Gründerfieber: Startups in Tschechien

In Tschechien gibt es bereits über 500 Startups. Die jungen, schnell wachsenden Technologiefirmen setzen meist von Anfang an auf globale Märkte. Sie finden immer mehr private Geldgeber, die in die Neugründungen investieren. Von tschechischem Risikokapital profitieren inzwischen sogar deutsche Unternehmen.

Wenn Cedric Maloux über Prag spricht, gerät er schnell ins Schwärmen und zählt die Vorteile auf: die strategische Lage zwischen Berlin und Wien, die hohe Lebensqualität, die geringen Kosten für den laufenden Betrieb. Er ist Geschäftsführer von StartupYard, dem größten Seed Accelerator im Land. „Hinzu kommt, dass Tschechiens Hauptstadt als Hub für große Technologiekonzerne wie Oracle, Microsoft, Google und Avast viele Talente anlockt.“ Malouxs Firma hilft jungen Unternehmensgründern mit Kapital, Büroräumen, Kontakten und Beratung beim Sprung auf den Markt.

Prag entwickelt sich zu einem führenden Zentrum für innovative Startups in Mittelosteuropa. Rund 300 solcher dynamischen Jungunternehmen sollen bereits in der Moldaustadt residieren. Hier finden sie Kapitalgeber und beste Infrastruktur. Neben dem StartupYard gibt es eine Reihe weiterer Starterzentren, Inkubatoren und Co-Working-Flächen für junge Firmen. Sie heißen Prague Startup Centre, TechSquare, Node5 oder Creative Dock, das inzwischen sogar eine Filiale in München eröffnet hat. Selbst das New Yorker Innovationslabor Hatchery hat einen Ableger in Prag gegründet.

Die GSA fördert in Prag Weltraumtechnik, Bildquelle: ©European GNSS Agency

Europas Satellitensystem Galileo hat seinen Sitz in Prag und unterstützt hier im ersten Kosmos-Inkubator Mitteleuropas Startups im Bereich Weltraumforschung. Und Skoda Auto baut seit Herbst 2016 eine eigene Startup-Einheit an der Moldau auf, um Apps und andere IT-Innovationen für Autos entwickeln zu lassen.

Doch nicht nur in Prag, sondern in ganz Tschechien ist das Gründungsfieber ausgebrochen. Anders als noch vor zehn Jahren streben Studierende zwischen Pilsen und Ostrava nicht mehr unbedingt eine Managerkarriere in großen Firmen an. „Vielmehr schlagen Absolventen heutzutage den Weg eines eigenen Unternehmens ein“, meint Michal Andera vom xPort-Programm der Prager Wirtschaftshochschule VŠE. Entsprechend bereiten die Universitäten Akademiker auf eine spätere Startup-Karriere vor. So hat die Wirtschaftshochschule VŠE in Prag einen Lehrstuhl für Entrepreneurship gegründet, an den der Business Accelerator xPort angeschlossen ist. Die Technische Universität ČVUT in Prag betreibt die Inkubatoren InQbay und InovaJET, und auch die Uni Ostrava hat ein Gründerzentrum.

Der typische Gründer: männlich, 30 Jahre

Rund 550 Startups hat das Prager Aspen Institute landesweit ausfindig gemacht. Bei einer Untersuchung des Instituts kam 2016 heraus: Der durchschnittliche Gründer in Tschechien hat einen Universitätsabschluss, ist männlich und um die 30 Jahre alt. Etwa 60 Prozent der Umfrageteilnehmer kommen aus Prag. Daneben entwickelt sich vor allem Brno zum Geheimtipp; 15 Prozent der Startups haben in der südmährischen Metropole ihren Sitz, vor allem dank der guten Universitäten und des Innovationszentrums JIC.

INBIT ist der Biotec-Inkubators ds JIC in Brünn, Bildquelle: ©JIC Brno

Beim Blick auf die Produktpalette der tschechischen Wachstumsunternehmen fällt der starke technische und digitale Fokus auf. Die Studie des Aspen Institute hat ergeben, dass ein Großteil der Startups die Auslagerung von Software und IT-Infrastruktur (Software as a Service, SaaS) anbietet, Webservices, mobile Softwaredienste oder Cloud-Technologien. Aktuelle Industriethemen wie Nano- und Biotechnologie, neue Werkstoffe oder Photonik spielen nur eine Nebenrolle.

Zwei Drittel der Startups haben ein innovatives neues Produkt entwickelt. Der Rest imitiert vorhandene Ideen oder adaptiert diese. Beispiele sind die Taxi-App Liftago, die sich an Uber orientiert, oder der Lieferservice damejidlo.cz. Jede dritte Jungfirma verfügt bereits über eigene Patente oder eingetragene Handelsmarken.

„Die Startup-Szene in Tschechien wird immer lebhafter“, bestätigt Philip Staehelin, Managing Partner bei Roland Berger, der selbst als Investor und Mentor für Startup-Projekte im Land tätig war. „Doch die Unternehmer sind noch mit zu vielen administrativen Hürden in der Startphase konfrontiert.“ Dadurch könnten sich die Existenzgründer häufig nicht auf ihre Kernaufgabe konzentrieren – den Aufbau eines Unternehmens mit nachhaltigem Geschäftsmodell. Das schrecke potenzielle Gründer ab, glaubt Staehelin. Helfen würden seiner Meinung nach Steuersparmodelle für Startup-Investoren (Business Angels), neue Beschäftigungsformen, bei denen für die Arbeitgeber weniger Sozialabgaben anfallen, oder direkte Subventionen der Sozialabgaben für Startups.

Finanzierung von Startups erfolgt häufig durch friends, family, fools, Bild: ©Jan Sommerfeld

StartupYard-Geschäftsführer Maloux würde sich noch über eine neue Rechtsperson freuen, die moderner und flexibler auf die Bedürfnisse der Startups zugeschnitten wäre. „Sie sollte so ähnlich konstruiert sein wie die Limited Company im Vereinigten Königreich.“ Derzeit sei es schwierig, für Risikoinvestoren in tschechische GmbHs (s.r.o.) Wandelanleihen und ebenso für Mitarbeiter Aktienoptionen zu kreieren.

Daher verwundert es vielleicht nicht, dass laut der Aspen-Studie drei Viertel der tschechischen Startups ihre Projekte zunächst mit Eigenkapital auf den Weg bringen. Jede achte Firma hat auf die berühmten drei F zurückgegriffen (friends, family, fools). Bankkredite, Venture Capital Fonds oder öffentliche Förderung spielen für die meisten Firmen in der Startphase kaum eine Rolle. Für die künftige Entwicklung jedoch kommen sie selten an externen Finanzierungsquellen vorbei. Das gilt vor allem für die riskante Seed-Phase, in der es darum geht, das Produkt marktreif zu machen, und für die anschließende Skalierungsphase (Aufbau von Produktionskapazitäten, Marketingaktivitäten). Für diese Finanzierungsrunden sucht jedes vierte tschechische Startup laut Aspen Institute einen strategischen Investor oder Business Angel. Auch Venture Capital Fonds, staatliche Unterstützung und Crowdfunding werden genutzt.

Netzwerk der Business Angels fehlt

„Die größte Hürde ist die Seed-Phase“, sagt Unternehmensberater Staehelin. „Besonders die ganz jungen Startups haben Probleme beim Kapitalzugang, weil das Netzwerk der Business Angels kaum entwickelt ist.“ Zudem seien tschechische Investoren grundsätzlich risikoscheuer als in den USA oder in Westeuropa, meint Staehelin.

In die Bresche springen könnte der Staat. Das Industrie- und Handelsministerium hat bereits den Nationalen Investmentfonds NIF gegründet, der sich ab 2017 als Co-Investor an jungen Firmen in der Seed-Phase beteiligen soll. Dafür stehen zunächst 53 Mio. Euro EU-Mittel zur Verfügung. Im Blick hat das Ministerium vor allem Ausgründungen von Forschungsprojekten etwa im Bereich Life Sciences oder Nanotechnologie. Dabei müssen aber private Investoren bereit sein, sich ebenfalls an dem Risiko zu beteiligen.

Die staatliche Wirtschaftsfördergesellschaft CzechInvest bietet Jungunternehmern kostenlose Beratung und Kontakte zu erfahrenen Branchenvertretern an (Programm CzechStarter). Ausgewählte Startups dürfen sich für drei Monate in Inkubatoren im Silicon Valley, in Singapur, New York oder London einmieten und dort Erfahrungen sammeln (Programm CzechAccelerator). Darüber hinaus finanziert die Agentur Messeauftritte und Konferenzteilnahmen (Programm CzechDemo).

Immer mehr große Unternehmen investieren in Startups

Außerdem steigen große tschechische Investitionsgesellschaften und Konzerne in die Förderung innovativer Geschäftsideen ein. Eigene Risikokapitalfonds haben zum Beispiel ČEZ (Inven Capital), J&T (J&T Ventures), KKCG (Springtide Ventures), Finep (Finep Innovation) gegründet, Millionär Karel Janeček hat sich an Credo Ventures beteiligt. Auch bereits erfolgreiche einheimische Unternehmen wie der Onlineshop Alza, Y Soft oder Avast investieren ihre Gewinne in vielversprechende Neugründungen.

Davon profitieren inzwischen sogar deutsche Unternehmen wie Price f(x) aus dem oberbayerischen Pfaffenhofen. Die Softwareschmiede optimiert Einkaufs- und Verkaufspreise und war zuvor vergeblich im Silicon Valley auf Kapitalsuche. Ende 2016 haben sich dann der tschechische Fonds Credo Ventures und Avast-Gründer Eduard Kučera bei der deutschen Firma eingekauft, weil Price f(x) die komplette Entwicklung in Prag betreibt.

Der Blick über die Landesgrenze ist für tschechische Startups völlig normal. Schon 17 Prozent von ihnen haben ein Büro oder eine Niederlassung im Ausland gegründet; weitere 45 Prozent planen das für die Zukunft. Die USA, das Vereinigte Königreich und Deutschland sind dabei die beliebtesten Ziele. Ohnehin zielt fast jedes zweite tschechische Startup bei der Kundensuche auf große Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, ergab die Studie des Aspen Institute.

Eine frühzeitige Internationalisierungsstrategie ist daher zwangsläufig. Die geringe Größe des Heimatmarktes sieht StartupYard-Geschäftsführer Maloux nicht als Nachteil an, im Gegenteil: „Venture-Investoren wollen ein weltweit skalierbares Geschäft ab dem ersten Tag. Sie vergeben keinen Bonus, wenn Ideen erst mal auf dem lokalen Markt getestet werden“, so Maloux. „Darum wachsen unsere Startups schneller und aggressiver, weil sie häufig sofort global denken.“

Das bestätigt Radek Sysel, einer von zwei Gründern von Easycon in Brno. Das Startup entwickelt smarte Geräte zum Messen des Energieverbrauchs. „Der kleine tschechische Heimatmarkt ist unser wichtigster Antrieb, besonders hart zu arbeiten und ins Ausland zu expandieren.“

Vielen Gründern reicht der Heimatmarkt

Das Startup DameJidlo.cz betreibt einen Lieferservice in Tschechien, Foto: ©Jan Sommerfeld

Allerdings streben das nicht alle Gründer im Land an, weiß Berater Philip Staehelin. „Für viele Start-ups ist der tschechische und slowakische Markt gerade  groß genug, um dafür einen Businessplan zu entwickeln.“ Auch bei der Aspen-Umfrage gaben fast 40 Prozent aller Start-up-Gründer an, dass Tschechien der primäre Absatzmarkt für sie sei. Ein globaler Fokus ist deshalb nicht immer nötig. Da obendrein die sogenannte Cash-Burn-Rate tschechischer Start-ups relativ niedrig ist, also die Geschwindigkeit, mit der vorhandene finanzielle Mittel aufgebraucht werden, bleibt den Unternehmen mehr Zeit für den Wachstumspfad, erklärt Unternehmensberater Staehelin.

Jungunternehmer Radek Sysel von Easycon berichtet aber auch, dass die Konkurrenz in Tschechien „ziemlich heftig“ sei. „Es gibt so viele Technologiefirmen, dass wir wirklich gut sein müssen, um Kunden zu gewinnen.“ Die Kundenakquise sei jedenfalls schwieriger als die Suche nach Investoren und Geldgebern.

Immerhin mehr als die Hälfte der vom Aspen Institute befragten Startup-Unternehmen erzielte spätestens zwei Jahre nach der Gründung stabile Einnahmen. Eines der bekanntesten Startups – damejidlo.cz – hat fünf Jahre gebraucht, um in die Gewinnzone zu rutschen. Der Bestell- und Lieferservice für Restaurants bringt pro Monat über 300.000 Mahlzeiten in tschechische und slowakische Haushalte und konnte seine Umsätze 2016 um über ein Drittel steigern. Der Erfolg hat sich bis nach Deutschland herumgesprochen: Ende 2015 wurde das Prager Unternehmen von der Berliner Delivery Hero Holding übernommen.

Autor: Gerit Schulze, Germany Trade and Invest

Bildquelle des ersten Beitragsbildes: „Fieberthermometermessspitzen“, Gelegenheitsautor2015, Wikimedia

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