Interview mit Dr. Volkhardt Kruse, Chef der Commerzbank / CZ & SK

„Rückwärtstrend in die Normalität hinein“

Lange Zeit lebte und arbeitete Volkhardt Kruse für die Commerzbank an einem der spannendsten Orte und Finanzplätze: Hongkong. Die asiatische Perspektive brachte er mit, als er diesen Sommer Michael T. Krüger als Chef der Commerzbank AG für Tschechien und die Slowakei ablöste. Das gilt auch für die grüne Transformation, die Volkhardt Kruse als Teil der Lösung betrachtet.

Herr Dr. Kruse, sie haben mehrere Jahre in Hongkong gelebt und gearbeitet. Im Juni sind Sie nach Prag gekommen. Ihre Frau ist gebürtige Tschechin. War das eine sanfte Landung hier im Herzen Europas, oder eher ein harter Aufschlag?

Ich würde sagen, eine sanfte Landung. Ich hatte das Glück, im Sommer zu kommen, das war sehr angenehm. Hongkong ist eine sehr interessante Stadt, beruflich und kulturell. Aber es ist auch schön, wieder in Europa zu sein. Prag ist eine tolle Stadt. Meine Frau und ich genießen das sehr.

Sie kommen in einer wirtschaftlich angespannten Situation. Derzeit sind die Rahmenbedingungen mit Pandemie, Lieferengpässen und hohen Energiepreisen sehr ungünstig. Außerdem steigt die Staatsverschuldung Tschechiens deutlich und liegt bei rund 45 % des Bruttoinlandsprodukts. Wie steht die tschechische Wirtschaft derzeit aus Ihrer Sicht da?

„In der Lage sein, ihren Energieverbrauch zu decken.“

Alle Branchen haben mit der Corona-Pandemie zu kämpfen. Die Lieferengpässe werden die Unternehmen auch im nächsten Jahr noch beschäftigen. Tschechien bleibt aber ein interessanter Industriestandort, der sich bis jetzt gut geschlagen hat. Die erhöhte Verschuldung wird von den Tschechen selbst auch kritisch gesehen. Jeder muss sich jetzt fragen, wofür er sein Geld ausgibt. Das können Investitionen in die Infrastruktur sein, die sich langfristig in Produktivitätserhöhung und Effizienz der Wirtschaft niederschlagen oder man nutzt das Geld für Transfereinkommen und Konsum. Ich denke, dass es weiterhin einen positiven Trend gibt, auch wenn uns mit Blick auf die steigenden Coronazahlen ein harter Winter bevorsteht. 

Aufgrund der rasant steigenden Inflation, hat die Tschechische Nationalbank mehrere Male den Leitzins erhöht, zuletzt Anfang November um ganze 1,25 Prozentpunkte. Was war Ihre erste spontane Reaktion darauf?

Ich habe es mit Interesse zur Kenntnis genommen. Die letzte Zinserhöhung ist höher ausgefallen, als ich erwartet hatte. Das wurde unterschiedlich aufgenommen und diskutiert, aber der Trend ist klar, dass weiter erhöht wird. Mit ein bisschen Abstand wird sich bei der Frage „Welche Zinspolitik sollten die Notenbanken betreiben?“ dann zeigen, wer wo richtig gelegen hat. Es gab weltweit ganz verschiedene Strategien. Für mich ist das vergleichbar mit der Frage, wie unterschiedlich Kulturen mit der Corona-Pandemie umgehen, teilweise sind das sehr verschiedene Herangehensweisen.

Kann eine vergleichbar kleine Volkswirtschaft wie Tschechien überhaupt mit nationaler Zinspolitik internationale Währungspolitik sinnvoll beeinflussen? Wir haben auch eine indirekte Kopplung der Krone an den Euro, allein dadurch, dass ganze 80 % des tschechischen Exports Tschechiens in die Europäische Union und damit auch in die Eurozone gehen. Wie wichtig ist also so eine Entscheidung der Nationalbank in Tschechien, auch vor dem Hintergrund der weiteren Nullzins-Politik der Europäischen Zentralbank?

Es ist eine wichtige Entscheidung, die die Tschechische Nationalbank getroffen hat. Eine stärkere Krone ist natürlich für eine exportorientierte Wirtschaft eine Herausforderung. Gleichzeitig ist es aber auch ein deutliches Signal der Stabilität in einer kleineren Volkswirtschaft. Ich sehe da kein erhöhtes Risiko. Ich persönlich gehe davon aus, dass sich jede Zentralbank für ihren eigenen Währungsraum die gleichen Fragen stellt und dann entsprechend Antworten gibt. Ich glaube schon, dass die EZB eine andere Erwartungshaltung hat als die Tschechische Nationalbank, was die Inflation und ihre Dauer angeht. Bei der EZB geht man nach wie vor davon aus, dass dieser Inflationsschub ein einmaliger Effekt ist.

Commerzbank, Prag 2

Kritiker sagen, dass die Maßnahmen ein Abwürgen der wirtschaftlichen Erholung bedeuten, die Inflation sei nur importiert. Steht uns eine Stagflation bevor?

Ich glaube, es ist viel zu früh ist, diese Themen mit einem solchen Schlagwort zu belegen. In den letzten Jahren hatten wir es insgesamt mit einer sehr lockeren Geldpolitik zutun. Die Zeit muss zeigen, inwieweit der ein oder andere Effekt in die richtige Richtung geht. Und das hängt auch von den unterschiedlichen Entwicklungen in den verschiedenen Währungsmärkten ab, für die dann die Zentralbanken zuständig sind. Da ist Tschechien in seiner Wirtschaftsstruktur anders als der europäische Wirtschaftsraum.

Was bedeutet das für die Unternehmen? Unsere Mitglieder kommen zu einem großen Teil aus dem produzierenden Gewerbe. Ist die jüngste Zinserhöhung für sie ein Investitionskiller?

Die Kredite verteuern sich aus der jetzigen Betrachtung, aber eigentlich kommen sie auf ein normales Niveau. Vorher war die Finanzwelt von Sondereffekten geprägt. Es ist kein gesundes Steuerungsinstrument einer Volkswirtschaft, wenn Kredite nichts kosten. Das ist nicht das Normale. Das muss man sich immer wieder in die Erinnerung rufen. Und dass dieser Rückwärtstrend in die Normalität hinein auch Anpassungsschwierigkeiten mit sich bringt, dass es am Anfang einen Aufschrei gibt, ist klar. Bei Investitionen ist dann die erste Hürde höher, aber insgesamt kommen wir in eine normale Entwicklung des Gesamtmarktes.

Investitionen sind das Stichwort für die grüne Transformation und nachhaltige Technologien. Der Green Deal ist das große Projekt der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen. Ist die grüne Transformation ein Teil der aktuellen Probleme oder doch eher ein Teil der langfristigen und notwendigen Lösung?

Ich glaube nicht, dass die grüne Transformation ein Teil des Problems ist. Dafür ist das Thema zu neu. Aber ich hoffe, dass sie in Zukunft ein Teil der Lösung ist. Das bedeutet eine weitere Herausforderung im Anpassungsprozess und in der Neuausrichtung der Wirtschaft. Ich meine aber, dass diejenigen Volkswirtschaften, die die Industrialisierung eingeleitet und mit dem CO2-Ausstoß angefangen haben, auch nun den Wandel einleiten sollten. Sie sollten die Verantwortung tragen und auch in diesem Bereich Führungsrollen übernehmen. Das macht den kurzfristigen Wettbewerb schwieriger, aber muss nicht langfristig zu Nachteilen führen. Das hängt eben auch von der Positionierung der Märkte ab. Das Thema ist ein globales und kann auch nur global gelöst werden. Das geht jedoch nicht auf der ersten Konferenz. Die Ausgangsvoraussetzungen für alle Länder sind so unterschiedlich, dass man gar keine Chance hat, in so einem kurzen Zeitfenster einen Konsens zu finden. Es ist eine Entwicklung in Etappen, und ich glaube, dass jeder Wirtschaftsbereich in seiner Form diesen Wandel in eine ökologischere Zukunft durchschreiten muss.

„Ein deutliches Signal der Stabilität.“

Welche Kredite beantragen die Unternehmen jetzt vorranging, was sind die Themen? Worin wird investiert?

Das hängt natürlich sehr vom einzelnen Unternehmen ab. Für uns sind die Transformation in Nachhaltigkeit und der Klimaschutz zwei große Themen. Es gibt das ESG-Rating, also Environmental, Social and Governance, und das wird auch in Zukunft deutlich an Gewicht zunehmen. Das wird sich auch bei den Kunden widerspiegeln, deswegen sprechen wir mit ihnen intensiv über die Erfordernisse. Als ein an der Börse gelistetes Unternehmen hat man ganz andere Herausforderungen als ein Familienunternehmen im Privatbesitz. Dennoch, die Transformation wird alle betreffen.

Hat die Commerzbank für sich selbst nachhaltige Regeln neu definiert?

Wir arbeiten daran, besonders auch in Abstimmung mit den Kunden, um für dieses Thema zu sensibilisieren. Jeder muss sich damit auseinandersetzen,  die gesamte Finanzbranche wird sich darauf einstellen müssen.

Würden Sie noch ein Kohle-Projekt finanzieren?

Nein.

Alles wird gerade teurer – durch Produktionseinbrüche, Lieferengpässe, knappe Rohstoffe, durch unterbrochene Lieferketten, steigende Energiepreise … Das trifft alle, die produzierenden Unternehmen, den Handel, die Endkunden, die Verbraucher. Gleichzeitig steigt der Druck von außen auf die Unternehmen, ihre Geschäftstätigkeit und ihre Geschäftsmodelle nachhaltig zu gestalten. Daher die Frage: Wer soll das alles bezahlen?

Sie und ich?!? Nein, Spaß beiseite – schwierige Frage. Früher oder später werden auch die Verbraucher über Steuern oder höhere Preise zur Kasse gebeten. Am Ende des Tages ist das eine Frage wie bei allen Investitionsprojekten. Man muss sich überlegen, welche Finanzierung die Richtige ist, um seine Ziele in einem bestimmten Zeitraum zu erreichen. Eine Finanzierung ist nur sinnvoll, wenn man am Ende wieder Geld damit verdienen kann. Ich glaube, man muss auch eine ehrliche Debatte darüber führen, was man möchte und was man nicht möchte. Es muss jedenfalls sichergestellt werden, dass die Wirtschaft und die Privathaushalte in der Lage sind, ihren Energieverbrauch zu decken.

Herr Kruse, noch ein Wort zur Commerzbank Tschechien. Die Zahlen, die vom deutschen Mutterkonzern kommen, weisen fast eine halbe Milliarde Gewinn aus, es geht bergauf. Die Commerzbank hat auch Reformen durchgezogen. Wie ist der Stand der Dinge und wie ist der Ausblick?

Die Bank hat ihre Strategie 2024 und ist sehr erfolgreich bei der Umsetzung der verschiedenen Projekte. Man muss aber ehrlicherweise sagen, dass wir noch etwas vor uns haben. Wir sind aber auf einem guten Weg. Für Tschechien bedeutet das, dass wir weiter wachsen wollen. Wir sind ein relativ großer Hub für den Konzern. Wir bringen neben Finanzierungsdienstleistungen für unsere Kunden auch andere Leistungen in Bereichen wie IT, HR oder Finance. Wir sind ein wichtiger Standort für andere europäische Standorte und auch für Deutschland. Insofern haben wir auch weiterhin das Interesse in Tschechien zu wachsen. Darauf freue ich mich.

Interview: Bernhard Bauer, Christian Rühmkorf

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