Autoland Tschechien am Scheideweg

Elektromotor, autonomes Fahren, Carsharing – die Fahrzeugindustrie steht vor einem Technologiewandel. Davon wird auch das Autoland Tschechien betroffen sein. Ist die Branche auf die Zeitenwende vorbereitet?

0,08 Prozent. Das ist der Anteil, den Elektroautos 2016 an den Neuzulassungen in Tschechien hatten. Gerade einmal 200 Pkw mit Batterieantrieb wurden zwischen Pilsen und Ostrava verkauft.

Noch mauer sieht es in den Fahrzeugfabriken aus. Bislang rollt kein einziges emissionsfreies Auto von den Fließbändern in Mladá Boleslav, Kolín oder Nošovice. Die 1,34 Millionen Pkw, die 2016 produziert wurden, laufen mit Diesel oder Benzin, im besten Fall – wie eine Handvoll Škodas – mit komprimiertem Erdgas.

Droht die Kernbranche der tschechischen Volkswirtschaft den Anschluss zu verlieren? Erste wichtige Abnehmer von Fahrzeugen aus Böhmen und Mähren haben das Ende des Verbrennungsmotors eingeläutet. Frankreich – Škodas neuntwichtigster Absatzmarkt – will ab 2040 den Verkauf von klimaschädlichen Pkw einstellen. Indien, wo Škoda sogar eigene Fabriken hat, lässt ab 2030 nur noch Elektroautos zu. In Norwegen registrierte Škoda 2016 mit 7.700 Autos einen neuen Verkaufsrekord. Nun wird dort diskutiert, schon ab 2025 nur noch emissionsfreie Neuwagen auf die Straße zu lassen.

Branche sieht sich gerüstet für den Wandel

Von Panik ist in Prag und Mladá Boleslav trotzdem nichts zu spüren. Im Gegenteil: Politik und Industrie sehen die einheimische Autoindustrie gut vorbereitet auf den bevorstehenden Technologiesprung. „Die Branche bleibt die Triebfeder der tschechischen Wirtschaft“, sagt Zdeněk Petzl, Geschäftsführer des Verbands AutoSAP. „Es gibt keinen Grund, sich vor der Umwälzung zu fürchten. Unsere Autohersteller nutzen schon jetzt modernste Forschungskapazitäten und setzen die neueste Technik ein, ebenso die Zulieferer.“

Petzl verweist auf die wachsenden Entwicklungsabteilungen in der Fahrzeugindustrie. „Der Automobilsektor hat in diesem Bereich bereits 7.000 Mitarbeiter eingestellt.“ Längst beschäftigten sich die Firmen mit Automatisierung, Digitalisierung und einer Online-Kontrolle der Produktionsprozesse.

Tatsächlich hat sich rund um den Fahrzeugbau in den letzten Jahren eine beeindruckende Forschungslandschaft entwickelt. Rund ein Drittel aller Entwicklungsausgaben der tschechischen Industrie fließen in diesen Sektor.

Das Forschungszentrum CEITEC in Brünn zum Beispiel ist Partner des europäischen Projekts AutoDrive, das Technologien für autonomes Fahren vorantreibt. In Roztoky bei Prag arbeiten Wissenschaftler an neuen Elektro- oder Hybridantrieben, machen konventionelle Verbrennungsmotoren effizienter und entwickeln Steuerungssysteme für autonomes Fahren. Das dortige Zentrum für nachhaltige Mobilität (CVUM) ist eine Außenstelle der Technischen Hochschule ČVUT. Zu den Auftraggebern gehören einheimische Maschinenbauer wie Motorpal und PBS ebenso wie ausländische Firmen, darunter Porsche, MBTech oder Eaton.

„Unternehmen sind keine verlängerte Werkbank mehr“

Angesichts solcher Vorzeigeprojekte macht sich der Prodekan der Maschinenbaufakultät an der ČVUT, Professor Jan Macek, keine Sorgen um die Zukunft der einheimischen Automobilindustrie. Die Unternehmen seien anpassungsfähig und längst nicht mehr nur verlängerte Werkbänke. Sie lieferten die „passenden Lösungen für die Anforderungen der Märkte.“ Allerdings sollten die tschechischen Unternehmen selbstbewusster ihre Technologien vermarkten.

Macek erwartet „mindestens 20 bis 30 Jahre Übergangszeit“, bevor der Verbrennungsmotor durch modernere Technologien ersetzt werde. „Es ist nicht vernünftig, Investitionen jetzt nur in eine Richtung zu lenken“, meint der Wissenschaftler und kritisiert die einseitige Orientierung der EU und Deutschlands auf die Elektromobilität.

Der Forschungsfokus sollte nach Ansicht des Experten nicht nur auf der Weiterentwicklung der Fahrzeuge liegen, sondern auch auf dem Ausbau der Infrastruktur. Dazu zählt Macek Park & Ride-Parkflächen, Ladestationen für Elektrofahrzeuge und mehr Angebote für Carsharing.

Wurden in Tschechien 2012 erst neun Pkw geteilt, so sind es inzwischen laut Carsharing-Verband schon 350 (Interview zum Carsharing auf den Seiten 38-39, Anm. d. Red.). Größter Anbieter ist Car4Way, der seine Flotte in diesem Jahr auf 300 Fahrzeuge verdoppeln will. Škoda Auto kooperiert mit drei Hochschulen beim Aufbau eines Carsharing-Angebots für die Universitäten.

Kohlekonzern investiert jetzt in Elektromobile

Selbst der Kohle- und Atomstromkonzern ČEZ findet Gefallen am Carsharing und ist im Sommer bei der französischen Vulog eingestiegen, einem weltweit führenden Anbieter von Carsharing mit Elektroautos. ČEZ will Vulog bei der Erschließung weiterer Auslandsmärkte unterstützen, ein Markteintritt in Tschechien ist geplant.

Ein Durchbruch der Elektromobilität würde dem Energieerzeuger neue Kunden bescheren. Momentan holen sich in Tschechien erst 1.200 Autos ihren Treibstoff aus der Steckdose. Eine Studie von Roland Berger geht davon aus, dass die Zahl der Elektroautos bis 2020 auf 7.000 steigt.

Dafür fehlt noch die Infrastruktur. Laut Branchenportal Hybrid.cz gab es Anfang 2017 nur 125 Ladestationen im Land. Dort konnten rund 330 Autos gleichzeitig ihren Akku füllen. Die meisten Stromtankstellen betreibt ČEZ. Der Energieriese will bis Ende 2018 die Zahl seiner Ladestationen auf 150 verdoppeln. Auch E.on und RWE/Innogy haben Expansionspläne.

Staatliche Institutionen können seit 2016 Kaufprämien für die Anschaffung von emissionsarmen Autos beantragen. Um den Verkauf von Elektroautos anzukurbeln, ist außerdem ein Wegfall der Autobahnvignette für Batterieautos geplant, die Nutzung der Busspuren oder eine schnellere Abschreibung für Firmenwagen.

Erst 2020 erster Škoda mit Batterieantrieb

So richtig durchstarten kann die Technologie in Tschechien aber wohl erst, wenn Škoda in das Geschäft einsteigt. Denn auf den Autohersteller entfällt ein Drittel des Neuwagenmarktes. Ab 2020 will das Unternehmen sein erstes reines Elektroauto verkaufen. Fünf Jahre später soll jeder vierte Neuwagen mit Flügelpfeil dann Hybrid- oder Elektroantrieb haben. Ein Vorreiter ist Škoda damit nicht gerade: Der schwedische Konkurrent Volvo will schon ab 2019 jedes neue Modell ausschließlich mit Elektromotor anbieten.

Aktuell präsentierte Škoda bei der Frankfurter Automesse IAA seine Studie Vision E mit 500 Kilometern Reichweite und einer Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h. Sprecher Štěpán Řehák beschreibt den Wagen als „Muster für die Zukunft von Škoda Auto“. Er sei „vollgestopft mit modernster Technologie wie autonomer Steuerung, induktiver Ladung oder einem lernfähigen Parksystem.“

Den Vorwurf, bei neuen Technologien den Anschluss zu verlieren, lässt Řehák daher nicht gelten. „Schon jetzt arbeiten mehr als 2.000 Ingenieure im Unternehmen an der technischen Weiterentwicklung der Autos.“ Sie teilten ihre Erfahrungen mit der gesamten VW Group.

Mit dem DigiLab betreibt Škoda Auto seit Anfang 2017 in Prag einen Inkubator für digitale Dienstleistungen rund ums Auto. Sie sollen das Fahren einfacher, sicherer, bequemer und effizienter machen. Ganz gezielt sucht Škoda dabei die Zusammenarbeit mit Startups, die Ideen für Konnektivität, Digitalisierung und Mobilität entwickeln. In seiner Strategie 2025 bekennt sich das Unternehmen zum Wandel vom Autohersteller zum Mobilitätsdienstleister.

Quelle: Škoda Auto

Politik und Industrie schließen einen Zukunftspakt

Dieser Wandel wird Tschechiens Automobilindustrie insgesamt verändern. Im Frühjahr 2017 hatte sich die Branche in Mladá Boleslav versammelt, um mit Politik, Wissenschaft und Verbänden über die Zukunft der Mobilität zu diskutieren. Die Regierung packt das Thema Smart Mobility nun offensiver an und hat drei Arbeitsgruppen gegründet: Das Wirtschaftsministerium kümmert sich um Elektromobilität, das Verkehrsministerium um autonomes Fahren, der Regierungskoordinator für die digitale Agenda übernimmt die Digitalisierung. Noch im Herbst soll ein Memorandum zur Zukunft der tschechischen Automobilbranche verabschiedet werden.

Der Branchenverband AutoSAP sieht Tschechien daher gut aufgestellt für künftige Herausforderungen. Das Land könnte zum „Hub für autonome Steuerungen und Konnektivität“ werden, so Verbandschef Petzl. Auch bei der Entwicklung alternativer Antriebe sieht er Potenzial.

Das zeigt das Beispiel Continental. Der deutsche Kfz-Zulieferer baut gerade im mährischen Otrokovice sein Engineering Technology Hub Europe auf. „Dort haben wir ein Werk mit einer hohen Produktionsqualität, erfahrene Beschäftigte und eine ideale Lage“, begründet Sprecherin Regina Feiferlíková die Standortwahl. In dem Forschungszentrum sollen Ideen für Steuerungssysteme und autonomes Fahren entwickelt und sogleich in der Produktion getestet werden.

Beim autonomen Fahren will Tschechien eine Führungsrolle übernehmen. Es beteiligt sich am Projekt C-Roads, das die Verkehrskorridore von Deutschland bis nach Österreich besser verbinden und die technische Infrastruktur auf den neuesten Stand bringen soll. Verkehrsminister Dan Ťok macht sich für eine Teststrecke stark, auf der fahrerlose Autos zertifiziert werden könnten. Dafür ist das mittelböhmische Velim im Gespräch, wo es bereits ein großes Testgelände für Schienenfahrzeuge gibt. Termin für eine mögliche Fertigstellung ist das Jahr 2020.

Daneben sollen „echte“ Straßenabschnitte genutzt werden, um die Funktionsweise von autonom rollenden Autos zu untersuchen. Die Regierungen Tschechiens und der Slowakei haben eine Vereinbarung unterzeichnet, nach der die Autobahn D2 zwischen Brünn und Bratislava dafür in Frage käme.

Teststrecke für autonomes Fahren in Ústí geplant

Ústí nad Labem hat den Anspruch, erste tschechische Stadt zu werden, in der autonom fahrende Autos im normalen Stadtverkehr unterwegs sind. Dabei ist auch eine Anbindung an die nahe gelegene Autobahn D8 Richtung Dresden geplant, um mit Forschungseinrichtungen in Deutschland zu kooperieren. Für die sogenannte Smart Zone, mit der Ústí nad Labem zum Forschungs- und Entwicklungszentrum für autonome Steuersysteme und Smart Mobility werden will, hofft die Bezirksverwaltung auf staatliche und EU-Subventionen. Die lokale Presse berichtete, dass BMW Interesse an einem Testzentrum in der Region haben soll. Dafür gibt es bislang aber keine Bestätigung des Autokonzerns.

Dafür hat der französische Kfz-Zulieferer Valeo bereits eine Entwicklungsabteilung in den Bezirk Ústí nad Labem verlegt und erforscht dort Technologien für das Auto der Zukunft. Nach Presseberichten kooperiert Bosch mit Valeo bei der Entwicklung von Sensoren, Lasertechnik und Software für autonomes Fahren.

Ebenfalls zur technologischen Spitze könnte Tschechien bei der Produktion von Speichern für das elektromobile Zeitalter aufschließen. Das US-Unternehmen A123 Systems produziert seit Frühjahr dieses Jahres in Ostrava Lithium-Ionen-Akkus. Ganz in der Nähe baut die einheimische HE3DA Technologies ein Werk für sogenannte 3D-Lithiumbatterien auf. Die Technologie soll sich von herkömmlichen Modellen durch eine höhere Energiespeicherdichte und durch geringere Produktionskosten unterscheiden. Außerdem hofft die Prager Olife Corporation auf EU-Förderung für eine Produktion von bleifreien leichten Starterbatterien. Die japanische Central Glass plant in Pardubice die Herstellung von Elektrolyten, die in Batterien für Elektrofahrzeuge zum Einsatz kommen. Mit Tschechien ist also auch künftig als wichtiger Zulieferer der Automobilindustrie zu rechnen.

Mehr Infos unter: www.gtai.de/tschechische-republik

oder bei Twitter: @GTAI_Prag

Autor: Gerit Schulze, Germany Trade & Invest

Quelle des Beitragsbildes: Škoda Vision E, Škoda Auto

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