Interview mit Škoda-Chef Thomas Schäfer

„Das wird noch ein Tanz“

Er ist noch nicht so lange in Tschechien und Chef des größten und bekanntesten einheimischen Unternehmens. Dennoch hat man den Eindruck, dass Thomas Schäfer das tschechische Tafelsilber, das Land und seine Menschen gut kennt. Nah dran und hemdsärmelig. Mit ihm kann man angenehm unaufgeregt über die aufregendsten Entwicklungen in Sachen Mobilität sprechen.

Herr Schäfer, Sie kommen gerade von der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) – Mobilität der Zukunft. Auch wegen der Proteste steht die Ausstellung im Rampenlicht. Wie sind Ihre Eindrücke?

Die IAA hat im Vorfeld sehr stark polarisiert. Die einen fragten sich, was das noch soll. Andere waren sehr motiviert von dem neuen Konzept. Wir haben bei Škoda entschieden, in so einem Krisenjahr dort keine große Summe auszugeben. Wir haben das in diesem Jahr ganz schlank gemacht und ein Café in München gemietet: Die Journalisten konnten unser getarntes Enyaq Coupé iV fahren und viele Gespräche und Interviews führen. Das war total nett, clever und vernünftig – typisch Škoda.

Als Top Manager müssen Sie immer nach vorne gucken. Trotzdem ein kurzer Blick zurück: Sie sind erst vor einem Jahr aus Afrika nach Mladá Boleslav gekommen. Wo sind da die ganz großen Unterschiede zwischen den Herausforderungen in Afrika und denen hier in Mladá Boleslav, in Europa?

In Afrika ging es sehr viel mehr um Pionierarbeit, den Aufbau von Strukturen. So ein bisschen wie in China vor 40 Jahren. Und es ging immer nur um eine Region. In Mladá Boleslav geht es um die Gesamtheit einer Marke weltweit, die Herausforderungen von Elektrifizierung bis hin zu Regionalisierung und um das Wohl von 43.000 Škodianern. Das ist dann nochmal fast die Verzehnfachung dessen, was ich vorher verantwortet habe.

Was können Sie an Erfahrung mit einbringen, jetzt da sich die neue Škoda-Strategie auch mehr auf Afrika ausrichtet?

Als ich noch für die Marke Volkswagen zuständig war, haben wir uns von Südafrika aus um die Subsahara gekümmert und Seat war für Nordafrika zuständig. Seit diesem Jahr trägt Škoda nach Indien und Russland nun auch die Regionalverantwortung für Nordafrika im Volkswagen-Konzern. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Produkte, unser Ansatz und unser Know-how perfekt zu dieser Region passen. Wir fokussieren uns nun im ersten Schritt auf Ägypten – mit einer Größe von 100 Millionen Einwohnern eines der Schlüsselländer.

Kommen wir aufs Beschaffungsmanagement und die Lieferketten zu sprechen, Dinge, die eigentlich immer hinter den Kulissen abliefen, jetzt aber Schlagzeilen machen. Halbleitermangel, explodierende Rohstoffpreise, ziemlich anfällige Logistikketten, darunter leidet auch Škoda. Wie ist die aktuelle Situation und was ist zu tun, damit sich das bessert?

Wir hatten auch in der Vergangenheit natürlich immer wieder mal ein Versorgungsproblem durch Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Ähnliches. Aber die aktuelle Situation ist schon extrem.
Natürlich belastet das Thema Halbleiter uns jetzt sehr stark und zwar gleich wegen mehrerer Ereignisse: ein Brand in Japan, ein harter Wintereinbruch in Texas, der mit einem Containerschiff verstopfte Suezkanal. Jetzt ist es Malaysia mit mehrwöchigen Betriebsschließungen wegen Covid-19. Aber zu glauben, dass wir da nun kurzfristig eine Fabrik aufbauen können, die das abfedert, ist Unsinn. Das müssen wir jetzt durchhalten. Wir hoffen, dass sich die Situation möglichst schnell verbessert.


„So viel wie möglich so nah wie möglich machen“


Meinen Sie, Tschechien könnte von einem Nearshoring-Trend profitieren?

Tschechien und ganz Zentralosteuropa sind ein exzellenter Standort für jegliche Art der Lokalisierung. Wir sind bei Škoda grundsätzlich darauf bedacht, dass wir so viel wie möglich so nah wie möglich machen, um auch die Beschaffungsnebenkosten niedrig zu halten. Manchmal geht es eben nicht, wie bei den Chips. Aber ich glaube, wenn jemand gute Chancen hat, dann ist es Tschechien.

Derzeit arbeiten Sie mit Ihren Partnern noch am Aufbau einer stabilen Zuliefererstruktur für Elektromobilität. Wie groß ist denn jetzt eigentlich die Umstellung gegenüber dem Verbrenner, was die Lieferkette und die Zuliefererstruktur betrifft?

Das ist schon eine gewaltige Herausforderung, die wir hier alle gemeinsam zu stemmen haben. Wir investieren jetzt gerade in den Umbau der Fabriken, eine Riesenaufgabe, dann in die Neuentwicklung der Produkte, die auch teuer ist. Und wir haben ja noch bestehende Produkte, die mindestens noch die nächsten zehn Jahre laufen werden. Wir haben bereits die Hälfte unserer Kapazitäten in Mladá Boleslav so modifiziert, dass wir dort auch Elektroautos bauen können, zum Beispiel unseren Enyaq iV. Und das Gleiche spielt sich natürlich in der Lieferkette ab. Wir müssen in den Lieferantenstrukturen nachhaltig umstellen. Hinzu kommen harte Vorgaben wie UN-ECE oder EURO 7. Das alles in den nächsten fünf bis sieben Jahren zu stemmen, das wird noch ein Tanz – den wir aber gerne annehmen und auf den wir uns freuen!

Es gibt ja doch einige bedeutende Zulieferer, die sich bei den Antrieben nicht die Elektromobilität auf die Fahne geschrieben haben, sondern die „Technologieoffenheit“. Wie sehen Sie das?

Es gibt aktuell keine realistische Alternative zum batterie-elektrischen Fahren. Das ist physisch, physikalisch und vor allem kommerziell einfach nicht anders umsetzbar. Und jede weitere Diskussion darüber ist nicht hilfreich. Das suggeriert der breiten Bevölkerung, dass es doch eine Alternative gibt. Bei Wasserstoff haben wir einen riesigen Aufwand und Effizienzgrade von 50 oder 60 %, ganz abgesehen von der ganzen Infrastruktur, die dazu nötig ist. Ich wäre dafür, diese Debatte mal ruhen zu lassen. Natürlich muss man weiter forschen, aber für die nächsten zehn Jahre steht nichts anderes an als batterieelektrisches Fahren.

„Wir können uns keine Experimente leisten“


Sie haben den vollelektrischen Enyaq gelauncht, ein ziemlich großer Erfolg. Wann kommt das nächste reine Elektromodell von Škoda auf den Markt und welches Segment bedient es?

Anfang 2022 stellen wir den Enyaq Coupé iV vor. Bis 2030 werden wir mindestens drei weitere Elektrofahrzeuge auf den Markt bringen. Davon auf jeden Fall noch eines vor 2025. Wir sind jetzt gerade noch in den letzten Zügen der Konzeption, das muss sitzen, da muss Volumen kommen. Wir können uns keine Experimente leisten – also keine Nische, sondern Mainstream. Diese drei zusätzlichen E-Modelle werden auch unterhalb des Enyaq iV positioniert sein.

Im Juni haben Sie die neue Unternehmensstrategie Next Level vorgestellt. Was ist da der wichtigste neue Akzent gegenüber der Strategie 2025, die ja vorzeitig abgelöst wurde.

Die NEXT LEVEL – ŠKODA STRATEGY 2030 löst die Strategie 2025 nicht ab, sondern ist eine konsequente Weiterentwicklung. Das war nötig, denn in den letzten 15 Monaten hat sich die Welt auf den Kopf gestellt: der European Green Deal und die Ankündigungen von vielen Ländern mit Enddaten, wann sie aus dem Verbrenner-Geschäft aussteigen wollen – der Trend geht massiv in Richtung Elektromobilität. Wir brauchten also einen klaren Plan, der dieses tolle Unternehmen Škoda in die nächste Dekade und darüber hinaus führt. Wir müssen in Europa erfolgreich sein, jetzt elektrifizieren, innerhalb des Volkswagen-Konzerns die kosteneffizienteste Marke sein. Wir übernehmen in Nordafrika, Indien und Russland die Konzernverantwortung. Und dabei haben wir das Thema Nachhaltigkeit im Fokus.


„In den letzten 15 Monaten hat sich die Welt auf den Kopf gestellt“


Der Verbrenner Fabia Combi fällt recht unerwartet aus dem Programm zugunsten von e-Modellen und der Gesamt-Emissionsbilanz der Škoda-Flotte. Wie gehen Sie als Vorstandsvorsitzender eigentlich damit um, dass über die Halbwertszeit von Unternehmensstrategien im Grunde in Brüssel entschieden wird?

Lassen Sie mich das präzisieren: Wir nehmen den aktuellen Fabia Combi nicht aus dem Programm, haben uns aber entschieden, keinen Nachfolger mehr aufzulegen. Stattdessen setzen wir konsequent auf Elektrofahrzeuge. Und nun zu Ihrem zweiten Punkt: Ja, es ist klar, wir müssen weg vom Verbrenner. Aber das Ganze muss auch mit wirtschaftlichen Interessen ausbalanciert werden. Nehmen wir nochmal das Beispiel Fabia Combi: Der kostet heute zwischen 14.000 und 18.000 Euro. Durch die EURO-7-Norm kostet er morgen 3000 bis 5000 Euro mehr – aufgrund der notwendigen Hybridisierung und der zahlreichen Edelmetalle in den Katalysatoren. Ein Preisaufschlag, den die Kunden nicht zahlen werden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Kosten für E-Fahrzeuge weiter sinken.

Was da an aufwendigen Regulierungen kommt, geht doch frontal gegen die Škoda-Strategie, das Volumensegment unten so günstig wie möglich zu gestalten.

Das erscheint vielleicht zunächst so, aber es wird auch Elektrofahrzeuge im kleineren Bereich geben, die um die 20.000 Euro und perspektivisch noch weniger kosten werden. Jedes Unternehmen, jeder Zulieferer, jede Universität forscht heute an Batterie-Technologie. Das ist ein bisschen wie damals beim USB-Stick: Früher gab es 256 MB für 50 Euro, heute bekommt man ein Terabyte hinterhergeworfen. Es ist jetzt eine schwierige Übergangsphase.

Premier Babiš hat jetzt verkündet, den Verbrennungsmotor auch noch nach 2035 in Tschechien zu bauen. Und eine Förderung der privaten Nachfrage bei Elektromodellen gibt es in Tschechien nicht. Kann das so funktionieren?

Ich kenne die Diskussion. Škoda verdient sein Geld im Wesentlichen durch Exporte nach Westeuropa, Nordeuropa usw. Und diese Länder werden massiv transformieren. Wir transformieren deshalb unser Modellportfolio natürlich auch massiv. Für uns als Top-Industriestandort in Europa ist es mehr als notwendig, schnellstens Elektromobilität als Prio-Thema aufzubauen.


„Die Wertschöpfung nah am Werk haben“


Wir haben natürlich Wahlkampf. Dennoch sollten ja solche Dinge mit dem nationalen Autobauer Škoda abgesprochen werden, denkt man… Zumal, wenn man eine Gigafabrik nach Tschechien holen will…

Im Wettbewerb mit den Nachbarländern um eine Gigafabrik spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Da geht es nicht nur darum, wer die größten Fördergelder gibt. Hier geht´s darum, welches der Bewerberländer das Thema am besten umarmt: Transformation, Arbeitsplätze, Ausbildung, Dekarbonisierung, die ganze Frage des Energie-Mixes und der Infrastruktur. Aus meiner Sicht ist es essenziell, dass wir auch Zellfabriken nach Tschechien bekommen und die Wertschöpfung nah am Werk haben. Ich glaube, Tschechien hat gute Chancen. Wir hoffen, dass es bis zum Jahresende eine positive Entscheidung gibt.

Škoda Classic Tour 2021

Škoda will Tschechien zum Elektromobilitätshub ausbauen, heißt es in der Strategie. Klingt gut, sexy, aber was bedeutet das und was ist dafür zu tun ganz konkret?

Über die Zellfertigung haben wir ja schon gesprochen. Darüber hinaus brauchen wir Elektrokomponenten, von denen wir so viele wie möglich selbst herstellen wollen: Motoren, Hochleistungselektronik, Batteriemontage. Dann muss das ganze Thema Ladeinfrastruktur vorangetrieben werden. Positiv ist, dass praktisch jeder Tscheche einen Heimwerker-Drehstromanschluss zu Hause hat. Aber auch Langstreckenfahrten müssen hierzulande problemlos möglich sein.

Škoda Auto ist auch bei unserer Plattform #PartnersForSustainability dabei. Christian Schrader und Libor Boček sind da sehr engagiert. Wie sieht es aus mit der CO2-Neutralität der Produktion insgesamt bei Škoda?

Wir werden unsere Fahrzeuge ab 2030 in unseren tschechischen und indischen Werken CO2-neutral produzieren. In Vrchlabí haben wir dieses Ziel bereits erreicht. Außerdem werden wir unsere Flottenemissionen bis 2030 um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu 2020 reduzieren. Das Thema Nachhaltigkeit ist fest in unserer NEXT LEVEL – ŠKODA STRATEGY 2030 verankert.

Stichwort Cyberkriminalität. Es gibt eine neue Bitkom-Studie, wonach 9 von 10 Unternehmen schon mit einem Hacker-Angriff in Berührung gekommen sind. Ein Riesenproblem auch für ein vernetztes Auto, eine vernetzte Produktion 4.0 und die digitalisierte Lieferkette. Wie gehen Sie damit um in Zukunft?

Das Thema bekommt zurecht hohe Aufmerksamkeit. Wir starten nächstes Jahr die Vorbereitungen für die Umstellung auf UN-ECE, ab 2024 werden unsere Fahrzeuge diese dann gesetzlich verpflichtenden Standards für Cybersecurity selbstverständlich erfüllen. Wir sprechen hier von mehrstufigen Sicherheitssystemen, die wir so in der Industrie noch nie gesehen haben. Ein Muss, das viel Geld kostet. Aber eine Alternative gibt es nicht. Sie müssen jedes Auto, jede Variante, jede Ländervariante, jede Motorgetriebevariante auf einem mehrstufigen Sicherheitssystem separat absichern. Finanziell, zeitlich und personell ist das eine große Herausforderung.

„Du kriegst, was du brauchst“


2018 konnten wir den damaligen VW-Chef Prof. Carl H. Hahn in Wolfsburg interviewen, er war der Gründungspräsident unserer Kammer. Er sprach von den Anfängen der individuellen Mobilität, vom Auto als Visitenkarte und größte Familieninvestition. Wie sieht künftig das Verhältnis zwischen Mensch und Auto aus?

Herr Professor Hahn hat mit seinen 95 Jahren eine Energie, das ist wirklich sensationell. Er wollte Anfang September bei der Škoda-Classic-Tour mitfahren, einer Oldtimerrallye für Škodianer, hat es aber zeitlich leider nicht geschafft. Aber wir tauschen uns sehr regelmäßig aus. Was das Auto betrifft, das wird uns auch weiterhin individuelle Mobilität bringen, aber sauberer, sicherer und zukunftsfähig. Für uns bei Škoda heißt das, möglichst unaufgeregt und auf die Kunden fokussiert in die Zukunft zu gehen, nach dem Motto: „Du kriegst, was du brauchst, und noch einen Tick mehr.“

Thomas Schäfer, CEO Škoda Auto a.s.

Interview: Bernard Bauer, Christian Rühmkorf
Foto: Škoda Auto

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