der Regierung mit der Autobranche. Diese drängt auf einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Einführung direkter Anreize: kürzere Abschreibungsfristen bei Autos und Ladetechnik, steuerliche Vergünstigungen etwa bei privat genutzten E-Geschäftswagen, eine Mehrwertsteuerrückerstattung für Privatkunden. Positiv gewertet wird, dass das operative Leasing als förderfähiges Instrument beim Kauf von Elektromobilen durch Städte und Gemeinden anerkannt wurde. Für nicht ausreichend halten die Autobauer Maßnahmen wie die im April eingeführten speziellen Autokennzeichen für E-Autos, ihre Befreiung von der Registrierungsgebühr und die Möglichkeit, kostenlos zu parken.
Forschung zu Biomethan, Biokraftstoffen und Wasserstoffantrieb
Im tschechischen Antriebsportfolio spielt auch Erdgas (CNG) eine gewisse Rolle. Mit 23.000 CNG-Fahrzeugen war 2018 ein Fünftel mehr unterwegs als im Vorjahr. Die steuerliche Vergünstigung des Kraftstoffs wird bis 2025 beibehalten. Auch könnten ab 2021 Autobahnvignetten für Fahrzeuge, die Erdgas oder Biomethan (komprimiert als CNG oder flüssig als LNG) tanken, herabgesetzt werden. Die Gaswirtschaft möchte jetzt Biomethan als Kraftstoff konsequenter erproben.
Auch an Biokraftstoffen und dem Wasserstoffantrieb wird geforscht. Petrochemie-Konzern Unipetrol will 2020 die ersten öffentlichen Wasserstofftankstellen bauen. Bislang gibt es in Tschechien nur eine, die zur Forschungseinrichtung UJV Řež gehört und vor zehn Jahren für den Test eines wasserstoffbetriebenen Elektrobusses gebaut wurde. UniCRE, das Forschungszentrum von Unipetrol, forscht an einem Biokraftstoff der zweiten Generation aus Abfallbiomasse (Holzschnitzel, Sägemehl, Stroh).
Gemischtes Bild beim Antriebsmix
Während der Antriebsmix der Zukunft noch nicht feststeht, sinkt das Interesse an Dieselmotoren weiter. Den Zahlen des Verbandes der Autoimporteure SDA zufolge hatten sie 2016 noch einen Anteil von fast 43 % am Neuwagenmarkt. Dieser ist bis Mitte 2019 auf 27 % geschrumpft. Hingegen wächst der Marktanteil der Benziner, zuletzt auf gut 70 %.
Und wo bleibt die Elektromobilität? Von Januar bis Juni 2019 wurden 324 reine Elektrofahrzeuge angemeldet. Das waren 0,25 % des Marktes. Sichtbarer sind elektrische Hybridfahrzeuge. Nach ihnen stieg die Nachfrage sprunghaft um 93 % auf 3.674 Fahrzeuge (davon aber nur 128 Plug-in-Hybride). Das entsprach 2,9 % des Neuwagenmarkts. Der CNG-Antrieb lag bei 0,6 %. Betrachtet man aber nicht den Marktanteil, sondern die Entwicklung im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, ergibt sich ein anderes Bild: Benziner: -4 %, Diesel: -23 %, Erdgas (CNG): +265 %, reine Elektroautos: +17 %.
Im gleichen Zeitraum brachen in Tschechien die Pkw-Neuanmeldungen um über ein Zehntel ein. Sogar die Lieblingskategorie der Sport Utility Vehicles (SUV) war vom Rückgang betroffen, wenn auch in geringerem Maße. Ihr Marktanteil hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt und erreicht aktuell fast ein Drittel des Neuwagenmarkts. Hinter dem Rückgang könnte sich neben der konjunkturellen Abkühlung auch ein Stück weit aufgeschobene Nachfrage verbergen. Manche Kunden warten vielleicht ab, wie sich das Angebot der Elektromobilität 2020 entfaltet.
Investitionsstärkste Industriebranche
Trotz der schwächeren Konjunktur auf wichtigen Märkten erzielten die Kraftfahrzeughersteller am Standort Tschechien 2018 mit 1,47 Millionen Einheiten, davon 1,44 Millionen Pkw, einen neuen Produktionsrekord. Umsatz und Export erreichten ebenfalls ein neues Maximum, obwohl die Zuwächse sehr abschwächten. AutoSAP zufolge haben die Kfz-Endhersteller 618 Milliarden tschechische CZK umgesetzt (rund 24 Milliarden Euro; Durchschnittskurs 2018: 1 Euro = 25,643 Kc), ein Plus von 0,6 %. Die Erlöse der Zulieferer unter den Verbandsmitgliedern stagnierten bei umgerechnet 18 Milliarden Euro. Geht es nach den Produktionszahlen der ersten sieben Monate, könnte das Jahr 2019 ähnlich gut ausfallen.
Im Wettbewerb um zukunftsfähige Mobilitätslösungen kommt es auf Forschung und Entwicklung an. Nach Angaben des Tschechischen Statistikamts gab die Autoindustrie dafür 2017 rund 405 Millionen Euro aus. Das entsprach mehr als einem Drittel der Forschungsausgaben des verarbeitenden Gewerbes. Insgesamt beliefen sich die Investitionen der Kraftfahrzeugindustrie auf fast 2,6 Milliarden Euro.
Der anhaltende Fachkräftemangel und steigende Löhne treiben den Automatisierungs- und Digitalisierungstrend an. Solche Investitionsprojekte sind allgegenwärtig. Aus dem Zuliefersektor kommen Erweiterungsmeldungen. Immer noch siedeln sich auch neue Unternehmen an. Forschung und Entwicklung spielt eine wachsende Rolle. Bosch eröffnete im September 2019 ein neues F&E-Zentrum in České Budějovice. Der Anbieter von Entwicklungsdienstleistungen Porsche Engineering Services hat seit 2018 eine Niederlassung in Ostrava. Schwerpunkt ist die Entwicklung innovativer Software in den Bereichen Elektromobilität und autonomes Fahren.
Die weltweiten Emissionsverschärfungen sind Herausforderung und Chance zugleich. Das Bosch-Werk in České Budějovice ist inzwischen ein Zentrum für die Herstellung von Abgasnachbehandlungssystemen für Dieselmotoren. Cataler investiert in Ostböhmen in eine Produktion von Katalysatoren für Benzinmotoren. Das erste Werk der japanischen Firma in Europa soll rund 1 Million Katalysatoren pro Jahr herstellen.
Start ins Elektrozeitalter
Viele Projekte betreffen die Fertigung von Elektroautos und ihren Komponenten. Im Mai 2019 hat Škoda Auto die Submarke iV vorgestellt, mit der der Hersteller fortan seine elektrifizierten Fahrzeuge und das Ökosystem dazu kennzeichnet. Als erstes Modell soll im Herbst 2019 der Škoda Superb iV mit Plug-in-Hybridantrieb in Kvasiny vom Band rollen. Ausgestattet wird er mit einer Hochspannungsbatterie, die das Škoda-Hauptwerk in Mladá Boleslav produziert. Dieses ist für 25,3 Millionen Euro umgebaut worden, um ab September Serienteile für Elektrofahrzeuge des VW-Konzerns zu produzieren. Das erste rein elektrische Fahrzeug in der Geschichte des Unternehmens wird der Kleinwagen Škoda Citigo iV, der ab dem 4. Quartal 2019 in der Slowakei gebaut wird. In Mladá Boleslav folgt 2020 der Vision iV mit 500 Kilometern Reichweite. Bis 2022 plant Škoda über 30 neue Modelle, mindestens ein Drittel elektrifiziert. Im Antriebsangebot ist aber auch Erdgas unter der Submarke G-Tec.
Presseberichten aus Südkorea zufolge investiert Hyundai in sein Werk in Nošovice, um dort ab 2020 das Modell Kona in der Elektroversion zu produzieren. Diese Nachricht wollte Hyundai Motor Manufacturing Czech (HMMC) im Sommer gegenüber der Tschechischen Nachrichtenagentur ČTK noch nicht kommentieren. Passen würde ein elektrischer City-SUV in die europäische Nachfragelandschaft. Dominantes Modell im Werk Nošovice ist der Kompakt-SUV Hyundai Tucson, der neben der Standardvariante auch als 48-Volt-Mild-Hybridsystem hergestellt wird.
Auf der einsetzenden Welle der Elektromobilität in Europa ergeben sich neue Investitionschancen. Mitsubishi Electric Corporation investiert in Slaný in den Aufbau einer Produktion von integrierten Startern und Generatoren für milde Hybride. AGC Automotive Czech wird in Chudeřice für den Elektro-Porsche Taycan, der 2020 auf den Markt kommt, ein spezielles Glas produzieren. Es wurde zusammen mit Porsche entwickelt. ZF erweiterte das Zentrum in Pilsen um ein Entwicklungs- und Testzentrum, bei dem Projekte der Elektromobilität eine große Rolle spielen werden. Neue Produkte und Mobilitätslösungen entwickelt das Škoda Auto DigiLab in Prag.
Tschechiens Zuliefersektor, der noch sehr auf konventionelle Pkw und die Verbrennungstechnologie ausgerichtet ist, diversifiziert. Wie eine Befragung von EY unter tschechischen Teileherstellern ergab, hat mehr als die Hälfte von ihnen ihre Produktion schon teilweise auf den Bedarf für Elektroautos umgestellt.
Text: Miriam Neubert
Beitragsfoto: Pixabay