Mit Yin & Yang in die digitale Zeit
Interview mit Guillaume Chêne, dem CEO von Makro/ Metro Cash & Carry in Tschechien und der Slowakei
Von Paris nach Pilsen – die meisten würden sich sicher in die umgekehrte Richtung wünschen. Nicht so Guillaume Chêne, der Chef von Makro bzw. Metro Cash & Carry in Tschechien und der Slowakei. Für die französische Einzelhandelskette Carrefourkam er in den 1990ern in die westböhmische Stadt. Was Chêne in den folgenden 20 Jahren erwartete, war eine steile Karriere im Einzel- und Großhandel in Tschechien. Und die echte Herausforderung, ein Handelsunternehmen mit vielentausend Mitarbeitern in die digitale Zeit zu führen.
The times are a-changin‘. Wusste auch schon Bob Dylan. Ihre Marke heißt Makro Cash & Carry. Cash & Carry – entspricht das immer noch dem Geschäft von heute?
Das Branding ist Makro. Seit langem schon verwenden wir den Namen Makro, um unser Unternehmen zurepräsentieren. Nur juristisch ist es bei Makro Cash & Carry geblieben. Aber eigentlich verwandeln wir uns in einen Omni-Channel-Großhandel. Sie haben es sicher gesehen, es gibt Makro und Makro Distribuce, wir sagen auch FSD, Food Service Distribution. Es gibt also diese beiden Kanäle. Der Distribuce-Kanal im Gastgewerbe dürfte Ende des Jahres gleich stark sein wie der herkömmliche.
Könnte es heutzutage einen besseren Namen für die juristische Person geben als Cash & Carry, wenn wir die Veränderungen in der Wirtschaft und insbesondere in Ihrem Business betrachten?
Ein Beispiel: Metro Cash& Carry Deutschland wurde in Metro Deutschland umbenannt. Eigentlich haben wir vor drei oder vier Jahren auch darüber nachgedacht. Aus verschiedenen Gründen haben wir es am Ende nicht durchgezogen, weil wir uns mehr auf die Schaffung der neuen Marke „Makro Distribuce“ konzentrieren als auf die Änderung der alten Marke. Und das hat eigentlich funktioniert. Ich denke, dass es heute wahrscheinlich keinen Fachmann in diesem Business gibt, der Makro Distribuce nicht kennt. Und mehr als 80 % des Distribuce-Umsatzes werden über das Internet generiert. Den Online-Zugriff auf den Zustelldienst bei Makro nennen wir „m-objednávka“, der ist unter den Fachleuten bekannt. Heutzutage hat eineWebsite standardmäßig eine Empfehlungsmaschine, eine Suchmaschine und natürlicheine Warenkorb-History, eine elektronische Rechnungsstellung, eine Zusammenfassung des Kaufs und ein Treueprogramm. Das alles ist vorhanden.
Und dieses Online-Shopping hat derzeit was für einen Anteil am Gesamtumsatz?
Makro Distribuce, also Lieferungen an die Kunden, hat heute einen Anteil von fast 30 % am Gesamtumsatzdes Unternehmens. Und wie gesagt, 80 % der Geschäfte bei Distribuce laufendabei über die Online-Plattform. Es sind also mindestens 24-25 % des Gesamtumsatzes des Unternehmens, der online abgewickelt wird. Das ist enorm.
Und der Trend ist steigend?
Es geht zweistellig nachoben und ist daher sehr dynamisch.
Also, der konventionelle Verkauf sinkt, der Online-Verkauf steigt …
Im Gastgewerbegeschäft sind wir bereits quasi bei „Gleichstand“ pro Verkaufskanal. Rund 45 % des Lieferverkaufs für das Gastgewerbe, vor allem große Restaurants, werden überdiesen Online-Vertriebskanal abgewickelt und schon fast 30 % für die Händler.
Wo glauben Sie endet dieser Trend?
Für mich ist daskeine Frage mehr, weil sich das Unternehmen schon darauf eingestellt hat, die Nachfrage über ein Mehrkanal-Modell zu bedienen. Heute hat der Kunde die freie Wahl, ganz nach Situation, ob er sich für Cash & Carry oder die Lieferung entscheidet. Alle Systeme sind entsprechend angepasst. Die Kundendaten und das Kundenmanagement sind so aufgebaut, dass ein Unternehmen bei uns als Person geführt wird, egal ob es Kontakt mit einem Außendienstmitarbeiter, einem Call-Center, einer Filiale oder mit unserer Website hat. Alle diese Daten werden an einem rt gesammelt, das gewährleistet die Rückverfolgbarkeit, auch Anmerkungen, Reklamationen und Transaktionen sind dort gesichert.
„Nicht unbedingt eine einfache Reise“
Sie haben hier Yin und Yang an den Wänden. Mein erster Gedanke war: Das symbolisiert das Geschäftsmodell des konventionellen Cash & Carry und des digitalen eCommerce, als zwei Seiten einer Medaille…
Ja, Yin und Yang ist der Weg, wie man letztlich eine Art Gleichgewicht zwischen Emotionalem und Rationalem, zwischen Innerem und Äußerem schafft. Ein Unternehmen ist eine Gemeinschaft. Es besteht aus Individuen, die aber zu einem kollektiven Verhalten geleitet werden müssen. Und dieses Kollektiv hinter einemist meiner Meinung nach das Wichtigste, auf das man achten muss, wenn man eine Unternehmenskultur haben will, die von außen betrachtet stabil und verständlich ist. Dafür braucht man allen voran Menschen mit Eigenwahrnehmung, die sich wohlfühlen und nicht gestresst sind. Und wenn man das erreicht hat, was nicht unbedingt eine einfache Reiseist, dann ist das Kollektiv empathisch und nach außen hin offen. Und dann kann der Kunde zu uns kommen und sagen, ok, heute Morgen ist es Cash & Carry, heute Nachmittag brauche ich eine Lieferung, heute Abend läuft es über das Call-Center, und ich brauche jemanden, der am Samstag einen Lastwagen leiht, weil ich eine Hochzeit organisiere und zusätzlichen Lagerplatz brauche. Diese Dinge sind dannganz natürlich. Sie können eben nicht 5.000 Mitarbeiter direkt führen, schongar nicht in ihrer permanenten Kommunikation mit dem Kunden. Sie können nur eine Atmosphäre schaffen, eine Kultur, die auf den Unternehmensleitlinien basiert. Das ist der Schlüssel zum Erfolg in diesem Geschäft. Alles dreht sich um Menschen.
Was hat sich in der Kundenbeziehung geändert?
Man erfährt mehr über die Cash & Carry-Kunden und ihre Einkaufsaktivitäten über das Mitgliederkartensystem, aber man sieht sie nicht regelmäßig im Geschäft. Mit dem FSD-Kunden hingegen besteht eine Beziehung.
Eigentlich gibt es beim Online-Shopping fast keinen Kunden-Kontakt. Bei Ihnen wird der Online-Kanal aber über Ihr Liefersystem zu einem direkten Kundenkontakt
Absolut. Man muss beim eCommerce zwischen B2C und B2B unterscheiden. Zumindest in der Lebensmittelbranche, in der wir tätig sind. Derzeit haben wir mindestens drei Kontaktpunkte mit unseren Stammkunden: einmal der Fahrer, bei dem wir großen Wert darauf legen, dass erden besten Service bietet, der zweite ist natürlich das Verkaufspersonal, und der dritte ist das Call-Center. Es ist ein bisschen anders als B2C bei eBayo der Amazon. Hier bei uns sind Sie wirklich in einem B2B-Geschäft mit seinen Einschränkungen, seinen Anforderungen an Qualität, Tempo, Flexibilität und Service. Und so haben wir uns unseren Platz auf dem Markt erarbeitet.
Die neueste Erfindung von Makro in Sachen Digitalisierung ist eine Art Scan- und Pay-Portal…
Ja, das ist MakroScan, aber immer noch eine Beta-Version. Sie haben eine Handy-App und die verbindetsich mit Ihrem Einkaufswagen, und los geht´s mit dem Shoppen. Jeder Artikel, den Sie mit Ihrem Smartphone scannen, legen Sie in Ihren Einkaufswagen. Eine Waage verbindet wiederum das Smartphone und den Wagen. Wenn alles übereinstimmt, erhalten Sie den Barcode und bezahlen an der Kasse. Aus Anwendersicht fantastisch. Das System ist Cloud-basiert und selbstlernend, registriert permanent Bilder und Gewicht und verbessert so kontinuierlich seine Erfassung.
Ihre letzte größte Investition war ein Warenlager in der Nähe von Prag. Dort arbeiten rund 600 Menschen. Eine gute Investition? Und finden Sie genug qualifizierte Mitarbeiter?
Das Distributionszentrum ist für Makro in Tschechien strategisch ein absolut entscheidender Schritt und eine der größten Investitionen seit dem Markteintrittvon 1997. Ohne das Warenlager wäre das Mehrkanal-Vertriebsmodell nicht möglich. Eine einzigartige Lösung, die zwei Funktionen kombiniert – sie dient als Zentrallager für alle unsere 13 Filialen und ermöglicht uns, Kunden aus dem Großraum Prag direkt von dieser Plattform aus zu beliefern. Es wird auch zusätzliche Dienstleistungen bereitstellen, ein großer Differenzierungsfaktor auf dem Markt. Als Restaurantbesitzer kann man seinen „Special Cut“ bestellen, Fleischstückein seiner Wunschgröße, „ready to use“. In diesem Jahr konzentrieren wir uns darauf, das Volumen zu erhöhen und die Funktion dieses Zentrallagers zu optimieren. Nächstes Jahr geht es dann an die Einführung des FSD.
In Sachen eCommerce und Digitalisierung sind Startups ein großes Thema. Die Metro-Gruppe kooperiert schon lange mit Startups. Warum sind die wichtig für Ihr Unternehmen?
Weil manche Technologien disruptiv sind, manche sind bei der Optimierung hilfreich, und andere können unseren Kunden helfen, das Gast- und Convenience-Gewerbe effizienter zu gestalten. Alles, was mit Vereinfachungen zu tun hat, mit Timing, wie man mit weniger Zeit und mehr Sicherheit dasselbe schafft, ist für die kleineren Unternehmer, unsere Kunden, hilfreich. Nicht alles erweist sich als so erfolgreich, wie es aussah, aber das ist ein permanenter Prozess. Eine Strategie als solche ist heute viel komplizierter als noch vor 25 Jahren. Heute richtet sich alles nach dem Tempo des Marktes und der Wettbewerbsfähigkeit. Vorher brauchte man ein bestimmtes Eigenkapital für einen Markteinstieg, das war für die großen Unternehmen sicher etwas einfacher. Heute genügen manchmal eine gute Idee und viel Mut, um etwas zustande zu bringen, womit man den Markt auf ganz neue Art und Weise ansprechen kann. Heute kann das Risiko von überall her kommen, von größeren und kleineren Unternehmen oder von einem Nebengeschäft.
Die Metro Gruppe arbeitet mit dem Berliner Accelerator Techstars zusammen. Die DTIHK im Übrigen auch, im Rahmen unseres Startup-Wettbewerbs „Connect Visions to Solutions“. Was macht Techstars für Sie?
Das Ziel des Programms ist es, Startup-Lösungen zu entwickeln, mit denen Gastgewerbe und Einzelhandel an entscheidenden Punkten digitalisiert werden können. Techstars unterstützt uns vor allem bei der richtigen Entwicklung der Startups.
Ein anderer „Wind of Change“ kommt von den Kunden, nehme ich an. Tschechen sind sehr traditionell, erkennen Sie dennoch eine Veränderung in ihren Essensvorlieben, einen neuen Geschmack?
Nun, ich denke, sie wissen, dass es beim heutigen Lebens- und Arbeitsstil nicht mehr möglich ist, diese traditionelle schwere Kost – die allerdings sehr gut ist – täglich zu genießen. Das funktioniert nicht. Es gibt einen neuen Geschmack, weil die Menschen immermehr reisen. So lernen sie etwas Neues kennen. Einen Zugang zu italienischer, französischer oder asiatischer Küche, der Zugang zur Fusion.
„Nicht mehr möglich, diese traditionelle schwere Kost“
Was halten Sie von dem beliebten Fernsehkoch und Gastronomie-Kritiker Zdeněk Pohlreich? Ich glaube, er hat die Professionalität der tschechischen Gastronomie ziemlich voran gebracht.
Ja, absolut, da haben Sie Recht. Vor allem seine Sendung „Ano, šéfe“ vor 4-5 Jahren. Ich denke, er hat dem Gastgewerbe definitiv geholfen, das Niveau und die Qualität des Angebotsund des Services zu verbessern, hat ein bisschen mehr Transparenz hineingebracht, was möglich ist und möglich sein sollte. Für die Sensibilisierung der Leute hier haben seine Sendung „Ano, šéfe“ und sein Stil definitiv eine Veränderung bewirkt und einen „Fußabdruck“ hinterlassen.
Es gibt eine sogenannte „Makro Academy“. Hat sie ein ähnliches Ziel wie Pohlreich, also das gastronomische Niveau in diesem Land zu heben?
Ja, ich meine, in der Akademie geht es wirklich um Profis. Wir haben spezielle Schulungen und versuchen, den Restaurantbesitzern zu helfen, Trends umzusetzenund auch zu antizipieren, damit sie weiterhin erfolgreich sind. Zum Beispiel bieten wir jetzt mehrere Schulungen für Bars und Kneipen an, denn der aktuelleTrend ist nun mal, dass auch die klassischen Kneipen nicht nur Getränke, sondern auch Snacks und Speisen bieten müssen. Und das lernt man nicht von einem auf den anderen Tag. Wir geben ihnen eine Vorstellung, wie eine Tageskarte aussehen könnte, wie man qualitativ korrekt und trotzdem erschwinglich kocht.
Bieten Sie so etwas auch für Restaurants?
Für die haben wir etwas Ausgefalleneres. Wir laden Michelin-Köche ein, Starköche mit zwei oder drei Sternen. Die zeigen dann einem Dutzend Köchen, wie man ein oder zwei exklusiv-raffinierte Gerichte kocht. Vor kurzem hatten wir hier einen Zwei-Sterne-Michelin-Koch aus Deutschland: Marco Müller von der Berliner Weinbar Rutz. Man muss eben die verschiedenen Marktsegmente abdecken.
Sie lehren Ihre Kunden, erfolgreicher zu sein – kluges Kundenmanagement.
Ja, denn so wird es sie auch weiterhin geben, und sie bleiben unsere Kunden, diese Kontinuität ist im B2B sehr wichtig. Es ist in unserem Interesse, ihnen zu helfen, sich selbst weiterzuentwickeln. Kurz gesagt, ihr Erfolg ist unser Geschäft.
„Versucht, das Beste aus beiden Systemen herauszuholen“
Sie sind Ende der 90er aus Frankreich in die Tschechische Republik gekommen, Sie haben Carrefour in Pilsen, Hradec Králové und Olomouc geleitet. Sie haben Tschechisch gelernt, eine tschechische Frau und zwei tschechisch-französische Töchter. Ist das „Betriebssystem“ zu Hause eher tschechisch oder eher französisch?
Ich denke, wir haben versucht, das Beste aus beiden Systemen herauszuholen.
Interview: Christian Rühmkorf
Bildquelle: Tomáš Železný