Die Rede von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf dem German Czech Economic Forum
Es ist unmöglich, Demokratie ohne Marktwirtschaft zu haben
Sehr geehrte Damen und Herren,*
ich bin dankbar und froh, dass hier diese Konferenz stattfindet, und es ist mir eine besondere Ehre, hier sprechen zu dürfen. Eine Ehre, die durchaus politisch konnotiert ist. Viel ist im Moment von Europa und dem europäischen Zusammenhalt die Rede. Aber wenn ich das mit einer selbstkritischen Note sagen darf: Wenn man in Deutschland ´Europa´ sagt, in Hamburg, in Berlin oder München, dann denkt man an Paris, an Wien oder an Spanien oder Portugal, seltener an die Tschechische Republik, an Rumänien oder an Bulgarien. Der Blick von Europa ist manchmal doch noch sehr stark westzentriert. Und ich sage das, weil es ein Fehler ist. Ein fataler geopolitischer Fehler.
* Die Rede wurde frei gehalten, daher waren für eine verbesserte Lesbarkeit redaktionelle Eingriffe erforderlich, die jedoch nur sprachliche Anpassungen betreffen, keine inhaltlichen Veränderungen.
Im existenziellen Interesse Europas, dass der Blick nach Osten geht
Deswegen ist diese Konferenz nicht nur eine weitere in einer sich immer stärker entwickelnden deutsch-tschechischen Zusammenarbeit, sondern sie findet in einer Zeit statt, wo jedem klar werden muss, dass die Auseinandersetzung, die Europa als Kontinent mit seinen benachbarten Regionen erlebt, hier in diesem Korridor zwischen den baltischen Staaten bis runter nach Georgien stattfindet. Das heißt: Sollte Putin in der Ukraine erfolgreich sein, würde diese Region das nächste Ziel der Destabilisierung werden. Und wir müssten blind und naiv sein, um jetzt nicht schon zu sehen, dass diese Destabilisierung über Medien, über Einflussnahme schon gesucht und nach vorne getrieben wird.
„Diese Region das nächste Ziel der Destabilisierung“
Es ist im existenziellen Interesse Europas, dass der Blick nach Osten geht, und dass die Partnerschaften zwischen Deutschland und Tschechien und auch der anderen europäischen Länder mit den osteuropäischen Ländern stark und immer stärker werden. Deswegen möchte ich ausdrücklich mit großer Emphase der tschechischen Regierung danken, die in dieser Zeit die europäische Ratspräsidentschaft innehat – auch Jozef (Síkela) für die enge Zusammenarbeit, die wir haben – sie zeigt in dieser Situation wirkliche politische Führung. Und das als ein Land, wenn ich das mit großem Respekt sagen darf, das nicht zu den allergrößten in Europa gehört. Trotzdem ist das, was derzeit von der tschechischen Regierung geleistet wird, eine Säule, ein Pfeiler des europäischen Zusammenhalts. Ganz großen Dank dafür!“
Ökonomische Ordnung zunehmend durch geopolitische Einflusssphären konterkariert
Es ist richtig, verschiedene Krisen überlappen sich. (…) (Corona, globale Erderwärmung, Anm. d Red.). Dazu kommt die durch den russischen Angriffskrieg angeheizte Inflation und die hohen Energiepreise, Hauptthema meiner Rede und sicherlich der Veranstaltung heute – und sicherlich auch der konkreten Not in Ihren Unternehmen und Betrieben.
Es gibt eine vierte Krise, die im Hintergrund lauert, und die auch zusammenhängt mit dem Krieg in der Ukraine. Und das ist die Wiederkehr von Geopolitik, also das Zerstören einer Handelsordnung, die manchmal vielleicht mit einem Überschwang und einem zu großen Optimismus, aber prinzipiell mit der richtigen Idee konfrontiert war, dass offene Märkte, Kooperation und Handel Werte schaffen, die über die Wertsteigerung in der Bevölkerung, über den Wohlstand, die Welt insgesamt zu einer besseren werden lassen. (…) Sie kennen mein Parteibuch, Sie wissen, dass ich auch eine kritische Rede zum freien Handel halten könnte. Aber insgesamt ist der Wohlstand in den letzten Jahren und Jahrzehnten global gestiegen und die Armut zurückgegangen.
Diese ökonomische Ordnung wird zunehmend durch geopolitische Einflusssphären konterkariert. Neue Handelskriege, neue Interessensphären, neue Bündnisse, die sich dann auch in kriegerischen Aktivitäten oder zumindest robusten Einflussnahmen äußern.
„Mit großer Emphase der tschechischen Regierung danken“
Selbstkritisch seine Geschäftsmodelle hinterfragen
Und das ist der Grund, warum man sich genau anschauen muss, was China tut. Nicht, dass es nicht eine starke ökonomische Macht ist, und dass es nicht sinnvoll ist, mit China Handel zu treiben, dass wir nicht gegenseitig profitieren können. Aber man muss eben auch auf der anderen Seite aufpassen, dass wir nicht im Bereich von kritischer Infrastruktur, von Transportwesen, von Digitalisierung Kernelemente unserer Souveränität aus der Hand geben, um dann später wertepolitisch erpressbar zu sein. Das ist der Grund, warum man zumindest selbstkritisch seine Geschäftsmodelle hinterfragen muss.
Was ist der politische Grund für die hohe Inflation und die hohen Energiepreise? (…) Es ist eine politische Entscheidung der russischen Regierung. Es gibt keine Sanktionen auf Gas. (…) Nicht eine Regierung in Europa hat entschieden, die Gasmengen zu drosseln, sondern Putin hat das getan. Damit ist deutlich, dass das, was hier gerade passiert, was gerade Sie in den Unternehmen tragen müssen und die Menschen in Europa erleiden, bewusst herbeigeführt ist. In Putins Reden wird klipp und klar ausgesprochen, dass durch hohe Energiepreise und durch hohe Inflation, das ökonomische Modell Europas zerstört werden soll – und mit der Zerstörung des ökonomischen Modells die Zerstörung des gesellschaftlichen Modells, der gesellschaftlichen Stabilität, und am Ende der Demokratie. (…) Der Angriff auf die Energieversorgung ist Teil einer Strategie , und deswegen muss er auch strategisch beantwortet werden. (…) Gleichzeitig sind wir darauf angewiesen, dass wir die künftigen Marktchancen in dieser unter hohem Druck stehenden Zeit nicht zerstören.
„Genau anschauen, was China tut“
Künftige Marktchancen im Bereich klimaneutraler Produktions- und Konsumtionsweisen
Diese künftigen Marktchancen sieht man am besten, wenn man sich einmal der anderen ökonomischen Supermacht zuwendet – den USA, die mit dem sog. Inflation Reduction Act eine Subventionsmaschine für klimaneutrale Techniken in verschiedensten Bereichen – von Automobilen über Batterien bis zu Renewable Energies – aufgebaut haben. Wo werden die Geschäftsfelder der Zukunft sein, trotz all der Debatten, die wir über LNG, Kohlekraft und Atomkraft führen? Sie werden in dem Bereich von klimaneutralen Produktions- und Konsumtionsweisen liegen. Das sind die Weltmärkte der Zukunft, wie sie sich abzeichnen. Wie muss darauf eine europäische Strategie, eine deutsche, eine deutsch-tschechische Strategie antworten? Erst einmal müssen die (Energie-, Anm. d. Red.) Preise jetzt so schnell wie es geht runter. (…) Ich würde sehr davor warnen, dass wir den Marktmechanismus zerstören, weil damit die Gefahr der Versorgungssicherheit wirklich gravierend wird.
Erschließung neuer Handelszonen und Handelsgebiete
Etwas zugespitzt formuliert: Deutschland hat lange Zeit keine handelspolitische Stimme gehabt. Die einen haben gesagt, „freier Handel ist super“, und die anderen – sicherlich auch Teile meiner Partei – „freier Handel ist mit vielen Nachteilen für Menschen verbunden“. Und dazwischen gab es keine Lösung, und so hat Deutschland sich permanent enthalten (…) Aber wir haben unsere handelspolitische Stimme klar wieder gefunden. Jetzt sind wir dabei, Europa zu ermutigen und anzutreiben, neue Handelsverträge zu schließen und zwar indem wir beides kombinieren, ein Ja zu offenen Märkten und zu freiem Handel, die dann aber auch den Nachhaltigkeitszielen, dem Klimaschutz dienen, weil wir sehen, dass diese Märkte die Leitmärkte der Zukunft sind.
Fachkräfte müssen gewonnen werden …
… und zwar im Land, trotz der so ideologisch aufgeladen Gerechtigkeitsdiskussion. (…) Als Wirtschaftsminister muss ich klar sagen: Wir brauchen sie alle! Wir brauchen die Frauen, die arbeiten wollen; es ist inakzeptabel, dass 10 % der jungen Leute ihre Schule verlassen, ohne einen berufsbildenden Abschluss zu haben; und die Menschen, die schon in unseren Ländern sind, unsere Sprache sprechen, sich als Nachbarn, Freunde, Arbeitskräfte, als Menschen bewährt haben, die ehrgeizig sind, die sollten wir auch behalten. Wir können es uns nicht leisten, Talente nicht zu nutzen. Aus wirtschaftspolitischer Perspektive lösen sich die ganzen ideologischen Fragen auf, und das heißt natürlich auch, dass wir moderne Zuwanderung weiter organisieren müssen.
Schneller planen und genehmigen
Man kann verstehen, dass man als Verwaltungschef vieles richtig machen will. Im Grunde ist die politische Vorgabe ja für alle: „Wir machen keine Fehler“. Und das ist auch gut und richtig. Stellen Sie sich ein Land vor, wo nur jeder zweite Förderbescheid richtig wäre. Dann müssten wir Ihnen (als Unternehmer, Anm. d. Red.) sagen: „Es ging zwar schnell, aber wir müssen es (Geld, Anm. d. Red.) zurückfordern“. Das wollen Sie dann auch nicht. Gleichzeitig sind wir auf verschiedenen Ebenen so überkandidelt geworden, dass wir die großen Herausforderungen unserer Zeit und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, Europas, der Tschechischen Republik (so, Anm. d. Red.) nicht halten können. Man kann auch Nein sagen zu bestimmten Anträgen, man muss nicht überall Infrastruktur bauen, weder Stromleitungen, noch Windkraftanlagen, noch Gewerbegebiete. Aber man kann nicht mehr sechs oder acht Jahre darüber nachdenken, was die richtige Antwort ist. Es muss in einem oder zwei Jahren höchstens entschieden werden, und das schließt auch Entscheide für Förderung auf (…) der europäischen Ebene mit ein.
Die Frage der Inflation …
Eine wahnsinnig hohe Inflation und gleichzeitig die Drohung einer Rezession – das ist eine Kombination, die nicht so häufig auftritt. Und es ist nicht ganz einfach zu sehen, was die richtigen finanz- und geldpolitischen Antworten sind. Wenn man sich aber die Ursache anschaut, dann findet man schon einen richtigen Korridor, und den müssen und wollen wir gehen.
Die hohe Inflation ist, anders als in den USA, nicht durch staatlich stimulierte Hypernachfrage ausgelöst, sondern durch externe Schocks wie den Wegfall von großen Energiemengen, dem russischen Gas. Insofern kann sie auch fiskalpolitisch bekämpft werden, und Geldpolitisch durch höhere Zinsen, richtig. Aber natürlich gibt es auch dabei eine Grenze, weil damit Kreditaufnahme und Investition in die Wirtschaft irgendwann auch ins Stocken geraten. Für fiskalpolitische Maßnahmen gilt: Ja, solange wir nicht in die Märkte reinfeuern, die durch hohe Inflation sowieso übertrieben sind.
„Kluge Investitionen in Digitalisierung, in neue nachhaltige Produktionskapazitäten“
… und die Frage der Investition
Produktionskapazitäten im Hochlauf von nachhaltigen Energiequellen, so dass wir also eine Chance haben, in dieser Zeit mit der richtigen Stimulierung beides hinzubekommen: die Rezession abzufedern (…) und gleichzeitig die Inflation nicht anzuheizen. Das ist die Kombination, die wir über die verschiedenen Investitionspakete in Deutschland vornehmen. Ich weiß, dass es viele Diskussionen über das 200 Mrd. Euro-Paket gibt. Ich will aber auch sagen: Deutschland investiert in gleichem Maße auch. (…) Und das sind Investitionen, die dann aus Deutschland heraus ausstrahlen und die Nachbarländer mitziehen – auch die Tschechische Republik. Wir wurden viel dafür kritisiert, dass Deutschland bei der Finanz- und Eurokrise zu wenig Geld ausgegeben habe. Ich glaube, diese Kritik ist richtig verstanden worden: Vorsichtig sein, aber nicht dazu beitragen, dass sich die Krise verlängert bzw. noch tiefer einschneidet. Wir können gerne die Details diskutieren. Ich jedenfalls finde es richtig, dass Deutschland einen abgewogenen, aber einen entschlossenen Weg geht.
Keine Demokratie ohne Marktwirtschaft
Letzter Gedanke, meine Damen und Herren. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es möglich ist, Marktwirtschaft mit autoritären Regierungsformen zu kombinieren. Das scheint möglich zu sein. Es ist aber aus meiner Sicht unmöglich, Demokratie ohne Marktwirtschaft zu haben. Deswegen ist der Angriff Russlands auf das ökonomische Modell, das unsere beiden Länder auszeichnet, ein Angriff auf die marktwirtschaftliche Ordnung. Was immer wir tun, was immer wir diskutieren, das müssen wir durchhalten. Deswegen ist das Offenhalten der Märkte, der Energiemärkte, des europäischen Binnenmarktes, die zentrale Aufgabe unserer Zeit. Es ist der Katalysator, der Kreativität und unternehmerischen Mut, unternehmerisches Wagnis, mit gesellschaftlicher Stabilität verzahnt. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen in diesen schwierigen Jahren.
Dankeschön!
Schauen Sie sich das kurze GCEF-Statement Robert Habecks zu seiner persönlichen „Transformation“, Flexibilität und Resilienz an, in dem er auf Bertolt Brecht und Václav Havel eingeht.