Großmeister der Automobilindustrie und Gründungspräsident der DTIHK
Interview mit dem früheren Volkswagen-Chef Carl H. Hahn
Was er in Sachen Auto anfasste, machte er groß. Zum Beispiel den Käfer in den USA als Leiter von „Volkswagen of America“ in den 60er Jahren, oder die Continental AG. Als Vorstandsvorsitzender stellte er bei Volkswagen schließlich die Weichen zu dem, was der deutsche Autobauer heute ist – einer der drei größten Autokonzerne der Welt. Ein wichtiger Schritt dahin: die Übernahme von Škoda. Carl H. Hahn war das Auto im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt.
Sie sind 91 Jahre alt, aber im Grunde immer noch nicht in Rente, oder?
Ich gehe jeden Tag ins Büro, und die Welt ist so interessant, dass es ein großes Geschenk ist, wenn man aktiv sein und gleichzeitig noch ein bisschen Sport treiben kann. Ich lebe so wie immer, und das ist natürlich etwas, wo ich selbst jeden Tag den Kopf schüttle und dem lieben Gott danke.
Welchen Sport treiben Sie denn noch?
Im Winter Langlauf und auch Ski. Ich war noch bis vor 3 Jahren Teilnehmer im Engadiner Halbmarathon. Im Sommer fahre ich Fahrrad, und zu Hause schwimme ich ein bisschen und mache Gymnastik. Man bekommt ja als Preis dafür, dass man sich erstens nie langweilt und zweitens erlebt, wie diese Welt explosionsartig völlig neue Regionen der Wissenschaft und der Wirtschaft erobert.
„Versucht, die Menschen von Škoda zu gewinnen”
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Die Welt wird auch ein bisschen verrückter in der letzten Zeit…
Ich habe den Eindruck, dass unsere Politik generell sehr kurzsichtig ist und wir große Fehler machen in einer Zeit, in der wir zusammenhalten sollten. Heute sind wir in Europa skeptisch gegenüber allem Neuen und bedauern nicht einmal unseren Rückstand, weil wir uns noch an den Erfolgen der Autoindustrie die Hände wärmen und glauben, das geht immer so weiter.
Ferdinand Porsche sagte, Sie haben „Benzin im Blut“ – was bedeutet das Auto noch heute für Sie?
Ich bin als Kleinkind in einem Haus aufgewachsen, in dem man von Montag bis Mittwoch nachts die Motoren der Rennmaschinen auf dem Prüfstand hörte. Das Auto hat dem Menschen die individuelle Mobilität gegeben. Es hatte auch den Vorteil, dass es vor dem Haus stand. Den Kühlschrank, den man sich kaufte, sah niemand. Und die Kinder mussten nun verteidigen, warum der Vater nicht einen Sechs-Zylinder gekauft hat, sondern einen Vier-Zylinder. Für den Menschen war es seine Visitenkarte, mit der er herumfährt. Und gleichzeitig wurde das Auto durch seine Avant-Position in der Technik zu einem unerhörten Symbol des Fortschritts, zu einem Motor der Wirtschaft. Heute sind wir nun am Ende einer Entwicklung und machen einen Riesenschritt in eine völlig neue Richtung, die uns anscheinend etwas überrascht. Aber in China wurden letztes Jahr schon 800.000 elektrische oder hybridangetriebene Autos verkauft.
Die Škoda-Erfolgsstory geht auf Sie zurück – warum hatten Sie sofort nach der Wende, 1989/90, ein Auge auf Škoda geworfen?
Für mich stand schon immer fest, auch durch meine Familiengeschichte, dass das Beste, was es überhaupt außerhalb Deutschlands gab, in Tschechien zu suchen war. Es war klar: Nach der geostrategischen Veränderung in der Welt war Škoda die Nr. 1 auf unserer Strategieliste. Und wir hatten auch schon vor der Wende…
…mit dem Favorit experimentiert.
Ja, nicht nur das. Wir hatten schon um 1987 die Führung von Škoda nach Wolfsburg eingeladen. Das ging leider fast schief, denn unser Koch war nicht in der Lage ordentliche Pflaumenknödel zu machen. Aber sonst hatten wir ein erfolgreiches Zusammentreffen. Und dementsprechend war – abgesehen von diesen Pflaumenknödeln – alles in Butter. Am 4. Februar 1990 trafen wir dann den Außenhandelsminister der ČSFR, Slavomír Stračár, mit dem stellvertetenden Industrieminister, Jozef Uhrik, am Prager Flughafen an der Cafébar, aber man wollte uns den Standort Bratislava verkaufen. Später genehmigte man uns doch den Besuch von Škoda. Wir haben versucht, die Menschen von Škoda zu gewinnen, anders als die Franzosen mit Renault. Wir spürten, wie interessiert man an unserer Managementphilosophie und der Zusammenarbeit mit den Betriebsräten war und veranlassten sofort weitere intensive Besuche bei Škoda und auch bei uns in Wolfsburg.
Ungewöhnlich – Sie nahmen nicht nur das Top-Management, sondern auch die Betriebsräte mit…
Wir wollten den Betriebsräten vor Ort zeigen, wie wir uns benehmen in Ländern, in denen wir ein Unternehmen übernehmen, wie es den Menschen geht, welche Freiheiten und Selbstbestimmungen sie haben. Das war für uns ganz wichtig. Wir konnten sie überzeugen, dass wir doch ein sehr einzigartiges Unternehmen waren in unseren ganzen Denkstrukturen, in Fragen der Umwelt oder der Technik. Eine echte technische Entwicklung gab es nicht nur bei Audi, sondern genauso bei Seat, um auch deren intellektuelle und kreative Kräfte zu mobilisieren. Und die hatte man ja bei Škoda. Dementsprechend wollten im Unternehmen alle zu uns und auf keinen Fall – und da war die Strategie von Renault eine große „Hilfe“ – zur Montagefabrik degradiert werden. Das passte nicht in die glorreiche Geschichte dieser 100 Jahre alten Automobilfirma.
„Wir fühlen uns als Bürger des Landes”
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Die Kontakte schon 1987 und das Experimentieren mit dem Favorit – woher kam bei Ihnen dieser wahrsagerische Weitblick?
Man hatte mit dem tschechischen Geschick in diesem alten Comecon-System Wunder bewirkt und baute mit diesem Favorit ein Auto, das man auch in den Westen exportieren konnte. Auch Tatra und die Really Dakar für Lkw waren ein weiteres Symbol für das überlegene Können tschechischer Ingenieure. Also warum sollten wir da nicht ja sagen. Und dass wir dann noch Bratislava nahmen, hat sich später als strategischer Volltreffer erwiesen, obwohl wir es damals gar nicht benötigten.
Was war für Sie beim Škoda-Kauf das größte Risiko? Der Ruf des Škoda im Westen?
Ich war bei Škoda völlig beruhigt. Ich sah keine besonderen Risiken, sondern einfach, dass wir mit diesem Automobil eine Position im Comecon-Markt aufbauen konnten, die einmalig ist. Dass sie mal bis nach China reichen würde, das habe ich damals noch nicht vorausgesehen. Die Betriebsräte waren dabei immer unsere große Stütze. Und wir fühlen uns mit diesem Unternehmen in Tschechien als Bürger des Landes. Wir sind Škoda, wir sind ein tschechisches Unternehmen. Und wir freuen uns, dass wir Tschechien weltweit repräsentieren durch die fabelhaften Exporterfolge von Škoda.
„Eine Kammer ist ein immens wichtiger Informationspartner ”
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Gleich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat der DIHT (heute DIHK) die Delegation der deutschen Wirtschaft in Prag eingerichtet. 1993 gab es dann schon genügend deutsche Unternehmen vor Ort, so dass die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer gegründet wurde. Sie waren damals der Gründungspräsident. Welche Bedeutung kam der Kammer in dieser Aufbruchstimmung zu?
Eine solche Kammer ist ein immens wichtiger Informationspartner für beide Länder. Wir gaben den Unternehmern einen Anlaufpunkt. Denn das galt ja sogar für Ostdeutschland: Jemandem, der all diese Gebiete nicht kannte, war ja alles völlig fremd und neu. Und da zu helfen, war unsere Aufgabe. Wir hatten einen Markt, in dem sich etwas bewegte und in dem die Nachfrage in beiden Richtungen befriedigt werden konnte.
Hätten Sie damals gedacht, dass sich die deutsch-tschechische Wirtschaft einmal so positiv entwickeln würde?
Hundert Prozent. Das war für mich klar, weil man eben auch auf anderen Industriezweigen in Tschechien sehr weit war.
In Anbetracht dieses wirtschaftlichen Erfolgs – haben Sie Verständnis dafür, dass viele Tschechen aus der EU, wie sie heute existiert, wieder austreten wollen?
Der Eindruck, den wir als europäische Gemeinschaft machen, die Diskussion um den Euro, diese Verunsicherung und Debatten, die uns nicht weiterbringen – dass dies für die Menschen abschreckend ist, ist verständlich.
Was würde denn aus Ihrer Sicht ein EU-Austritt Tschechiens, ein Czexit, bedeuten?
Es wäre natürlich eine Schwächung. Und wir sehen jetzt an dem „herrlichen“ Beispiel Großbritannien, dass man den Austritt als eine große Dummheit betrachten muss. Teuer und kompliziert. Eine Schwächung auch für Europa, aber noch mehr eine Schwächung der Chancen von England. Und insoweit ist der Austritt der Engländer ein ganz klares Signal, solchen Wahnsinn zu unterlassen. Wir sind doch sehr weit gekommen in Europa. Es wäre völlig absurd, uns selbst zu demontieren und zu schwächen in einer Welt der großen Machtblöcke. Allein Asien mit rund 63 % der Weltbevölkerung ist noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung und der Realisierung seiner Chancen angekommen.
„Klares Signal, solchen Wahnsinn zu unterlassen ”
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Sie haben damals Volkswagen zu einem Konzern gemacht. Heute hat das Tempo von Innovation und Wandel enorm angezogen. Sind große Konzerne heute noch die richtige Unternehmensform?
Mehr denn je. Weil wir eben von der Globalität abhängen und auch globale Größenordnungen benötigen, um uns leisten zu können, gleichzeitig auf dem Gebiet Elektroautomobilität und autonomes Fahren zu forschen, zu arbeiten und massiv zu investieren. Gleichzeitig wird aber auch das klassische Auto mit den bekannten Antrieben – also auch dem Dieselmotor – noch konsequent weiterentwickelt und verbessert.
Welche drei Eigenschaften kennzeichnen heute einen guten Unternehmer, dem die Zukunft gehört?
Kreativität, Realitätssinn, Idealismus, und natürlich muss er eine Idee und Strategie haben oder weiterführen, die in dieser Welt der sich exponentiell überschlagenden Veränderungen Erfolg haben kann.
E-Mobilität ist ja eng verbunden mit Elon Musk, einem neuen Typus von Unternehmer, der ein Treiber für eine schnellere Entwicklung auch bei den Autobauern in Europa ist. Schafft Elon Musk das, was er sich vorgenommen hat, oder geht er unter?
Er ist zweifellos ein sehr erfolgreicher Pionier, aber Pioniere seines Charakters haben es oft schwer, zu überleben. In seinem Fall muss ich allerdings sagen: Er hat auf vielen Gebieten schon so viel an Können und Erfolg bewiesen, dass er sicher in der Lage ist, seine April-Scherze, die man neulich in der Presse lesen konnte, für sein Unternehmen zu vermeiden.
E-Mobilität – der Weisheit letzter Schluss? Womit werden Ihre Urenkel durch die Gegend fahren?
Sie werden sicher elektrisch fahren, aber sie werden dafür nicht eine Vierteltonne Batterien in Ihrem Fahrzeug herumschleppen und auf Fahrspaß, Comfort und Reichweite verzichten müssen.
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Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Carl H. Hahn
- * 1926 in Chemnitz als Sohn des Mitbegründers der Auto Union AG, Carl Hahn
- Ab 1954 Leiter der Exportförderung bei der Volkswagenwerk GmbH in Wolfsburg
- Große Exporterfolge mit dem VW-Käfer als Chef von „Volkswagen of America“ (1959-1964)
- 1964 Berufung zum Vorstandsmitglied der damaligen Volkswagenwerk AG
- 1965 Übernahme der Auto Union GmbH
- Vorstandsvorsitzender der Continental Gummi-Werke AG in Hannover (1973 – 1981)
- Vorstandsvorsitzender Volkswagen AG in Wolfsburg (1982 bis 1992)
- 1986 Übernahme von Seat
- 1991 Übernahme von Škoda
- Gründungspräsident der DTIHK (1993–1999)
- 2006: Begründer der Carl und Marisa Hahn-Stiftung mit Fokus auf frühkindliche Bildung
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