Auf der Moldau nach Budweis?

Die südböhmische Metropole kämpft mit dem Verkehr und dem Mangel an Fachkräften

Auf der ganzen Welt wird Budweis mit Bier verbunden. Ist das eher Fluch oder Segen?

Ganz sicher ein Segen. Egal wo man auf der Welt ist: Sagt man „Budweiser“, wissen alle Bescheid. Bier ist also gut. Die Probleme liegen woanders. Zum einen beim Verkehr, zum anderen in der unnatürlich niedrigen Arbeitslosigkeit, die in Budweis derzeit bei etwas über 2 % liegt. Uns fehlen vor allem Arbeitskräfte in den technischen Berufen und im Maschinenbau, aber auch Fachkräfte wie Maschinenbau- und Elektroingenieure. Im vorigen Jahr haben wir einen Strategieplan für die kommenden zehn Jahre verabschiedet.

Sie sind seit fünf Jahren Oberbürgermeister. Was erachten Sie als Ihren größten Erfolg?

Den Strategieplan der Stadt. Mit der Berman Group haben wir über ein Jahr ziemlich intensiv daran gearbeitet. Am meisten schätze ich daran, dass praktisch die gesamte Stadt eingebunden wurde: die Koalitions- und Oppositionsparteien, wichtige Stakeholder, Vertreter großer und kleiner Unternehmen, Startups, Mittelschulen, die Universität, die Kirche und andere Institutionen wie die Messe oder der Tschechische Rundfunk. Einfach alle, von denen wir dachten, dass sie irgendeinen Beitrag dazu leisten können.

In unserem Magazin haben wir bereits über Brünn und Ostrava berichtet. Beide bemühen sich um einen Ruf als geschäftige, innovative Städte. Was für ein Image sollte Budweis haben und welche Hauptziele verfolgen Sie mit Ihrem Strategieplan?

Wir sind das Zentrum von Südböhmen. Die Region und unsere Stadt wollen Touristen anziehen. Und ich glaube, das gelingt uns. Auf das ganze Jahr bezogen sind die Hotels zu über 90 % ausgelastet. Im strategischen Plan haben wir drei Bereiche ausgewählt, die wir jetzt angehen. Zum einen das unternehmerische Umfeld, Human Resources und der Arbeitskräftemangel. Damit verbunden sind auch Forschung und Innovation. Wir haben hier unbestritten das beste Biologische Zentrum, es gehört zur Akademie der Wissenschaften, und wir pflegen sehr gute Beziehungen zur Universität. Außerdem gibt es noch zwei Hochschulen, das macht ca. 15.000 Studenten. Derzeit hat Budweis etwa 95.000 Einwohner, aus dem Umland pendeln 30.000 zur Arbeit her. Die Stadt lockt aufgrund ihrer geschichtlichen Bedeutung Touristen an, aber wir haben enorme Verkehrsprobleme. Die Infrastruktur platzt aus allen Nähten. Eine weitere Priorität ist gerade der Verkehr, die Mobilität.


„Wir wissen nicht, wohin mit den Autos


Auf die Infrastruktur kommen wir noch zu sprechen. Worin sollte sich das wirtschaftliche Umfeld in Zukunft vom heutigen unterscheiden?

Wir wollen weitere Firmen anlocken. Aber keine Montagebetriebe mehr. Es geht uns eher um Effizienz und einen höheren Mehrwert. Die Stadt hat nur eine Fläche von 55 km2, das ist ein großes Handicap. Andere Städte mit ähnlicher Einwohnerzahl, etwa Hradec Králové oder Pardubice, haben viel größere Gebiete. Und ein höheres Entwicklungspotenzial für den Bau weiterer Unternehmen. Wir dagegen müssen sehr effektiv sein.

Bei Ihnen haben sich aber auch Branchenriesen niedergelassen wie Bosch, die gerade ein neues Entwicklungszentrum aufbauen.

Richtig, Bosch ist unser größter Arbeitgeber mit über 4.000 Beschäftigten. Genau in diese Richtung wollen wir gehen. Es braucht hier Konstrukteure und Projektanten, Leute, die etwas ausdenken. Darauf muss allerdings das Schulwesen frühzeitig reagieren. Wir bemühen uns schon seit ein paar Jahren um einen effizienteren Unterricht. Schon an den Grundschulen wollen wir das Interesse an Technik wecken. Wir organisieren zum Beispiel spezielle Klassen mit polytechnischem Unterricht, mit Schwerpunkten in Physik und Chemie. Gemeinsam mit der Wirtschaftskammer wollen wir die Eltern überzeugen, dass die Zukunft auch in technischen Fächern liegt. Gerade bereiten wir den Bau von etwa 200 Wohnungen vor. Einen Teil davon wollen wir nutzen, um die erforderlichen Spezialisten herzulocken. Ganz gleich, ob es um Verkehr, Bildung oder das Gesundheitswesen geht.

Junge Leute, die Technik oder IT studieren wollen, müssen Budweis verlassen und nach Prag, Brünn oder Pilsen gehen, wo es technische Fakultäten gibt. Wie lockt man sie wieder zurück?

Das ist ein Problem. Die jungen Leute brauchen dafür irgendeine Motivation. Sie müssen hier geeignete Arbeitsplätze finden. Die Südböhmen sind aber große Patrioten. Auf ihre Heimat lassen sie nichts kommen. Das sieht man auch im Sport. Die Menschen hier sind begeisterte Eishockeyfans. Obwohl wir in der zweiten Liga spielen, haben wir höhere Besucherzahlen als die Extraliga. Unser Stadion fasst etwas über 6.000 Zuschauer und ist immer ausverkauft. Zehn Prozent des städtischen Haushalts fließen in die Sportförderung. Budweis ist eine Sportstadt, aber auch eine Universitätsstadt, eine Stadt des Bieres – und eine Kulturstadt. Wir selbst haben hier zwar kein Schloss, aber in der Nähe gibt es das Schloss Hluboká und die Unesco-Welterbestätten Holašovice und Český Krumlov.

Die meisten Touristen fahren bisher nur durch Budweis durch. Ihnen bleibt auch gar nichts anderes übrig, denn es fehlt immer noch eine Umgehungsstraße …

Auch das ist ein Handicap. Allerdings gelingt es uns immer mehr, dass die Touristen in Budweis bleiben und die Stadt als Ausgangspunkt für Ausflüge nutzen. Die Übernachtungszahlen haben sich erhöht. Vor zwei Jahren verbrachten hier allein Touristen aus Taiwan um die 50.000 Nächte.


Apropos Umgehungsstraße – die Verkehrssituation in Budweis ist wohl das größte Übel. Es ist zudem überhaupt nicht so einfach hierher zu kommen, oder?

Ja, aber dafür haben wir die schiffbare Moldau. Auf dem Wasserwege dauert es zwar länger, aber es ist da auch weniger Betrieb als auf den Straßen. Das größte Handicap der Stadt ist die fehlende Autobahn. Auf der Autobahn werden wir schneller in Linz als in Prag sein. Jetzt wird an der Ortsumgehung gebaut – ein großer Erfolg. Noch vor den Sommerferien wird ein weiterer Autobahnabschnitt in Richtung Budweis freigegeben, zwischen Bošijec und Ševětín. Ein weiteres Problem: Budweis ist nach Prag die Stadt mit der höchsten Verkehrsbelastung und Autodichte in Tschechien. Und wir wissen nicht, wohin mit den Autos. Wir bemühen uns um mehr Parkplätze und Parkhäuser. Im Rahmen der Bahnhofssanierung soll ein Parkhaus mit rund 500 Plätzen entstehen. Wir bauen Auffangparkplätze, bisher in der Jírovcova-Straße, von wo aus Elektrofahrzeuge und -busse das Stadtzentrum bedienen. Den Fuhrpark der Verkehrsbetriebe haben wir massiv modernisiert – eine Maßnahme, die in Tschechien wohl ihresgleichen sucht. Wir verfügen über größere und kleinere Elektrobusse, haben Trolleybusse gegen solche mit kombiniertem Oberleitungs- und Batteriebetrieb ausgetauscht. Die meisten Busse fahren mit Erdgas. Ökologie ist uns sehr wichtig.

Das betrifft das Thema „Smart City“ – also Verkehr, Mobilität, aber auch eGovernment. Bereiten Sie sich darauf vor?

Vor etwa einem Monat sind wir zum bürgerfreundlichsten Amt der Region Südböhmen gekürt worden. Das beurteilt das Innenministerium nach unterschiedlichen Kriterien: Wie zugänglich ist das Rathaus für die Öffentlichkeit? Kann man vorab online einen Termin vereinbaren, wenn man Ausweispapiere erledigen muss? Der Gipfel von Smart City ist für uns jedenfalls nicht eine smarte Parkbank, über die man sein Handy aufladen kann. Es geht uns um komplexe Problemlösungen, die die Stadt ein Stück voranbringen. Neulich besuchte uns der norwegische Botschafter. Wir haben miteinander vereinbart, im November hier eine Smart-City-Konferenz zu veranstalten. Eines der Themen wird die Elektromobilität sein, die in Norwegen ein hohes Niveau erreicht hat.

Aber der Premier will die eMobilität nicht fördern.

Uns scheint sie jedoch für unsere Stadt ziemlich geeignet zu sein. Aufladestationen werden hier bereits gebaut. Wir haben den Vorteil, dass die Firma E.on hier ihren Sitz hat, für die das ein großes Thema ist. Das gilt auch für das Kernkraftwerk Temelín. Aber die Situation in Norwegen ist eine andere. Uns geht es nicht so sehr um den Individualverkehr. Wir wollen, dass die Bürger vermehrt auf den ÖPNV umsteigen. Deshalb bemühen wir uns, ihn so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten, durch Elektroautos oder Trolleybusse. Seit 2018 können bei uns Kinder bis zu 15 Jahren umsonst fahren, auch wenn sie nicht in Budweis wohnen. Dasselbe gilt für Senioren. Das größte Problem besteht darin, dass die mittlere und ältere Generation gewohnt ist, mit dem Auto zu fahren. Bei den Jüngeren ist das schon anders.

Arbeiten Sie mit dem benachbarten Bayern zusammen?

Unsere Partnerstadt ist Passau, mit Bayern fühlen wir uns verbunden. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, auch in Bezug auf Interreg, gestaltet sich sehr intensiv. Zu Bayern nehme ich keine Grenze wahr.

Interview: Christian Rühmkorf

Foto: Lenka Šolcová